“Nebraska” von Alexander Payne

Erstellt am 4. Januar 2014 von Denis Sasse @filmtogo

David (Will Forte) und Woody (Bruce Dern) auf ihrem Trip nach Lincoln in Alexander Paynes “Nebraska”

Der amerikanische Road Trip wird vermutlich von fast niemanden so sehr zelebriert wie von Regisseur Alexander Payne. Er schickte schon Jack Nicholson als grummeligen Warren Schmidt auf eine Reise nach Denver um dort seine Tochter von einer Hochzeit abzuhalten. In dem Oscar-prämierten Sideways werden wir Teil der Reise von Paul Giamatti und Thomas Haden Church durch die Weinlandschaft von Santa Barbara County und zuletzt begleiteten wir George Clooney in The Descendants nach Kauai. Immer wieder werden diese Ausflüge als Ausbruch aus einem monotonen, traurigen Leben dargestellt. Der alte Mann, der nach dem Tod seiner Frau nicht allein sein will (About Schmidt), der geschiedene, depressive und alkoholsüchtige Englischlehrer der gemeinsam mit dem erfolglosen Schauspieler loszieht um dem Leben zu entfliehen (Sideways) oder der Ehemann, dessen Frau im Dauerkoma verweilt (The Descendants) – immer ist Alexander Paynes Road Trip aber auch ein Zurückfinden ins Leben.

So nun auch in Nebraska, einer Reise aus dem öden Billings in Montana durch die Badlands in das noch tristere Lincoln mit einem familiär-grotesken Zwischenstopp in der fiktiven Stadt Hawthorne. Dieses amüsant-melancholische Intermezzo ist eigentlich nicht das Ziel von Woody Grant, überaus stark von Bruce Dern gespielt. Der alte Mann wird durch ein Werbeprospekt getäuscht. Er glaubt an einen Millionengewinn im Lotto. Doch eigentlich versteckt sich nur ein Zeitschriften Abo hinter der Nachricht. Das hindert den verwirrten Mann nicht daran an den Gewinn zu glauben. So leichtgläubig er ist, so gutmütig ist sein Sohn David (Ex-Saturday Night Mitglied Will Forte). Da weder Woodys Ehefrau Kate (June Squibb spielt sie ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen) noch Sohnemann Ross (Bob Odenkirk) bereit sind sich mit Woody auf den 900 Meilen-Trip nach Lincoln zu machen, meldet sich David kurzerhand in seinem langweiligen Job als Elektronikfachverkäufer krank und bricht mit seinem Vater auf eine Reise auf, die ihn zurück zu einer Verwandtschaft führt, die vor lauter Einsiedlertum und Neid keine familiären Gefühle aufkommen lässt. Aber gerade dort, wo Familie ein Fremdwort ist, findet David einen Zugang zu seinem Vater.

Bruce Dern

Nebraska ist ein durch und durch ruhiger Film in schwarz weiß geworden. Alexander Payne trifft die melancholischen Töne allein durch die kalten Bilder die er uns zeigt, vermischt diese mit einer gut eingestreuten Prise Humor, niemals brachial, immer im Tonus des Films verbleibend. Da steht Bruce Derns Leistung als Woody Grant ganz vorne. Unterhaltungen sind mit diesem Mann nicht möglich. Seine Antworten auf Fragen bestehen zumeist aus “Keine Ahnung” oder “Wen interessiert’s?”. Dann aber, wenn er mit der Familie Orte seiner Kindheit aufsucht, steht ihm weitaus mehr ins Gesicht geschrieben, als der ganze Film an Dialogen parat hält. Die Trauer in seinem Gesicht zeigt einen Mann, der sich zwar aus seiner ländlichen Heimat lossagen und dem Leben dort entfliehen konnte, dennoch hat dieses Leben auch einen Mann hervor gebracht, der auf ein Dasein zurück blickt, dass ihn selbst nur sehr wenig zufrieden stellt. In solchen Momenten muss man Woody überaus ernst nehmen.

In anderen Szenen gewährt Alexander Payne den Zuschauern dann einen obskuren Blick in das Familienleben dieses Mannes. Gar nicht so abwegig inszeniert, dennoch eher eine komödiantische Leistung. Selbst im Zusammensein mit zahlreichen Verwandten wird hier lieber geschwiegen, man hat sich auch nicht viel zu erzählen. Vielleicht die Cousins die wegen einiger Delikte eine Gefängnisstrafe abgesessen haben. Aber was sollen die armen Kinder in dieser Ödnis auch sonst tun, als Raubüberfälle und Nötigungen zu vollziehen? Zwar mag hier so manche Situationskomik verborgen liegen, doch im Unterholz dieser kalten Landschaft liegt Verzweiflung vergraben. Das Leben wurde hier in Hawthorne bereits aufgegeben. Diese harten Zeiten haben harte Ansichten verursacht. Kein Wunder also, dass selbst die liebe Familie dem vermeintlichen Lottogewinner nach dessen Vermögen trachtet.

Will Forte

So manches Mal möchte man durchdrehen, wenn man dieser Tristesse ausgesetzt wird. Aber auch die Dreistigkeit die manch ein Bewohner Hawthornes an den Tag legt, ist nur schwerlich zu ertragen. Wie gut, dass Alexander Payne, so stillschweigend seine Filme auch ablaufen, immer einen Faustschlag parat hat, der die Ruhe durchbricht. Sandra Oh vollführte mit einem Motorradhelm einen Schlag gegen Thomas Haden Church in Sideways, George Clooney durfte seine Wut an Matthew Lillard in The Descendants auslassen und in Nebraska ist es Will Forte, der einmal kurz in sich gekehrt die aufgestaute Wut versammelt um einen vernichtenden Faustschlag folgen zu lassen. Danach kommt man dann endlich mal wieder ein wenig zu Luft, dieser Schlag ist zur emotionalen Entladung dringend notwendig.

Will Forte funktioniert überraschend gut als dieser verunsicherte Mann, der vor seinem inneren Auge sieht, wie sein Leben ähnlich dem seines Vaters zu verlaufen droht. Als Ex-Mitglied der Comedy Gruppe um Saturday Night Live hätte man nicht solch ernste Töne von dem Comedian erwartet, aber er zeigt sich an der Seite von Bruce Dern als guter Coup. Immer ein wenig verzweifelt mit seinem Vater, immer ein wenig Unsicher wie er sich verhalten soll, immer mit der Melancholie im Schlepptau, die ihn vor seinem eigenen Alltag flüchten lässt.

Mit Nebraska ist Alexander Payne ein schöner Film geglückt, der sich dem Leben fernab der Großstadt widmet, in dem es aber auch um Vergangenheitsbewältigung und das Vergeben und Vergessen geht. Wie jeder gute Road Trip zeigt der Film nicht wo die Reise startet, sondern wo sie hinführen kann. Das ist bei Woody und David die schweigsame Akzeptanz zweier Existenzen, die sich im tiefsten Inneren gern haben, aber nie gelernt haben, wie sie das zum Ausdruck bringen sollen.


“Nebraska”

Originaltitel: Nebraska
Altersfreigabe: ab 6 Jahren
Produktionsland, Jahr: USA, 2013
Länge: ca. 115 Minuten
Regie: Alexander Payne
Darsteller: Bruce Dern, Will Forte, June Squibb, Bob Odenkirk, Stacy Keach

Kinostart: 16. Januar 2014
Im Netz: www.nebraska-film.de