Nennt sie endlich Terroristen!

Die Diskussion gerät in diesen Tagen auf eine neue Ebene. Der Terrorismus ist nämlich da. Nur ganz anders, als man ihn politisch und medial dargestellt hat, weniger Kopftücher, weniger fusselige Bärte. Ein Anschlag nach dem anderen wird verübt, schon über 200 dieses Jahr. Es handelt sich um die Entstehung eines neuen, völkischen Terrorismus. Und in den sozialen Medien kann man in Echtzeit zusehen, wie der Nährboden dafür bereitet wird.

Die deutsche Seite von "Buzzfeed" hat Screenshots aus einer geschlossenen Facebook-Gruppe mit mehr als 2700 Mitgliedern veröffentlicht. Es handelt sich um die Organisations- und Kommunikationsplattform einer "Bürgerwehr". Zitate:

  • "Männliche Person mit südländischem Aussehen... bin mal kontrollieren!"
  • "Ausländische Familie (3 Personen) laufen in den Straßen herum... Achtung!"
  • "Ist jemandem der Ausländer in schwarzer Jogginghose aufgefallen?"

Es ist ein Einblick in eine dunkle, beschämende Welt, in der Menschen verdächtig sind durch ihr Aussehen. Der auffällig oft benutzte Begriff "ausländische Personen" ist nicht nur eine seltsame Form des Amtsmimikry, die plumpe Nachahmung von Behördensprech, um sich offizieller und legitimierter zu fühlen. Es handelt sich auch um eine rassistische Chiffre, denn natürlich geht es in keiner Sekunde um irgendwelche Staatsbürgerschaften. Es geht allein um Zugehörigkeit und Ausgrenzung qua Haut- und Haarfarbe: waschechter Rassismus.

Aber nicht nur das. Schon der Name Bürgerwehr offenbart das Selbstverständnis: Hier schließen sich "Bürger" zusammen, um sich zu "wehren", permanenter Alarmismus, basierend auf dem Gefühl, endlich zurückschlagen zu müssen - gegen "Ausländer". Gleichzeitig wird im Netz die Gegnerschaft konstruiert: anders aussehende Menschen. Hier ist eine oft gewaltaffine Frontenbildung anhand eindeutig rassistischer Kriterien zu besichtigen, die Live-Konstruktion eines eskalierenden "Wir-gegen-die"-Gefühls im Netz. Vermischt mit der ständigen Behauptung, der Staat würde hier versagen, die Polizei hätte die kriminellen Ausländer nicht im Griff. Eine Behauptung, der die Statistik widerspricht, aber es geht nicht um Realität, sondern um ein Gefühl.

Aus eingebildeter Notwehr Flüchtlingsheime anzünden

In einem der wichtigsten Bücher der Terrorismusforschung, "Eine Geschichte des Terrorismus" schreibt Walter Laqueur über die Täter: "...selbsternannte Retter von Freiheit und Gerechtigkeit, ungeduldige Männer, Fanatiker und Verrückte, die sich vergebens auf das Recht zur Selbstverteidigung berufen und das Schwert [...] als Heilmittel gegen alles echte oder eingebildete Böse betrachten." Die Passage liest sich wie eine Typologie jedes zweiten Hasshetzers auf Facebook. Es geht also um das Gefühl, in einer Art herbeifantasierter Notwehr zur Selbstverteidigung zu handeln. Diese Leute glauben, sich verteidigen zu müssen. Das genau ist die Stimmung, in der terroristische Akte geschehen, denn in Notwehr erscheint schließlich auch Gewalt legitim.

An den gewalttätigen Rändern dieser Gruppierungen bedeutet das, aus eingebildeter Notwehr Flüchtlingsheime anzuzünden: eine geradezu mustergültige Täter-Opfer-Umkehr. Ihre Gewissheit, endlich "handeln" zu müssen, ihre potenziell tödliche Selbstgerechtigkeit aber schöpfen sie aus ihrem sozialen, medialen, politischen Umfeld. Und nicht nur redaktionelle Medien und Politik spielen hier eine bittere Rolle, wie Maximilian Popp perfekt analysiert hat - sondern eben auch die sozialen Medien.

Ein neuer, alter Typus des Netzbürgers bildet das Fundament für diese Haltung. Er ahnt, dass er mit seinen Statements in trübstmöglichen Gewässern fischt. Und deshalb versucht er, sich davon vorauseilend zu distanzieren: "Ich bin ja kein Nazi, aber..." - Leute, die diese Argumentationsmuster ernsthaft benutzen, nenne ich Aber-Nazis. Nach dem "aber" folgen fast immer Selbstvergewisserungen, es gäbe eine Bedrohung, man gehöre in Wahrheit also zu den Opfern und müsse sich daher endlich wehren. Mit solchen Formulierungen zementiert sich die Haltung, die - mit Walter Laqueur - letztlich zum neuen völkischen, netzbeheizten Terrorismus beiträgt. Indem es die Täter in ihrer selbstmitleidigen Opferpose bestärkt, die irgendwann in Gewalt umschlägt.

Parallelen zur Rekrutierung des IS

Angesichts der zentralen Rolle, die die sozialen Medien bei der Selbstverstärkung dieser Stimmungen spielt, ist um so fataler, dass Facebooks gegenwärtige Moderationsmethoden zu oft auf dem Hass-Auge blind sind. Der Medienjournalist Thomas Lückerath meldet konsequent flüchtlings- und ausländerfeindliche Postings und dokumentiert den Umgang damit. Aktuelles Beispiel: der Aufruf eines Passauers, Flüchtlinge im Rahmen seines "Appells saubere Straßen in Deutschland" mit LKW zu überfahren - verstößt nach einer angeblichen Prüfung einigermaßen überraschend nicht gegen die "Gemeinschaftsstandards" von Facebook. Was nur die halbe Wahrheit ist, denn natürlich verstößt so ein Aufruf gegen ungefähr alles. Facebook hat aber ein völlig ungelöstes Hatespeech-Problem. Mit der Folge, dass die Aber-Nazis dort beinahe ungehindert Stimmungen produzieren und verstärken können.

Bezeichnenderweise gibt es in der verbreiteten Hasskommunikation Parallelen zur internetbasierten Rekrutierung des "Islamischen Staates": der beherrschende Rachegedanke, die radikale Wir-gegen-die-Front gegen alles Andersartige, die antimediale Haltung. Dazu kommt die Vermittlung des Gefühls, eine andere, "bessere" Gesellschaft zu repräsentieren und nicht zuletzt die Inszenierung der und Faszination für die Gewalt. Leute, die mit einer gewissen Bewunderung Enthauptungsvideos kommentieren, sind aus dem gleichen Holz geschnitzt wie diejenigen, die sich für brennende Flüchtlingsheime begeistern.

Der Terrorismus hat Deutschland erreicht - und er muss politisch und medial konsequent so benannt werden. Nennt die Leute, die Flüchtlingsheime anzünden, endlich Terroristen! Denn wer eindeutig terroristischen Akte wie Brandanschläge per verharmlosender Bezeichnung herunterspielt, ist Teil des Problems und nicht der Lösung. Wenn nur ein Zehntel der Energie, der Härte und der Entschlossenheit gegenüber Islamistenterror in den Kampf gegen den völkischen Terrorismus und seine Sympathisanten gesteckt würde - es wäre viel gewonnen."


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