„Metropolis“
(Audiolith)
Sieht ganz danach aus, als müssten dieses Land und seine Bewohner in wenigen Monaten wieder einiges dazulernen und nicht weniges davon wird als schmerzliche Erfahrung im kollektiven Gedächtnis haften bleiben: Da ist zum Beispiel der Unterschied zwischen Leit- und Willkommenskultur, der plötzlich immer größer und wichtiger wird, da will plötzlich ein jeder sein Heimatgefühl neu erklären und justieren und vielen Menschen muss man erklären, dass man Dinge wie Mitgefühl, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft nicht bei der kleinsten Erschütterung des eigenen Wertebildes wie eine unbequeme Jacke in die Mottenkiste stopfen kann. Da lernt man Neues über die Political Correctness und wie man sie deuten und dehnen kann und muss und dass es manchmal ganz gut ist, sich selbst und anderen etwas zuzumuten und nicht weniger wichtig, sich selbst eine Meinung zu bilden, statt der bequemen Instantversion der Einfachdenker hinterherzulaufen.
Neonschwarz hatten seit jeher weder mit Meinungsbildung und noch mit Meinungsäußerung größere Probleme – das Angenehme: Sie tun das auf eine sehr unverkrampfte, lockere, gleichwohl bestimmte Art. Schon das Debüt „Fliegende Fische“ war ein Lehrbeispiel für entspanntes Aufmucken, die neue Platte ist das und mehr und deshalb so großartig. „Der Lustige, der Antifa, der DJ und das Mädchen“ (wie sie sich selbst bekalauern) haben also neben Ja Panik (Libertatia), Turbostaat (Abalonia) und bald auch Moop Mama (Mooptopia) an einer eigenen Großstadtvision gearbeitet und dabei die Urversion „Metropolis“ beliehen – dass sie einen nicht durch ein paradiesisches Atlantis führen wollen, konnte man ahnen, dass der Citytrip dennoch unterhaltsam und stellenweise sogar spaßig gerät, ist ihr ganz spezielles Verdienst.
Gleich die ersten drei Singles geben einen prima Einstand ab – wenn das Klischee vermöbelt wird und selbst Pep Guardiola einen Knuff abbekommt, („Dies Das Ananas“), wenn die Stadt mal zum Durchatmen kommt („Atmen“) und der Deutsche als ewiger Start-Ziel-Sieger im „Verdrängungswettbewerb“ angeschwärzt wird, weil er den Dreck vor seiner Haustür nicht checkt („Check Yo’Self“), dann geht das richtig gut ab und hat mehr Substanz als die abermillionste TV-Quasselbude am Sonntagabend zur Primetime. Natürlich singen und rappen die vier, wie eingangs erwähnt, auch und gerade hier wieder über die Heimat, über die, die keine mehr haben und hier keine bekommen sollen, über die Abendländler, die mit „Fackeln und Mistgabeln“ zur nächsten Hexenverbrennung rennen, ihr Handtuch aber sonst gern auf den Billigliegen im Morgenland bis auf’s Messer verteidigen und über jene, die ihre Heimat hier und jetzt nicht mehr wiedererkennen und daran zu verzweifeln drohen.
Neonschwarz sind, obwohl zur dritten Gruppe gerechnet, des Jammerns dennoch nicht verdächtig, sie kennen die „Kinder aus Asbest“ genauso gut wie ihre eigene Straße, sie biegen lieber mit dem „Drahtesel“ auf den „Standstreifen“ ab und rufen kurzerhand den „Jogginghosentag“ aus, statt in der Hektik den Überblick und die Lust am Leben zu verlieren. Und vor allem reden sie Klartext, über Kleinbürgersorgen und Biedermannmief, gegen braune Parolen und Wegduckerei und wenn ihre deutlichste Auflehnung „2015“ heißt, dann wissen sie und wir, dass es ein Jahr später leider auch nicht besser geworden ist. Metropolis erhebt sich derweil metallisch aus der weißen Sonne, wenn Marie Curry im Titeltrack ihren kurzen Silbermond-Moment hat – Sorgen muss sich niemand machen, denn ihr Soul hat so gar nichts Bambihaftes und drei Ecken weiter schneidet ihre Stimme schon wieder wie gewohnt die dicksten Stahlplatten. Dieses Album ist also vieles in einem: verzerrt, verwegen, verliebt, ehrlich, mutig, eine Faust und ein Kuss und wer nicht aufpasst, hat schnell ein blaues Auge oder einen fetten Knutschfleck. Wer mit beidem davonkommt, muss nicht unglücklich sein, so richtig auf die Fresse bekommen wirklich nur die Dummen.
12.05. Berlin, About Blank
14.05. Rostock, Riot My Heart Festival
15.05. Flensburg, Dockyard Festival
26.05. Würzburg, Cairo
27.05. Augsburg, Modular Festival
28.05. Münster, Gleis 22
25.06. Leipzig, Laut und Live
15.07. Jena, JG Stadtmitte
16.07. Goldenstedt, Afdreit un Buten
06.08. Hamburg, Spektrum Festival
11.08. Püttlingen, Rocco del Schlacko
27.08. Hannover, Irie Révoltés Open Air