Kino
Veröffentlicht am 7. Februar 2014 | von Martina Zerovnik
Wertung
Summary: minimalistische, aber beeindruckende Gesamtleistung aus Inszenierung, Drehbuch, Schauspiel, Kamera und Musik
4.5
Tragikomödie
Ein alter Mann auf der Suche nach einem Lebensinhalt. Davon hat Alexander Payne bereits in About Schmidt (2002) erzählt. Mit seinem neuesten Film Nebraska setzt er erneut hier an und kehrt nach Ausflügen nach Kalifornien (Sideways) und Hawaii (The Descendants) zu seinen Wurzeln in den mittleren Westen Amerikas zurück.
Woody Grant (Bruce Dern), ein alter und etwas seniler Mann, glaubt auf einen Werbebrief hin 1 Million Dollar gewonnen zu haben und macht sich mehrmals zu Fuß von Billings, Montana Richtung Lincoln im Bundesstaat Nebraska auf. Schließlich erklärt sich sein Sohn David (Will Forte) bereit, mit ihm dorthin zu fahren, obwohl er wie Woodys Frau Kate (June Squibb) und der zweite Sohn Ross (Bob Odenkirk) befürchtet, dass der alte Mann den Verstand verloren haben könnte. Auf ihrer Reise nach Lincoln machen sie bei Woodys Familie in Hawthorne halt. Für diese und den Rest der Einwohner ist der angehende Millionär Woody das aufregendste Ereignis und der größte Stolz der Kleinstadt. Nicht nur die Verwandten, auch ehemalige Freunde melden sich unliebsam an, um ein Stück vom Reichtum zu ergattern.
Alexander Payne taucht die Geschichte in eine Melancholie der Mittelmäßigkeit, die sich aus dem von Anfang an gewissen Scheitern des Protagonisten, der Ambitionslosigkeit und Monotonie eines mittelstädtischen Lebens ergibt und von den einprägsamen Schwarz-Weiß-Bildern aus Phedon Papamichaels Kamera unterstrichen werden. Sie zeigen auch ein Bild von einem Amerika, in dem Vergangenheit und Gegenwart ineinander verschmelzen.
Der Faktor Zeit wird ausgeschaltet. Schwerfälligkeit, Starrheit und Sturheit geben die Geschwindigkeit vor. Das Leben der Protagonisten wird nicht von Aufregung, von hehren Zielen oder großen Dramen, sondern von Mittelmäßigkeit bestimmt. Langeweile ist Programm. Wenngleich sich die Zeiten ändern und womöglich auch schwieriger werden, ist es ein zeitloses Statement: Die großen Werte von Liebe, Familie, harter Arbeit und Gemeinschaft hat es nie in Idealform gegeben, sie waren und sind immer schon Illusion, denn letzten Endes muss sich jede/r für sich im eigenen Leben, den Mitmenschen und den einmal getroffenen Entscheidungen gegenüber zurechtfinden.
Dass Nebraska nie trostlos wird, verdankt der Film dem hervorragenden Drehbuch von Bob Nelson, das kauzige und doch gewöhnliche Charaktere entwickelt und die Beziehungen der Menschen zueinander nicht mit emotionalen Ausbrüchen oder Gefühlsschwüren überhöht, sondern mit kleinen Gesten und feinem Humor zeichnet. So entspinnen sich zwischen Vater und Sohn unaufgeregte, aber wunderbare Dialoge. Bruce Derns herausragende schauspielerische Leistung trägt überdies einen guten Teil der Atmosphäre. Dank seiner konsequent indifferenten Darstellung bleiben letzte Fragen und Beweggründe unbeantwortet. June Sqibbs Bissigkeit wirkt im Vergleich dazu umso brüsker und irritierend scharf. Schlussendlich nimmt jedoch auch sie, wie die gegensätzlich gezeichneten Söhne, ihre Rolle im fragilen Familiengefüge ein.
Alexander Payne ist mit Nebraska ein Film gelungen, der trotz artifizieller Bildsprache und wohl eingesetztem Score von Mark Orton weniger durch Poesie, als vielmehr mit tiefgründigen ebenso wie amüsanten Dialogen sowie stimmiger Atmosphäre und Charaktere berührt. Belanglosigkeit und Perfektion sind selten so nahe beieinander zu finden.
Regie: Alexander Payne, Drehbuch: Bob Nelson
Darsteller: Bruce Dern, Will Forte, June Squibb, Bob Odenkirk, Stacy Keach, Mary Louise, Rance Howard
Laufzeit: 115 Minuten, Kinostart: 07.02.2014, www.nebraska-film.de
Tags:4.5 von 5Alexander PayneBob OdenkirkBruce DernDramaJune SquibbKomödiePolyfilmStacy KeachTragikomödieWill Forte
Über den Autor
Martina Zerovnik Aufgabenbereich selbst definiert als: Filmleserin. Lächelt über “Oh diese Technik [Film] ist sehr entwicklungsfähig, fast reif zur Kunst” (Döblin).