Anfang dieser Woche habe ich meine Freundin mit zu einer Vorlesung in ihrer Universität begleitet. Sie studiert Medizin in Mannheim und ich war sehr gespannt, was mich in der Ring-Vorlesung am frühen Montagmorgen erwartet.
Ok, ab ins Auditorium. Es ist eine Viertelstunde vor Vorlesungsbeginn und die Reihen sind bereits voll. Wir nehmen Platz und ich kann mich in Ruhe umsehen. Wahnsinn, wieviele Nerds auf einen Haufen versammelt sein können. Aber vielleicht bin ich auch die Einzige, die nicht weiß, dass das eine Studienvoraussetzung ist?!? Ich kenne das Klientel ja eigentlich ganz gut, denn auch als ich Jura studiert habe, saßen in den vorderen Reihen nur die Total-Honks.
Die Tür geht auf und ein alter Mann im Rollstuhl wird hereingeschoben. Direkt darauf folgt, ohne den Rollstuhl selbst zu schieben, welch infame Anforderung, ein Professor, der unglaubliche Ähnlichkeit mit Jean Pütz aufweist. Seine akkurat gestutzte, walrossartige Rotzbremse ist umgeben von einem kostbar anmutenden Flair von Bugatti und Arroganz. Der Mikrokosmos, auf den sich sowohl sein Humor als auch seine Empathie stützen, wäre nicht einmal mit einem Hubble-Mikroskop zu entdecken. Er grinst selbstgefällig in die Welt, ohne die Spuren, die andere Menschen auf ihr hinterlassen, auch nur ansatzweise außerhalb seiner in bequemen Bahnen eingefahrene Umgebung zu registrieren.
Die erste Spannung ist schnell vergangen, nachdem der Prof den Krankheitsverlauf geschildert und der Patient den Hörsaal wieder verlassen hat. Ich sehe mich um und entdecke vor mir eine KOMPLETTE Reihe der Spezies Streberus gigantus. Allesamt unfassbar aufmerksam, allesamt unfassbar schreibwütig, allesamt unfassbar langweilig. Sie alle fallen in die Kategorie MOF – Mensch ohne Freunde. Man erkennt sie bereits äußerlich am braven Marie Lund-Polohemd und langweiligen Wollpullover. Sie alle versuchen sich durch extrem gewagte Farbkombinationen gegenseitig aus ihrem Gähn-Koma zu erwecken. Ganz besonders beliebt ist die Kombi Lila, grau, grün. Vor lauter Ekel stellen sich mir die Nackenhaare hoch.
Die schlimmste unter ihnen hat bis auf das Nagelbett herunter gekaute Fingernägel. Das passiert wahrscheinlich nachts, wenn sie die Angst plagt, sie könnte vergessen haben etwas zu notieren…
Sie schauen aus gelangweilten Augen, die nur kurzzeitig ihr Tun unterbrechen, indem sie hektisch etwas in ihren Block kritzeln.
Nur die wenigen coolen Studis erliegen langsam der universitären Narkolepsie. Ihre Nasen, die durch Aufliegen den Tisch reinigen, sorgen für elitär saubere Schreibunterlagen.
Puh, es ist vollbracht. Und nach 1,5 Stunden Vorlesung bin ich mir sicher: ich habe nicht nur die schönste und witzigste Freundin, sondern auch noch die Nerd-resistenteste. Ich muss schwer an mich halten, um nicht vor Stolz zu platzen, küsse sie auf die Stirn und sage: „Komm, wir machen jetzt was ganz Verrücktes und trinken eine Capri-Sonne.“