Nerdzilla #6 – Die Anatomie japanischer Charaktere und ihre Wirkung

Kirimi-chan japanischer Charakter

Nerdzilla #6 – Die Anatomie japanischer Charaktere und ihre Wirkung

by • 16. Mai 2016 • Bloggeria, Japan • Comments (0) • 44

Charaktere entstehen in vielen Fällen nicht durch eine spontane Eingebung, sondern dadurch, dass eine neue Figur erschaffen werden soll, die zu einer bestimmten Thematik passt. Wie eingangs erwähnt bildet Gudetama mit dem Lachsfilet KIRIMI-chan mittlerweile ein Team in der Lebensmittel-Sparte der Charaktere.


In diesem Fall gab es zuerst die Thematik durch den von Sanrio 2013 veranstalteten Wettbewerb, dann folgten die Ideen. Auberginen, Bierkrüge, Reisbällchen, Sushirollen, sie alle konnten sich nicht durchsetzen. Dabei gab es bei allen den gleichen Ansatz in der Gestaltung – die Adaption bekannter Formen und Farben, um beim Entwurf die gängigen Mittel zu wählen, die schon viele Charaktere auf Erfolgskurs gebracht haben. Zum klassischen Lachsfilet, das als Kopf dient, wurde ein kleiner, menschenähnlicher Körper angefügt, der den größten Teil auf seinen Schultern trägt und in verschiedenen Posen präsentiert, ohne dabei das Gleichgewicht zu verlieren oder zu fallen.

Zudem ist KIRIMI-chans Gesicht immer auf die Augen des Betrachters gerichtet. Es blickt freundlich und immerzu positiv zu seinem Gegenüber, bittet jedoch auch darum, beim nächsten Essen gut gegrillt zu werden. Es wurde ein Weg gesucht, humorvolle Charaktere aus dem Bereich der Lebensmittel zu designen und zu präsentieren, ohne einen prekären oder pietätlosen Umgang mit Essen zu verherrlichen.

Hier bleibt festzustellen, dass die Grundform eines solchen Charakters an die gedankliche Herkunft erinnern, aber auch freundlich gestaltet werden soll. Der Charakter wird nicht nur mit der ursprünglichen Form assoziiert, sondern auch durch Geschichten um dessen Persönlichkeit mit ihm verbunden. Minimalistische Silhouetten sind ein auszeichnendes Merkmal für die Entstehung der Grundform der Illustration. Die Illustratorin Ryan‘yo14, die für zahlreiche TV Sender und Zeitschriften zeichnete, erklärt in ihrem Buch Omoshirokawaii, dass ungewöhnliche Formen oder von den Grundformen abgeleitete Umrisse die wichtigste Grundlage für eine neue Figur darstellen würden. Dabei soll die Form so simpel sein, dass auch ein kleines Kind diese mit wenigen Strichen nachzeichnen und nachvollziehen könnte.

Japanische Gesichter Manga Charakter

Gesichtsausdrücke sind wichtig bei der Gestaltung von Charakteren

Die Proportionen eines Körpers sind sowohl fürs Zeichnen als auch für spätere Animationen signifikant. Wenn für den Menschen eine Teilung in 8 gleiche Abschnitte vorgesehen ist, wird diese bei Charakteren auf zwei Teile reduziert. Dazu wird der Körper lediglich in Ober- und Unterkörper unterteilt, wobei der Kopf meistens größer dargestellt wird als die eigentliche Statur.

Der Kopf soll so viel Freiraum wie möglich für verschiedene Gesichtsausdrücke bieten, die der jeweilige Charakter besitzen kann. Dabei wird eine perfekte geometrische Form gemieden, diese könnten nicht organisch, sondern platt wirken. Individualität wird durch Formen erzielt, die fernab der Symmetrie gestaltet wurden. Die Gesichtsmerkmale sind ein wichtiges Kriterium, mit dem der Entwurf steht und fällt. Position und Größe haben einen großen Einfluss auf den Erfolg eines Charakters, da die unterschiedlichen Gesichtszüge den Gemütszustand übertragen sollen. Erinnert man sich an die Kaomoji zurück, die gerne genutzt werden, um die Gefühlslage des Absenders zu übermitteln, nutzen Charaktere die gleiche Art und Weise, um sich auszudrücken.

Ungleich den vielen Manga Illustrationen aus Japan, haben viele Charaktere eher kleine Augen und verzichten meist auf ein Merkmal, um es durch Accessoires auszugleichen. Während Hello Kitty keinen Mund besitzt, hat Gudetama keine Nase. Diese Art der Reduktion soll die Wirkung des Gesamtbildes stimmiger erscheinen lassen, denn eine einfache Körperform lebt von der Asymmetrie der Elemente, die angefügt werden. Gudetama besitzt seine Decke aus Eiweiß und Hello Kitty ihre berühmte rote Schleife, die suggerieren, dass es sich nicht einfach um ein Spiegelei und eine Katze, sondern um Wesen mit Accessoires und eigenen Charakterzügen handelt. Den letzten Schliff erhalten sie, indem ihnen eine Kontur verliehen wird. Konturen sollen die Illustration einrahmen und ihr den nötigen Halt geben, um überall ihren Einsatz finden zu können. Farbe, Form und Struktur der Kontur können einen wichtigen Grundstein für das Charisma bieten. Eine gewisse Sanftheit trotz der ursprünglich gedachten Eigenschaften sollte erhalten bleiben, damit die Gestalt des Charakters für viele unterschiedliche Zielgruppen funktioniert.

Zwei verschiedene Dinge zu einer neuen Idee zu vermischen ist keine Seltenheit im Charakter Design.

Durch das Mischen der beiden prägnantesten Merkmale entsteht eine ganz neue Art von illustrativem Charakter, der beide Elemente vereint, sowohl den Bierkrug, als auch den Rocker. So erhält ein einfaches Bier eine eigene Persönlichkeit und könnte sofort zum Einsatz kommen.

Jedoch muss bedacht werden, dass alle Illustrationen sowohl für den Druck als auch für die audiovisuellen Medien bereitgestellt werden müssen. Gedanken über Gewicht, Volumen und über die Art der Bewegungen müssen mit einbezogen werden, um genaue Angaben über jede Wesensart machen zu können, denn nicht zuletzt mit dieser fühlen sich die Konsumenten verbunden.

Zuletzt ist die Hintergrundgeschichte des Charakters wichtig. Blicken wir dabei zurück auf Hello Kitty, die gemeinsam mit ihrer Familie in London lebt und ihr eigenes Haustier namens Charmmy Kitty besitzt. Nein, Kitty White (so ihr realer Name) ist laut Sanrio selbst keine Katze, sondern ein Mädchen mit der Blutgruppe A, das Piano spielt, sich für fremde Kulturen interessiert und gerne backt sowie viele süße Dinge sammelt. Eine ideale Figur, die alles verkörpert, was profitabel und sowohl auf Produkten als auch in Serien oder Videospielen vermarktet werden könnte.

Japanische Gesichter Manga Charakter

Zwei Objekte verbinden und so einen witzigen Charakter erstellen

Die richtige Umgebung wurde für den Charakter erschaffen, so dass sich innerhalb der Zielgruppe jeder einen Teil der Geschichte aussuchen kann, in der Kitty ihre Rolle spielt. Der gleiche Grund, aus dem sie auch keinen Mund besitzt, laut Aussage der Chef Designerin Yuko Yamaguchi:

It’s so that people who look at her can project their own feelings onto her face, because she has an expressionless face. 

Dies ist eine Eigenschaft, die auf die Charaktere zutrifft, die sich lediglich auf das harmonische und freundliche Verhalten beschränken.

Gudetama würde beispielsweise nicht wie seine Kollegin Hello Kitty dem Konsumenten die Wahl der Interpretation lassen. Er zeigt, wie er sich fühlt. Elend, gelangweilt oder faul, so würde man die über 40 Jahre alte Ikone der Charaktere niemals auf einem Produkt sehen. Dadurch, dass Gudetama aber von Anfang an darauf ausgelegt wurde, einer der Charaktere zu sein, die sich ihrer eigenen Gefühlslage nach benehmen können wie sie möchten, hat er mehr Freiheiten als Kitty, kann jedoch nicht in dem großen Geltungsbereich arbeiten wie das Mädchen aus London, das Piano spielt.

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