Nebel im Land der Pharaonen

 

Von Stefan Sasse

Es ist schon merkwürdig: seit mehreren Tagen beherrscht das Thema Ägypten jetzt die Titelseiten der Zeitungen (und nein, das ist normal und keine fiese Verschwörung der Medien, um Nachrichten über Guttenberg zu unterdrücken, das nimmt den Mann viel zu wichtig). Trotzdem komme ich mir keine Sekunde informiert vor. Geht es euch ähnlich? Was ich weiß ist, dass einige junge, photogene Araber mit guter Pose wütend in Kameras gucken und schreien. Bisweilen sieht man auch ein paar Polizisten, aber die meisten Bilder wirken brutal gestellt. Was die Protester wollen - keine Ahnung. Ich erfahre, dass es sich um die Opposition zu Mubarak handelt (von dem ich vorher ehrlich gesagt nie gehört hatte). Für was Mubarak steht, was die Opposition will - ich weiß es bis heute nicht. Es ist dasselbe Muster wie bei den Protesten im Iran letztes Jahr, bei denen man auch nicht erfuhr, was die Opposition nun eigentlich genau wollte. Stattdessen verläuft die ganze Berichterstattung entlang der üblichen Storyline: tapferes Volk steht gegen bösen Diktator für Demokratie und Menschenrechte auf. Aber diese Geschichte ist viel zu simpel, als dass sie zutreffend sein könnte.

 

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Photo: Iman Mosaad

Wenn man einzig nach der Berichterstattung geht, könnte es sich bei der Opposition auch gut und gerne um Radikalislamisten handeln, denen der Kurs der Regierung zu säkular und westfreundlich ist - es wäre nicht das erste Mal in dieser Region, man denke nur an Palästina oder den Libanon. In dem Fall allerdings wäre die Zurückhaltung westlicher Regierungen verständlich. Sicher, im Falle Ägyptens ist das wohl nicht der Fall, aber die Berichterstattung direkt informiert mich weder in die eine noch in die andere Richtung. Auch irgendwelche Analysen sucht man vergebens: zwar wird mit Verwunderung registriert, dass Mubarak dem Druck der Straße nicht nachgibt und damit dem demokratischen Märchen gewissermaßen das Happy End gibt - hätte dieses Narrativ aber irgendeinen Realitätsbezug, wäre Mappus nicht mehr Ministerpräsident. Es wird der Eindruck erweckt, als dass einzig Mubarak zurücktreten müsse, um alle Probleme zu lösen. Dass das nicht der Fall sein kann, zeigt doch schon ein Blick nach 1989, als der erzwungene Honecker-Rücktritt die DDR auch nicht zu einem freundlicheren Ort machte.


Als große Hoffnung wird ein Mann namens Elbaradei gehandelt, früherer Chef der Atomenergieaufsichtsbehörde und Friedensnobelpreisträger. Keine Ahnung, ob man da nur den ersten sympathischen Ägypter hochschreibt, den man gefunden hat, oder ob der Mann tatsächlich Unterstützung in seinem Land hat. Denn was das Narrativ des demokratischen Märchens ebenfalls selten vorsieht ist die tatsächliche Untersuchung örtlicher Gegebenheiten. Scheinbar herrscht Mubarak nun schon seit vielen Jahren im Ausnahmezustand. Der Optimismus darüber, dass sein Rücktritt demokratische Wahlen problemlos ermöglichte, die dann eine freiheitliche Lichtgestalt an die Macht bringen, ist naiv.

Um zu dieser Erkenntnis zu kommen brauche ich keine speziellen Kenntnisse über die Region. Am Ende wird das Märchen, so viel ist jedenfalls klar, kein Happy End haben. Sollte tatsächlich eine echte Demokratisierung Ägyptens eintreten - und dem stehen deutlich höhere Hürden im Weg als nur Mubaraks Person, wie Max Steinbeis dokumentiert - so wäre das vermutlich eine nicht ganz ungefährliche Entwicklung für den Westen und seinen engsten Partner in der Region, Israel. 
Die Tolerierung von Militärdiktaturen im arabischen Raum geht ja immer auch von der Prämisse aus, dass auf diese Art der Islamismus in Zaum gehalten werden könne - für den Preis, dass die jeweils unterdrückte Bevölkerung den Westen mit seinen Unterdrückern assoziiert, was keinesfalls falsch sein muss. Das Beispiel Saudi-Arabien spricht hier eine deutliche Sprache. Wenn dann der Diktator plötzlich Druck erhält, ist die Beobachtung des Treibens aus großen, westlichen Augen in Erwartung des demokratischen Märchens sicher fehl am Platz, denn allzu oft schwingt hier die Grundhaltung mit, dass ein weiterer unterentwickelter, böser Staat endlich den Weg in die demokratische (westliche) Gemeinschaft findet. Das muss aber nicht der Fall sein. Es ist genauso gut möglich, dass diese Länder ganz demokratisch genau die radikalen Spinner an die Macht bringen, die man da gar nicht haben will - die Wahlsiege der Hamas über die gemäßigte Fatah sprechen eine deutliche Sprache. Und was wird der Westen tun, um einem Israel zu helfen, das sich plötzlich von astrein demokratisch legitimierten Radikalen umzingelt sieht? Das Narrativ dafür ist noch nicht geschrieben. Hoffen wir also lieber auf das Happy End, denn die andere Konsequenz auszumalen ist alles andere als beruhigend.


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