Das Buch habe ich schon ewig bei mir liegen; aber es erst jetzt gelesen. Warum? Weil ich Keleks tete-á-tete mit Sarrazin unmöglich fand? Ja, auch deshalb. Vor allem aber, weil ich von anderen, die das Buch lasen, hörte, dass es selbst nicht frei wäre von Ausgrenzungen. Und das vorab: es hat sich bestätigt.
Aber der Reihe nach: Ein Großteil des Buches ist die Autobiographie der Autorin. Und dies zu lesen ist spannend und lehrreich. Es sollte fast genügen, um die Probleme, vor denen Familien stehen, die aus der Türkei – aus Anatolien – nach Deutschland einwandern, begreiflich zu machen. Es wird schnell klar, dass Necla Kelek einen eher unüblichen Weg geht, der sie zu dem macht, was sie jetzt ist: eine überaus kritische Kommentatorin der gescheiterten Integration in Deutschland.
Mir scheint jedoch, als würde sie das Kinde mitsamt Bad ausschütten, wenn sie einzig den Migranten “die Schuld” am Scheitern der Integration geben möchte. Sicherlich sind viele der Argumente, viele der geschilderten Facetten richtig und korrekt beobachtet. Jedoch ist es einfach falsch, anzunehmen, dass andere Menschen die Kraft und den Mut haben würden, sich – wie sie – gegen die Normen der Kultusgemeinde, der Umma zu stellen. Wer meint, dass dies einem Migranten leicht fallen müsste, irrt ganz einfach.
Richtig hingegen sind Keleks Hinweise und Ratschläge an die deutsche Mehrheitsgesellschaft.
Eine Toleranz, die selbst noch die Intoleranz und alltäglichen Gewaltverhältnisse als Bestandteil eines “anderen kulturellen Kontextes” hinzunehmen, ja, zu respektieren bereit ist, entlarvt sich letzten Endes als wertlos und gibt damit jeden Anspruch preis, die Gesellschaft nach allgemein gültigen Rechten und Verpflichtungen zu gestalten. Menschenrechte, Grundrechte sind nicht teilbar, nicht kulturell relativierbar. (Seite 276)
Wie jedoch diese unteilbaren Menschen- und Grundrechte den türkische-muslimischen Menschen vermittelt werden können kann auch Necla Kelek nicht beantworten. Sie sieht – wie ich – jedoch als ersten Schritt in diese Richtung einen Deutschunterricht als dringend notwendig an. Ich gehe da noch einen Schritt weiter und meine, dass Bildung insgesamt Grundvoraussetzung ist, um Menschen in die Lage zu versetzen, am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen. Allerdings mangelt es daran ja nicht nur bei Migranten.
Wenn man aber all die überspitzte Polemik aus Keleks Buch herausnimmt und von ihrer – aus persönlicher Betroffenheit verstärkte – Abneigung gegen religiöse (muslimische) Türken absieht, bleibt ein Credo übrig, dass auch ich unterschreiben kann:
Die staatliche Neutralität gegenüber den Religionen darf nicht so weit gehen, dass Grund- und Menschenrechte im Namen der Religionsfreiheit verletzt werden. Damit fielen wir hinter alles zurück, was die Aufklärung historisch in einem langen Prozess an Freiheiten für den Einzelnen gebracht hat. Und wir gäben damit das Fundament unserer zivilen Gesellschaft auf – den Rechtsstaaat. (Seite 264)
Man darf gespannt sein, wie Necla Kelek dieses Credo morgen im Fernsehen verteidigen wird.
Nic
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