Eine sehr gute Idee!
Andreas Thema zum „kindlichen Nein aus elterlicher Sicht“ auf ihrem Blog Runzelfüsschen fand ich sofort spannend.
Als Eltern, die vielmehr begleiten statt klassisch zu erziehen, begegnet uns gerade dieses Thema schon lange und immer wieder. Klar, wir sind seit bald 14 Jahren Eltern und haben diverse Kinder – da bleibt es nicht aus, sich immer wieder mit den frei entfalteten Individuen um uns herum auseinanderzusetzen. Und zwar konstruktiv, bitteschön.
Ich las mich ein wenig durch die bereits zur Parade verfassten Artikel und überlegte:
„Tja, wie sieht das denn bei mir aus? Wie gehe ich mit einem kindlichen Nein um? Und wie handhabe ich es überhaupt mit diesem Wort?“
Das N-Wort
Dieses Wort – wie wir alle schon gefühlt Tausend Mal gehört haben – ist basal wichtig für das gesamte Leben. Von der aktuell (endlich!) groß diskutierten sexuellen Selbstbestimmung, bis hin zur Abgrenzung, zum Schutz vor Überforderung und Erschöpfung: Das Nein ist einfach genial. Allerdings nicht genial einfach in der Ausführung.
Das Nein ist die Kür des Selbstbewusstseins. Das Nein fragt nicht danach, ob Nein-SagerInnen trotzdem lieb gehabt werden. Das Nein will schützen, ausdrücken, ablehnen, klarstellen. Es will nicht für Harmonie sorgen, sich anpassen, gemocht werden, lieb sein und helfen wie das Ja.
Wobei diese Klassifizierungen eventuell Klischees sind, die sowohl das Ja selbst als auch das Nein im Sinne des gleichberechtigten und vorurteilsfreien Umgangs ablehnen würden.
Schauen wir uns doch beide mal im von uns Eltern gel(i)ebten Alltag situativ an:
„Nein, es gibt jetzt keine Bonbons.“
Dieser Satz wird von Kinder zwischen rund 2 und 20 Jahren sehr ungehalten aufgefasst. Mögliche Reaktionen: Wutanfall mit und ohne Tränen sowie mit und ohne gesamten Einsatzes des Körpers, Betteln, Schimpfen oder vernunftbegabte Akzeptanz im Verbindung mit mühsam erlerntem Bedürfnisaufschub. Letzteres eher selten und überwiegend erst bei Kindern ab circa 21 Jahren gut zu beobachten.
„Nein, wir bleiben nicht länger hier. Wir fahren jetzt nach Hause.“
Nun, dies ist eine situationsabhängige Aussage: Beim Zahnarzt löst sie etwas mehr Begeisterung aus als auf dem Spielplatz oder beim Besuch einer befreundeten Familie mit netten Kindern, Kuchen und einem Kachelpool.
„Nein, du darfst deiner Schwester nicht an den Haaren ziehen! Hör sofort auf!“
Auch hier ist die Freude beim Hören des Satzes eher einseitig: Nur die Schwester mag Erleichterung zeigen. Ehe sie zur Rache übergeht. Dann ist ein weiteres Nein gefragt.
Das Nein ist knallhart. Bereits der Buchstabe N kann nach einer kontinuierlichen Benutzung über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten Unbehagen auslösen. Eine Nein-Phobie entwickelt sich. Viele Menschen sind betroffen.
Dies betrifft nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene. Hier sind es besonders (diverse, einige, nicht ganz so wenige) Männer, die eine Ablehnung als Vernichtung ihrer Gesamtgeschlechtsidentität nicht hinnehmen wollen und straffällig werden. Nein scheint also auch Gefahren zu bergen. Nein wird nicht immer akzeptiert. Und ist dennoch nötig.
Das sollte man also vorleben: „Ich akzeptiere Dein Nein“ ist absolut wichtig für die Entwicklung eines Menschen. Es steht für Akzeptanz und Respekt. Und sollte von beiden Seiten gelebt werden: Von Kindern und Eltern.
Akzeptieren lernen oder sanft umschiffen?
Anja von der Kellerbande beschrieb in ihrem Beitrag zur Blogparade, ein Nein könne man umschiffen, indem man es positiv umformuliert. Das ist eine sehr gute Idee – die ich auch immer gerne verwende, wenn sie denn umsetzbar ist.
Manchmal erscheint es mir wie eine Toddler-Tortur, wenn die anderen Familienmitglieder Nummer 4 genüsslich ein Nein präsentieren. Wie ärgert er sich und regt sich auf, wenn sie in dieser besonderen „Nun-lernst-du-etwas-über-Konsequenz-und-so“-Art das Four-Letter-Word einsetzen. Und dann weint er meistens. Komisch.
In der Tat finde ich „Nein, wir gehen jetzt nicht in den Garten. Nein, da regnet es.“ wesentlich unglücklicher formuliert als „Lass uns drinnen spielen, ja? Draußen werden wir im Moment einfach zu nass. Wir gehen raus, wenn es nicht mehr regnet.“
Allerdings ist es wichtig, Möglichkeiten zu bekommen, um zu lernen, das Nein zu akzeptieren. Daher sollte es dann und wann zum Einsatz kommen. Es zu umschiffen ist sicherlich sinnvoll, um das Kind nicht andauernd seiner gesamten negativen Gefühlspalette auszusetzen. Vor allem eben, wenn es noch klein ist. Zugleich aber sollte es begreifen, wo Grenzen sind. Das ist eine Erfahrung, die es unabdingbar für seine Entwicklung braucht.
Vorbild sein
Wie so oft. Nein – leider wie immer – ist es unerlässlich, ein Vorbild zu sein. Am besten ein gutes. Ein schlechtes Vorbild ist natürlich auch nicht zu verachten – oft ist es ja das Einzige, wozu man an manchen Tagen taugt.
Insgesamt sind wir ja aber immer darum bemüht, möglichst fehlerfrei durch die Elternphase des Lebens zu kommen. Auch wenn das vollkommener Irrsinn ist – aber so sind wir liebenswürdigen, liebenden Eltern eben: Wir wollen für unser Kind so viel Glück, Erfüllung und innere Sicherheit wie möglich. Das zeichnet uns aus.
Und wenn man nur ein gutes Vorbild ist, dann reagieren Kinder binnen kurzer Zeit wie in folgendem Beispiel:
Kind: „Nein, Mama, ich brauche keine Jacke. Neeeeiiiiin!“
Mutter: „Aber es sind nur 8 Grad draußen und es regnet. Du wirst krank. Und überhaupt: Kannst du das nicht mal positiv formulieren? Mich nervt dein dauerndes Nein!“
Kind: „O-okay: Ich möchte bitte lieber keine Jacke anziehen. Ich mag den Regen auf meiner Haut und im Auto ist es dann eh wieder so warm, dass ich schwitze.“
Mutter: „Na bitte. Geht doch. Hab ich dir doch auch so vorgemacht – das positive Umformulieren.“
Pö-hö. Ja, da könnt Ihr lange drauf warten, dass es so abläuft – aber es wäre nett, ne?
My beloved room: Die Meta-Ebene
Es geht aber in der Tat schon in diese Richtung, wenn man mit dem Kind die Meta-Ebene nutzt. Etwas, das ich persönlich eh immer gern mal empfehle: In Partnerschaften ebenso wie in der „Erziehungs“-Beziehung.
Die Meta-Ebene ist ein Ort, an dem weder Vasen noch Schimpfworte fliegen. Dort trifft Verstand auf Verstand. Und das Drumherum wird draußen gelassen. Ein sicherer Raum, in dem jeder sprechen kann. Der/die eigene, innere/r MediatorIn spricht und hört hier zu.
Bei uns geht das so:
„Okay, Kinder, ihr wundert euch, warum ihr in letzter Zeit mehr Aufgaben im Haushalt bekommt. Das erkläre ich euch, damit ihr nicht etwas übergestülpt bekommt, dessen Hintergrund ihr weder kennt noch zu dem ihr etwas sagen könnt. Ich habe das probeweise so eingeführt, weil ich bemerkt habe, wie ihr in eine Dysbalance geratet, weil ihr den gesamten Nachmittag im Bett liegt. Es ist wichtig, dass man Phasen von Entspannung mit Phasen von gesunder Anspannung abwechselt. Einseitige Überbetonung führt zu allerlei mistigen Gefühlen. Wie fühlt ihr euch, nachdem wir das nun einige Tage so ausprobiert haben?“
So habe ich das hier erst vor wenigen Tagen gesagt. Und schon habe ich die Kinder, die sich durch diese Art meines Respekts gewertschätzt und wahrgenommen fühlen, ein Stück weit auf der Meta-Ebene. Sie protestieren zwar dennoch maulend, wenn sie anschließend die Küche aufräumen müssen, aber sie tun es im Bewusstsein unserer Begegnung auf der Meta-Ebene. Und nehmen es an, weil sie zuvor einräumten, es sich eigentlich so zu wünschen: Mehr Aufgaben und dadurch auch mehr innere Ausgeglichenheit sowie das gute Gefühl, ein konstruktiver Bestandteil der Familie zu sein.
Und das mache ich schon mit dem Kleinsten so.
„Ich würde dir supergerne gläserweise Bonbons geben, mein Süßmann. Aber das geht nicht. Dann würdest du schlechte Zähne bekommen und wärst irgendwann ganz dick und könntest krank werden. Leider darf ich das nicht. Ich würde gerne, aber es geht nicht.“
Ja, er weint dann trotzdem vielleicht im Gedanken an Gläser voller Süßkram, aber er versteht, dass auch ich nicht die allmächtige Entscheiderin bin. Es geht eben nicht um Macht, sondern um Notwendigkeit und Sachzusammenhänge.
Später sagte er dann: „Ich will noch einen Keks. Ich will dick werden. Das finde ich schön.“
Gut Ding will Weile haben und so …
Die Dosis macht’s
Das Nein verwende ich nicht inflationär, sondern mit Bedacht. Und meist lasse ich es einfach weg. Außer es hat konkret einen rhetorischen Nutzen.
„Können wir tauschen?“
fragt Nummer 4 gerne, wenn er sein Eis fast weggeschleckt hat und dann auf meines guckt.
„Nein. Ich habe mich auch auf mein Eis gefreut. Und du hattest schon eines. Aber ich lasse dich gerne mal lecken.“
Na klar kann die brave, aufopferungsvolle Mama hier sofort eilends und fast beschämt über das eigene Eisschleckbedürfnis hinweg ihre Kaltspeise komplett weiterreichen. Und genau das habe ich früher auch getan. Mir fehlte einfach der Mut, mich entgegen dem pädagogischen Mainstream zu verhalten (Hoch lebe der Mythos der aufopferungsvollen Mutter ohne eigene Bedürfnisse!). Das ist aber falsch. Denn die Lehre des Kindes hierdurch ist:
„Die sagt immer Ja und gibt mir alles. Als Mutter denkt man nie an sich. Wenn ich mal Mutter werde, dann gebe ich auch immer allen alles bis ich ganz leer und erschöpft bin. Ich bekomme als Kind immer, was ich will und als Erwachsene gar nicht mehr. Vielleicht sollte ich schön viel an mich reißen, so lange ich klein bin und dann am besten nicht erwachsen werden, denn immer mein Eis abgeben zu müssen stinkt mir bereits jetzt schon.“
Vielleicht ist es gut, Kindern zu zeigen, was wichtig ist. Und was nicht. Sich ein Eis zu gönnen ist gut und richtig. Sich alles wegschlecken zu lassen nicht unbedingt. So sehe ich das zumindest inzwischen. Daher gibt es dann ein gesund abgegrenztes Nein von mir.
So viel aus unserem Hause zum Thema Nein.