Seit 1974 – im Betonboom und dem Beginn des standardisierten, industriellen Bauens – engagiert sich der Architekturprofessor und Architekt Gernot Minke für “Ökologisches Bauen” mit Lehm, Gras und Stroh und für Lowcost- und Selbermachlösungen. Damals suchten Studenten und junge Architekten noch nach solchen Alternativen. “Heute interessiert das in Deutschland kaum mehr jemanden”, sagt Gernot Minke und erzählt, warum er deshalb seit acht Jahren das Ökologische Bauen in Südamerika lehrt, berät und selber realisiert.
Elke Kuehnle (EK) hat Professor Dr.-Ing. Gernot Minke (PM) interviewt und uns das spannende Interview zur Verfügung gestellt.
Elke Kuehnle (EK): Ihre Häuser aus Lehm, Stroh und Gras sind elegant und Komfortabel – ist das das Erfolgsgeheimnis?
Professor Dr.-Ing. Gernot Minke (PM): Eleganz mag ein Grund für den Erfolg von Lehmhäusern sein. Wesentlicher erscheint mir, das gesunde Wohnklima, das in ihnen herrscht, die geringe Umweltbelastung, die durch sie entsteht und ihre Langlebigkeit.
EK: … Sie benutzen bis heute kein Mobiltelefon.
PM: Ja, seit den 1980er Jahre habe ich mich auch intensiv mit dem gesunden Bauen und Wohnen beschäftigt; so auch mit dem Thema Elektrostress. Gründächer halten übrigens genauso wie Lehmwände weitgehend hochfrequente elektromagnetische Strahlen ab, wie Messungen von Pauli und Moldan ergaben. Ich lebe sehr gesund und interessiere mich dafür, welche Auswirkungen Produkte, die ich kaufe, auf die Umwelt haben. Die Umweltbelastung, die ich durch meine Flugreisen in ferne Länder verursache, kompensiere ich durch meinen Vegetarismus. Aber ein Grund dafür, dass ich seit 25 Jahren Vegetarier bin, ist unter anderem auch die Tatsache, dass die Viehwirtschaft für 40 Prozent der Co2-Belastung unserer Erde verantwortlich ist.
EK: Wie entstand Ihr Engagement in Südamerika?
PM: Dort herrscht ein sehr großes Interesse an dem Bauen mit natürlichen Baustoffen, an der Verwendung von lokal vorhandenen Ressourcen für ein nachhaltiges Bauen. 2001 hatte ich unsere Messungen zum Verhalten von Gründächern zum ersten Mal auf einer internationalen Konferenz vorgestellt und daraufhin viele Einladungen erhalten Vorträge und Workshops zu den Themen Lehmbau, Gründächer und Fassadenbegrünungen zu geben. Seit acht Jahren bin ich fast das halbe Jahr über in Südamerika aktiv.
EK: Wie kann man sich solche Vorträge vorstellen?
PM: Bei einem Vortrag über Gründächer in Buenos Aires mussten wir über zwei Stunden warten, weil ein starkes Gewitter die Straßen so überflutet hat, dass die Teilnehmer nicht vorankamen. Das war eine gute Gelegenheit über die Wasserspeicherung von Gründächern zu sprechen, die die Kanalisation in Städten entlastet.
EK: Wie stehen Sie zur vertikalen Begrünung?
PM: Bei der vertikalen Begrünung interessieren mich nicht die hydroponen Systeme, die jetzt Mode werden, sondern einfache Lösungen, die man selber machen kann, wie wir sie in vielen Workshops propagieren. In Thessaloniki beispielsweise, fanden unsere Lösungen, die wir in zwei Tagen realisierten, ein sehr großes Interesse, das sich auch in den Dokumentationen des Fernsehens und der Presse zeigte. Wir errichteten verschiedene wandförmige und säulenförmige Elemente, die man auf den Balkon stellen kann um Tomaten, Kürbisse, Salate und Küchenkräuter anzubauen. Das hat mich sehr beflügelt, mich weiter mit diesem Thema zu beschäftigen. Das Thema ist auch in Lateinamerika aktuell. Bezeichnenderweise wurde mein Buch über „Vertikale Gärten“ in drei spanisch sprechenden Ländern verlegt, nicht aber in Deutschland. In Deutschland werden vor allem repräsentative aufwendige hydropone Systeme an Fassaden realisiert.
EK: Warum gibt es so wenige Strohballenhäuser?
PM: In den USA gibt es Strohballenhäuser, die 100 Jahre alt und heute noch bewohnt sind. Das erste offiziell genehmigte und in Deutschland gebaute Haus stammt von 1999. Die Wände wurden als Holzständerkonstruktion errichtet und mit Strohballen ausgefüllt. Im Jahr 2000 errichteten wir auf dem Gelände der Universität Kassel das erste Last tragende Strohballengebäude als Testbau. Das 12 Tonnen schwere Dach wird nur von den Strohballen getragen. Es gibt keine Holzstützen. Inzwischen sind in Deutschland etwa 300 Strohballenhäuser realisiert. In Frankreich entstanden dagegen im ungefähr gleichen Zeitraum etwa 3000.
EK: Sie sind bis heute mit vollem Terminkalender unterwegs – was treibt Sie an Ihr Leben dem ökologischen Bauen zu verschreiben?
PM: Dafür gibt es sehr viele Gründe. 1974, als ich an die Uni Kassel kam und dort das Forschungslabor für Experimentelles Bauen gründete, haben wir damit begonnen uns im Rahmen von Forschungsprojekten damit zu beschäftigen, was man mit Abfallprodukten und mit natürlichen Baumaterialien sinnvolles bauen kann. Wir haben in den vergangenen 40 Jahren nicht nur den Baustoff Lehm und seine unterschiedlichen Anwendungsmöglichkeiten im Bauwesen untersucht, sondern auch die Möglichkeiten und Vorteile der Dachbegrünung und in den letzten 15 Jahren intensiv auch den Strohballenbau. Ein wesentlicher Impuls für das ökologische Bauen waren für mich auch die Veröffentlichungen über die Umweltbelastungen, die durch die Verwendung der industrialisierten Bauprodukte entstehen. Man schätzt beispielsweise, dass sechs Prozent der jährlichen Co2-Produktion auf der Erde durch die Verwendung von Zement für das Bauen entsteht. Die Umweltbelastung einerseits und das gesunde Wohnen andererseits bewegen mich bis heute dazu, Alternativen für die industrialisierten Bauweisen voranzubringen und Beton so wenig wie möglich zu verwenden; also nur dort, wo es absolut notwendig ist.
EK: An welchen Projekten arbeiten Sie gerade?
PM: Wir planen zur Zeit einen Kindergarten mit Lehmkuppel und Gründach in Deutschland und jeweils einen in Kolumbien und in Argentinien. Außerdem sind wir mit der Realisierung der ökologischen Siedlung „Valle Tucan“ in Emboscada, Paraguay beschäftigt. Von den insgesamt 15 von mir geplanten Lehmhäusern mit Grasdach sind bereits drei realisiert.
Der Wahlkasseler und Cosmopolit Gernot Minke begann 1974 an der TU Kassel “Ökologisches Bauen” zu lehren, in einer Zeit, in der junge Architekten nach alternativen Konzepten des immer industrieller werdenden Bauens dursteten. Als Frei Ottos erster wissenschaftlicher Mitarbeiter am Stuttgarter Institut (1964-68), ist seine Sicht- und Vorgehensweise von den Möglichkeiten der Materialreduktion geprägt, unter Einbezug der Umwelt. Er ist einer der Mitbegründer des 1967 gegründeten Magazins für Architektur, Städtebau und Design Arch+, engagiert sich für die Mitbestimmung an Universitäten und führte die Verbindung von Lehren & Bauen im Architekturstudium ein. Bis heute wirkt er wesentlich bei der Etablierung des Lehmbaus, von Gründächern und der Weiterentwicklung der Strohballenarchitektur mit. Sein Buch »Häuser mit grünem Pelz« wurde rund 25 000 Mal verlegt und in acht Sprachen übersetzt.
© Elke Kuehnle, Journalistin in Düsseldorf, 2015.