Nein, die Linkspartei ist nicht antisemitisch, aber…

Dass sie es doch sein könnte, ist der Unterton, der bei notwendiger medialer Verkürzung entsteht. In einer Studie (die eigentlich eher ein knappes Essay ist) mit dem Titel “Antisemiten als Koalitionspartner?” (PDF-Download Frankfurter Rundschau) stellen der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn und Sebastian Voigt die These auf, dass in der Linkspartei antisemitische Positionen nicht nur toleriert werden, sondern der Antisemitismus eine “weitgehend konsensfähige Position” sei. Anhand von Positionen einiger Linkspartei-Politiker wird das Bild einer Partei gezeichnet, die in der Frage des Antisemitismus (noch) unentschieden sei.

Nun gäbe allein die Definition darüber, was Antisemitismus eigentlich ist, Platz für ausgiebige Diskussion – die hier unterbleiben muss. Antisemitisch ist aber z.B. eine Problemzuschreibung wie ” ‘jüdisch und demokratisch’ “– ein unlösbarer Widerspruch. Diese Aussage machte der Fraktionsvorsitzende der Duisburger Linksfraktion im Interview mit der kleinen, eher unbekannten Online-Zeitung freiheitsliebe.de. Er bezog sich dabei auf den Anspruch Israels, jüdisch und demokratisch zu sein. Nun mag man über beides diskutieren, gibt es doch israelische Bürger die nicht jüdisch sind und ist die Demokratie auch in Israel ausbaufähig, auch wenn das Land demokratischer ist als alle Länder drumherum. Doch durch die Bewertung von jüdisch und demokratisch als einen nicht lösbaren Widerspruch wird es Antisemitismus, da Israel demnach nicht demokratisch sein kann, weil es jüdisch ist. Zuschreibung eines Problems auf das Jüdische, ergo antisemitisch.

So anschaulich wie dieses Beispiel ist, so wenig ist daraus abzuleiten, dass die Linkspartei an sich antisemitisch ist. Es gibt andere Beispiele, über die in der Linkspartei selbst immer wieder diskutiert wird, z.B. die aktive Interstützung der sogenannten Gaza-Flotille durch zwei Bundestagsabgeordnete der Linkspartei oder die Boykottkampagne israelischer Waren, die von einer wortreichen offiziellen Nicht-Verurteilung durch die Bremer Landesspitze der Partei begleitet wurde. Ob hier Antisemitismus vorliegt oder nicht, sei dahingestellt. Sicher ist nur, dass die Bundesspitze der Linkspartei wiederholt erklärt hat, dass die Linkspartei Aufrufe zum Boykott israelischer Waren klar verurteilt – während die Bremer Linkspartei erklärt, dass sie die Boykott-Kampagne nicht verurteilt.

In Duisburg wurde vor kurzem eindeutig antisemitisches Propaganga-Material als Download auf dem Server der dortigen Linkspartei gesichtet. Der Stadtverband handelte zwar sofort und ließ das Material löschen. Gleichzeitig teilte er aber mit, es könne sich um einen Hackerangriff gehandelt haben – was anschließend dementiert werden musste. Das Material kam also von bisher unbekannt, aber wohl aus den eigenen Reihen mit Zugriffsrechten auf die Webseite.

Eine Abgeordnete der Linkspartei sprach vor kurzem auf einer großen Tagung einer palästinensichen Vereinigung in Deutschland. Dabei trug sie einen Schal mit einer skizzierten Karte Palästinas drauf, Israel fehlte dagegen. Ist das Antisemitismus? Auch darüber gibt es viele Meinungen, klar ist nur, dass dies eindeutig nicht mit der offiziellen Position der Linkspartei und ihrer Linksfraktion in Einklang zu bringen ist, wonach zur Lösung des Nahost-Konfliktes eine Zwei(!)staaten-Lösung für Palästina und Israel zwingend dazu gehört.

Reichen diese Beispiele, um der Linkspartei “konsensfähigen” Antisemitismus vorzuhalten? Nein! Denn alles genannte führt meistens immer wieder zu einer kleinen Teilmenge der Linkspartei. Die vielen Mitglieder der Partei, also nicht nur die Funktionäre, demonstrieren gegen Nazis oder behindern deren Demonstrationen. Es gibt persönliche Verbindungen und Reisen nach Israel, aktuell bereist eine Delegation von linken Bundes- und Landespolitikern das Land. In allen Programmen und Programmentwürfen der Partei wird Antisemitismus verurteilt. Es gibt die vielen einfachen Mitglieder, die zwar nicht unbedingt die  Politik Israels super finden, aber dennoch keine Antisemiten sind. Es gibt einen sehr aktiven Arbeitskreis der Jugendorganisation, der viel gegen Antisemitismus tut. Damit kommen wir wieder zum Kern zurück, denn dieser Arbeitskreis Shalom hat es sich zur Aufgabe gemacht, gegen Antisemitismus (auch) in den eigenen Reihen anzugehen. Dies tut er zwar oft etwas nervend, aber zumindest innerparteilich laut vernehmbar – auch wenn die Positionen manchmal übertrieben scheinen. Doch die Existenz des BAK Shalom selbst ist ein starkes Indiz, dass es Antisemitismus (in welcher Ausprägung auch immer) innerhalb der LINKEN durchaus gibt. Und was sagt uns das?

Es gibt in der Linkspartei nur einige aktive Mitglieder, die antisemitische Positionen beziehen, egal ob wissentlich oder unwissentlich. Es gibt Parteimitglieder denen nicht immer bewusst ist, dass sie manchmal inhaltlich am antisemitischen Rand agieren und den Antisemitismus-Vorwurf ehrlichen Herzens zurückweisen würden. Und es gibt ganz viele Mitglieder, die sich gegen Antisemitismus engagieren. In der Partei selbst, auf Demonstrationen, in Projekten der Zivilgesellschaft, in Verwaltungen und Parlamenten.  Öffentlich wird (zu recht) über diejenigen gesprochen, die die Grenze zum Antisemitismus überschreiten, da sie den wahrgenommen und zugeschriebenen Grundkonsens gegen den Antisemitismus – quasi eine “rote” Haltelinie – verletzen.

Der Studie “Antisemiten als Koalitionspartner?” sind einige, meist zutreffende Momente der aktuellen politischen Situation der Linkspartei entnehmbar. Es ist den Autoren dafür zu danken, dass sie darauf hinweisen – nach dem gern auch in der Linkspartei verwendeten Motto: “Wehret den Anfängen”. Parteien gehen jedoch keine Koalitionen mit einzelnen Mitgliedern ein, sondern mit anderen Parteien. Auf die der Überschrift zu entnehmenden Frage, ob andere Parteien sich auf Koalitionen mit einer antisemitischen Linkspartei einlassen würden, kann die Studie keine bejahende Antwort geben, schon rein quantitativ ist ihr das nicht möglich. Es steht zu vermuten, dass dieser Nachweis auch nicht möglich ist, da eine im Konsens antisemitische Linkspartei an sich zerbrechen würde, fehlte dann doch ein sehr wichtiger Baustein des innerparteilichen Zusammenhaltes.

Die eigene politische These der Linkspartei zum Antisemitismus besagt u.a., dass Antisemitismus ein Problem der gesamten Gesellschaft ist und aus deren Mitte immer wieder entsteht. Da die Linkspartei selbst Teil der Gesellschaft ist, ist es nur logisch, dass auch sie nicht frei von Antisemitismus ist. Falls es das bisher nicht in den Schreibtischen der Linkspartei gibt, könnte sie bei sich und für sich aktiv das umsetzen, was sie von der Bundesregierung fordert: einen regelmäßigen Bericht zum Thema Antisemitismus. In der eigenen Partei.


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