Vermutlich war es seinerzeit schon das Frühlingsloch, was zu dieser Meldung führte. Als Anfang des Jahres die Schweizer SBB die Jahreszahlen bekanntgaben, wollte der sehr Smartphone-affine Chef Meyer diese schnell twittern – und er scheiterte am Swisscom Netz. Das kannte zu diesem Zeitpunkt nur eine Antwort, Netzüberlast. Eigentlich kein grosses Ding – in jeder Stadt versagen dann, wenn viele Menschen auf einmal an einem Ort mit Ihrem Smartphone surfen wollen, die Netze ihren Dienst. Es gibt schlicht eine physikalische Netzgrenze. Doch wenn ein CEO seine Quartalszahlen nicht twittern kann, ist das eine (kleine) Katastrophe und schnell wird bekannt gegeben, es würde dort bald Abhilfe geben.
Swisscom Funkmast vor Landarenca
Bei den sehr mobilfunkabhängigen Personen, die kein Leben ohne Smartphone mehr haben wollen, gibt es nur ein Thema: wo habe ich Netz? Und warum nicht überall? Wo wird gebaut?
Ich denke, das Thema Ausbau eines Mobilfunknetzes hat sich heute gewandelt. War es früher eine Frage, wo das Netz verfügbar ist, also wo ein Nutzer überall telefonieren kann, ist es heute eine Frage, was für ein Netz er vorfindet. Es ist also von der Flächenabdeckung weggekommen zur Netzgeschwindigkeit. Mit 99.9% Netzabdeckung mache ich heute keine Werbung mehr – dafür mit 4G Super-LTE Megaspeed mit Highspeedvolumen und sonstwas.
Das ganze hat dann interessante Folgen. Ein Beispiel aus dem Zurzibiet der Schweiz. Das dortige Mobilfunknetz wird seit Jahren vernachlässigt. Die Funklöcher auf dem Achenberg oder zwischen Koblenz und Rietheim existieren, seitdem es die Netzbetreiber in der Schweiz gibt. Swisscom deckt hier nicht ab, diAx hat nicht abgedeckt, Sunrise als Nachfolger auch nicht, Orange erst recht nicht – Tele2 oder inphone gab es nie. Irgendwann hat Sunrise dann den gemeinsam mir Orange genutzten Mast auf 3G hochgerüstet. Orange zog später nach, Swisscom nicht. Dort reichte EDGE.
Offensichtlich beschwerte sich aber auch niemand darüber. Es war ja Netz da, also wo ist das Problem? Doch die Selfies im Thermalbad laden sich mit EDGE nunmal recht langsam hoch. Die mit Gewalt zusammengerechneten 8 Megapixel Files verbrauchen nunmal mehr Platz, als sich sinnvoll über EDGE übertragen lassen. Irgendwann muss das jemand bei Swisscom gehört haben. Vermutlich, als der neue Erlebnisbereich in Betrieb ging und neue Kunden kamen, die über den Anblick des “2G” im 800 CHF iPhone wohl “not amused” waren. Also wurde eine radikal Lösung gemacht: an den 2G Mast kam 4G LTE. Jetzt gibt es die amüsante Situation, dass es zwar GSM gibt, jedoch kein UMTS aber LTE vor Ort von Swisscom. Wie schnell das Highspeedleben dann endet, kann beispielsweise jemand in der S-Bahn nach Winterthur erleben. Kaum ist Zurzach verlassen, gibt es einen echten Speeddowngrade. Von 4G runter auf GPRS. Der Schreiber dieser Zeilen verkehrt regelmässig auf dieser Zugroute. Solange der Zug noch in Zurzach ist, schnell alle Excel Files runterladen, denn dann ist für die nächsten 20 Kilometer GPRS angesagt…
Eisenbahnfans erleben in der Region ebenfalls eine Besonderheit. Damit spiele ich nicht auf die grösste handbefeuerte Dampflok an, die dort beheimatet ist oder das 140-jährige Depot. Nein es geht um den Zugfunk. Die SBB rüstet wie viele andere Bahnen derzeit das digitale GSM-R auf. Es ersetzt den analogen Zugfunk. Roamingpartner ist bei der SBB die Swisscom. Und da diese das Funkloch zwischen Koblenz und Rietheim nicht beseitigen will, werden dort derzeit schnell GSM-R Stationen hochgezogen, damit die Mineralölzüge zum Flughafen nicht ins Funkloch fahren.
Nein, ich mag mich nicht beschweren. Die Mobilfunknetze in der Schweiz sind auf einem sehr guten Standard und recht robust. Es braucht schon extreme Gewitter, um mal ein Stottern zu erleben. Aber es zeigt auch deutlich, dass in der Schweiz der Netzausbau zur Marketingmassnahme geworden ist. Randgebiete wie das Zurzibiet sind für die Netzplanung völlig egal. Wenn irgendwo eine Menschenmasse steht, wird halt ein Hotspot eingerichtet. Die Kunden steigen aus und können ihr Selfie hochladen. Die Geschäftswelt drumherum verzweifelt an der GPRS Anbindung, die es ein paar Kilometer weiter hat. Manchmal ist sogar etwas Sarkasmus dabei, wenn man sich am Telefon verabschiedet mit den Worten “komme zum Zurziberg Funkloch, bin dann gleich da”.
Landarenca
Sorge bereitet mir, dass hier ein weiterer Graben erzeugt wird. Das Örtchen Landarenca, von dessen eigenem Funkmast oben ein Foto ist, lässt sich nur per Seilbahn erreichen – oder per EDGE. Dort wird in den nächsten Jahren kein UMTS vorbeikommen und erst recht kein LTE. Der Netzausbau ist heute eine reine Marketingmassnahme. Dort, wo viele Leute mit ihrem Handy herumspielen müssen/wollen, wird gebaut. Dort, wo es weniger sind, passiert einfach gar nichts mehr.
Bei der erneut angestrengten Fusion zwischen Sunrise und Orange wurde nun eine neue Variante ins Spiel gebracht. Sunrise und Orange sollen eigenständig weiterbestehen, aber eine zentrale Netzgesellschaft nur noch ein Mobilfunknetz betreiben. Die Idee fand ich früher sehr gut, denn gerade in Randregionen wie Alpentälern ist es unmöglich, eine gänzliche Netzabdeckung rentabel zu bewirtschaften. Werden Netze zusammengelegt, dann wird es vielleicht rentabel.
Doch wenn heute nicht mehr auf die Fläche geachtet wird, sondern nur noch auf das “Feeling” bei touristischen Orten oder wichtigen Städten, dann mache ich mir eher Sorgen, dass auf der Fläche sogar zurückgebaut wird. In Landarenca oder Selma wohnen zusammengerechnet keine 50 Menschen – wieso für diese 50 eine LTE Zelle betreiben, wenn man mit einer Mikrozelle im Züricher Hauptbahnhof in die Schlagzeilen kommen kann?
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