Nerv' mich doch

Es wird allerhöchste Zeit, mir auch mal so einen "Sticky"-Eintrag zu verpassen. Peinlicherweise wird der garnicht von mir sein, sondern von Malte Wedding, und er taucht in der Online-Ausgabe der Berliner Zeitung vom 23.Oktober 2010 auf, also in Netzzeit gemessen irgendwann vor der letzten Eiszeit. Seitdem habe ich ihn auch sozusagen in meinem Schmuckkästchen, und was für seine Qualität spricht, ist die Tatsache, dass er kein Stück Aktualität verloren hat, und auch in 10 Jahren noch genau so aktuell sein wird.

Dass ich ihn jetzt bringe, hat was mit wahren Finnen zu tun, aber auch mit dem Sarrazin-Quotienten der Nachrichten. Der hat sich in den letzten 15 Tagen versechsfacht, nur weil er wieder in irgendeiner belanglosen Talkshow gesessen hat. Es ist mir mittlerweile völlig egal, was der Mann sagt - oh bitte, soll ich mir ernsthaft eine Meinung bilden zu jemanden, der Suppenküchen für einen unangemessenen Luxus hält oder unsere Marine gegen Flüchtlingsboote in fremden Hoheitsgewässern entsenden will? Ja, ich weiß, endlich sagt mal einer, was Sie denken. Gebe ich Ihnen mal wen, der das sagt, was ich denke.

Ein kleines Best-off:

Das Problem ist nicht, dass in diesem Land die unterschiedlichsten Menschen leben. Sondern, dass wir nicht mehr wissen, wie man sich über den Anderen aufregt - und es dann gut sein lässt.

(...)

Wer an die Homogenität der Deutschen glaubt, der glaubt auch, Homosexualität sei eine Erfindung der Grünen. Wir sind in Wirklichkeit eine höchst zufällige Ansammlung von Einzelwesen

(...)

Von meiner gespensterfürchtenden Freundin, sie war Politologin, habe ich gelernt, dass ethnische Konflikte beinahe immer das Werk so genannter ethnischer Unternehmer sind. Der afghanische Warlord entdeckt auf einmal sein Paschtunentum und schürt Hass auf Hazara, weil seine Drogengeschäfte in Gefahr sind, der christlich-soziale Parteivorsitzende entdeckt sein Deutschtum und schart seine Wähler um sich gegen Zuwanderer, weil seine sonstigen politischen Errungenschaften auf einen Bierdeckel passen.

(...)

Auf einmal ist unsere Toleranz Verhandlungsmasse, sie soll von der Toleranz des unaussprechlichen Mahmud Ahmadinedschad abhängen.

(...)

Bin ich gleichgültig? Aber sicher! Die allermeisten Menschen sind nicht ich, was ich für einen Fehler halte, aber für verzeihlich. Wenn Idiot sein ein Aufenthaltshindernis wäre und ich die Kriterien aufstellen dürfte, was einen zum Idioten macht, dann wäre Deutschland entvölkert.

(...)

Wir wissen nicht mehr, wie man genervt ist und es dann gut sein lässt. Wir haben nicht mehr die leiseste Ahnung davon, wie man mit einem in sich aufsteigenden Gefühl von Unbehagen umgehen soll. Mit wem ich mich nicht identifizieren kann, der soll sein Leben ändern, seinen Kleidungsstil und aufhören zu rauchen.

(...)

Alles Abweichende sorgt für Abscheu. "Das Recht, nicht belästigt zu werden, avanciert zum wichtigsten Menschenrecht in der spätkapitalistischen Gesellschaft - das Recht auf einen sicheren Abstand zum anderen".

(...)

Wir haben ein Grundgesetz, und ja: Ich bin einer dieser langweiligen Verfassungspatrioten. Mein Herz wimmert nicht, wenn ich die Hymne höre, in meinem Kleiderschrank ist nichts Schwarzrotgoldenes, aber ich bin in einem Land aufgewachsen, in dem man frei war bis an die Grenzen der Freiheit des Anderen. Dieses Land habe ich nicht geliebt, ich pflege keine intimen Beziehungen zu Nationen, aber ich habe es geliebt, in diesem Land zu leben.

Berliner Zeitung vom 23.10.2010

Genau das, genau so.

Und jetzt das Wetter.


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