Junge Welt, 09.01.2012
Ukraine: Ehemalige Ministerpräsidentin Timoschenko und Boxweltmeister Klitschko haben keine Probleme mit rassistischen Gewalttätern
Die Ultrarechte der Ukraine sieht sich im Aufwind. Nachdem die neofaschistische Partei Swoboda (Freiheit) bei der Parlamentswahl im Oktober 2012 mehr als zehn Prozent der Stimmen erhalten hat, nehmen gewalttätige Übergriffe und militante Aktionen ihrer Schlägertrupps rapide zu. Zuletzt griffen Swoboda-Anhänger am 21. Dezember die Räumlichkeiten des Stadtrates im südukrainischen Odessa an, nachdem dieser im Rahmen einer Umbenennung auch wieder für eine »Straße der Sowjetischen Armee« gesorgt hatte. Unterstützt von Kleinunternehmern eines angrenzenden Marktplatzes durchbrachen mehr als hundert Neofaschisten, die sich in der Tradition der ukrainischen Nazikollaborateure um die SS-Division »Galizien« sehen, Polizeiabsperrungen und verwüsteten unter Einsatz von Tränengas einen Teil der Inneneinrichtung.
Tränengas setzten die Schlägerbanden der Swoboda auch am 8. Dezember in Kiew ein, als sie eine Kundgebung von Menschenrechtlern und Homosexuellen angriffen, die für ein Ende der Diskriminierung sexueller Minderheiten in der Ukraine demonstrierten. Die Parteiführung Swobodas prahlte mit diesem Übergriff auf ihrer Homepage. Ihre Aktivisten hätten »einen Sabbat von Perverslingen« zerschlagen. Neben fanatischem Antikommunismus und verbissener Schwulenfeindlichkeit ist die Organisation von einem extremen Haß auf Rußland und die russische Bevölkerungsgruppe der Ukraine beseelt. Ihre Parlamentsfraktion forderte Mitte Dezember, daß alle Abgeordneten künftig nur noch ukrainisch im Parlament zu sprechen hätten – und störte die in Russisch gehaltene Rede des Abgeordneten Wladyslaw Lukjanow von der regierenden ostukrainischen »Partei der Regionen« mit chauvinistischen Sprechchören.
Rußland sei der »größte ausländische Feind der Ukraine«, da der Kreml deren EU-Beitritt torpediere und die Reichtümer ihres Landes kontrollieren wolle, erklärten Parteivertreter gegenüber der Financial Times (FT). Innenpolitisch sieht die in der Westukraine beheimatete Swoboda ihren Hauptwidersacher in der ostukrainischen Oligarchie und deren »Partei der Regionen«, die mit antikommunistischen und antisemitischen Äußerungen beschimpf wird. Die Ukraine werde von einer »russisch-jüdischen Mafia« regiert, polterte Parteiführer Oleg Tiahnibok noch 2004, gegen die man wieder zu den Maschinengewehren greifen müsse, wie es einstmals die Kollaborateure Nazideutschlands getan hätten (siehe jW vom 14. Dezember 2012). Trotz rein formeller Distanzierungen vom Antisemitismus hat sich die Parteiführung bis heute nicht für diese Äußerungen entschuldigt. Man spreche doch auch von einer »italienischen Mafia«, witzelte etwa der Parteistratege Andrej Mokhnyk gegenüber der FT.
Trotz ihrer Gewaltbereitschaft und ihres militanten Antisemitismus ist es Swoboda gelungen, eine politische Isolierung zu verhindern. Die Partei der inhaftierten ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko, »Vaterland«, kooperiert mit den ukrainischen Neofaschisten ebenso wie die Gruppierung UDAR (Schlag) des Boxweltmeisters Vitali Klitschko. Am 17. Dezember haben alle drei westorientierten Parteien sogar einen gemeinsamen Oppositionsrat gegründet, der die Koordinierung ihrer Aktivitäten im Parlament erleichtern soll. Somit arbeitet mit UDAR eine von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützte und aufgebaute Partei offen mit neofaschistischen Kräften zusammen. In Reaktion auf die besagten schwulenfeindlichen Übergriffe von Swoboda-Schlägern erklärte Klitschko lediglich, daß er »einige Ideen« Swobodas nicht unterstütze, da sie eine Nähe zum Rechtsextremismus aufwiesen.
Ihren Erfolg verdankt Swoboda einer geschickten populistischen Wahlkampfstrategie, bei der sich die Rechtsextremisten als Anwalt des kleinen Mannes aufspielten. So präsentierten sich die ukrainischen Neofaschisten als Saubermänner, die gegen die ausufernde Korruption im Lande und die regionalen Großmachtambitionen des Kreml zu Felde ziehen. In einigen Regionen der Westukraine konnte Sowboda auf diese Art und Weise bis zu 50 Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinigen. Selbst im Stadtrat der westukrainischen Großstadt Lwiw okkupieren die ukrainischen Neofaschisten inzwischen rund 25 Prozent der Sitze.