NATTY, STAR MANNEQUIN

Von Hillebel

Natty hat es als Star-Mannequin zu Glanz und Ruhm gebracht, aber sie kann Steffen nicht vergessen, den Mann, dem sie vor drei Jahren in leidenschaftlicher Liebe verfiel. Sie verliess ihn, denn Steffen wollte sich nicht binden, und Nattys Stolz verbot es ihr, ihm zu sagen, dass sie ein Kind von ihm erwartete …

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Natty herzte und küsste ihren kleinen Sohn, der sie fröhlich anlachte. Der Abschied von ihm fiel ihr wie immer ungeheuer schwer, aber das Taxi wartete, um sie zum Flughafen zu bringen. Sie musste zu Modeaufnahmen nach New-York.

Madeleine, die freundliche französische Kinderfrau, nahm ihr den zweijährigen Sascha ab und strich liebevoll über sein Haar: “Deine Mama kommt bald wieder.” Und, zu Natty gewandt: “Machen Sie sich keine Sorgen, Madame, alles wird gut gehen.”

“Ich weiss, Madeleine, ich bin so froh, dass Sie da sind”, erwiderte die junge Frau dankbar.

Während des Flugs hing Natty ihren Gedanken nach. Wie viele Abschiede hatte es schon gegeben, seit Sascha auf der Welt war? Seit Jahren, bis auf eine kurze Pause vor und nach Saschas Geburt, hetzte sie von Termin zu Termin. Sie musste Geld verdienen, jetzt mehr noch als zuvor. Allein die Miete der schönen Wohnung in Paris mit Blick auf die Seine war horrend teuer. Aber Sascha brauchte ein Zuhause, selbst wenn sie, Natty, sich nirgendwo zu Hause fühlte.

Das Wissen, dass sie es als Star-Mannequin zu Glanz und Ruhm gebracht hatte, erfüllte sie mit Stolz und Befriedigung, es war eine Revanche über ihre arme Kindheit und lieblose Jugend. Das alte Rittergut der Familie im Osten war unwiderbringlich verloren, nur ein paar Fotos zeugten von der glanzvollen Vergangenheit der Familie. Nattys Vater, der als Stuntmann arbeitete, verunglückte jung durch den Fehler eines anderen, ihre schöne, zarte Mutter hatte ihn nur um wenige Jahre überlebt. Natty war elf, als entfernte Verwandte sie zu sich nahmen, aber ihre keimende Schönheit war ein Dorn im Auge der Ziehmutter gewesen. Natty wurde in eine Pension abgeschoben. Sie galt als hochmütig und unnahbar, weil sie es gelernt hatte, ihr Inneres vor allen zu verschliessen, um nicht noch mehr verletzt zu werden. Mit 18 ging sie als Aupairmädchen nach Paris. Mit Kindern hatte sie immer gut umgehen können, und in Deutschland hielt sie nichts.

Ein Jahr später sprach die Besitzerin einer bekannten Model-Agentur sie auf den Champs-Elysées an. Ihre steile Karriere begann. Längst hatte sie gemerkt, dass sie in einer unnatürlichen Glitzerwelt lebte, an der viele, die sich nicht wie sie einen Schutzpanzer angelegt hatten, zerbrachen. Zum Glück gab es jetzt Sascha, der sie im wirklichen Leben verankerte und der den Schmerz um ihre verlorene Liebe erträglicher machte.

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Drei Jahre war es her. Sie befand sich zu Modeaufnahmen in Düsseldorf, und der Fotograf hatte sie zu einem Sommerfest mitgenommen, das ein reicher Industrieller für prominente Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Politik gab. Um den begehrlichen Blicken der Männer und den feindseligen der Frauen zu entgehen, zog Natty sich bald in einen stillen Winkel zurück.

“Sie sind schöner als alle anderen Frauen hier – und vor allem sind Sie anders. Darf ich mich vorstellen? Steffen Kampen.”

Sie wandte sich nach der tiefen warmen Stimme um, und einen Augenblick verschlug es ihr die Sprache, so gut sah dieser Mann in seinem Smoking aus. Er war goss und breitschultrig, hatte schwarzgelocktes Haar, eindringliche blaue Augen und einen wohlgeformten Mund.

“Ich bin Natascha von Lukow”, erwiderte sie.

Die Kapelle spielte einen Walzer, und Steffen breitete lächelnd die Arme aus: “Wollen wir?”

Von da an hatte es nur noch sie beide gegeben. Irgendwann hatte der Fotograf sie zur Seite genommen: “Pass auf dich auf, Natty”, warnte er sie brüderlich-besorgt, “Steffen Kampen ist der begehrteste Junggeselle der Stadt – und ein berüchtigter Herzensbrecher.”

Zum Aufpassen war es da schon zu spät.

Acht Monate hatte ihre leidenschaftliche Affäre gedauert. Sie hatten sich in Paris und Berlin, in New-York und Düsseldorf getroffen, getrieben von ihrem unstillbaren Bedürfnis, den anderen zu sehen, ihn zu berühren, in leidenschaftlichen Umarmungen mit ihm zu verschmelzen.

Dann hatte Natty gemerkt, dass sie schwanger war. Unter Schmerzen hatte sie Bilanz gezogen: Trotz aller Leidenschaft hatte Steffen ihr nie gesagt, dass er sie liebte. Von Heirat war noch weniger die Rede gewesen. Sie wusste kaum etwas über ihn. Nur Valerie, seine Cousine, hatte ihr einmal erzählt, dass er fast seine ganze Schulzeit in Internaten verbracht hatte. “Das muss sehr hart gewesen sein für ihn, er war ein sehr liebebedürftiges Kind. Aber sein Vater war mit der Leitung des Familienunternehmens beschäftigt, und seine Mutter dachte nur an das damit verbundene gesellschaftliche Leben. Er hat sich halt durchgeboxt, aber seitdem lässt er niemanden mehr an sich heran.”

Ging es ihr nicht ebenso? Sie versuchte, mit Steffen darüber zu sprechen, aber er verschloss sich, wurde verletzend. Darauf hatte sie sich selbst verletzt zurückgezogen, hatte sich auf ihren Stolz besonnen. Sie schrieb ihm einen Brief, in dem sie ihm für die schöne Zeit dankte und ihm mitteilte, dass sie sich nicht wiedersehen würden.

Er hatte nie geantwortet, und sie hatte daraus geschlossen, dass er nicht traurig war über ihren Entschluss. Sicher hatte er sein gewohntes Leben als Herzensbrecher wieder aufgenommen. Aber sie, das wusste sie inzwischen, würde nie einen anderen Mann lieben.

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Valerie trat zu ihrem Vetter Steffen und nahm ihm energisch das Glas aus der Hand: “Trink nicht wieder so viel, ich möchte mit dir sprechen.”

Er wollte protestieren, aber sie schob schon ihren Arm in den seinen: “Komm mit in den Garten, ein bisschen frische Luft wird uns beiden gut tun.”

“Es hat geregnet, du wirst nasse Füsse bekommen.”

“Macht nichts, du auch”, erwiderte sie fröhlich.

Valerie war vor drei Tagen überraschend bei ihm aufgetaucht: “Man sieht und hört nichts mehr von dir, also wollte ich mal nach dem Rechten sehen.”

Sie hatte gesehen, gehört – und ihre Schlüsse gezogen.

“Du kapselst dich ab”, hielt sie ihm jetzt vor, “und du trinkst zuviel. Es heisst, dass du keine Einladungen mehr annimmst und deine Sekretärin sagte mir, dass du dich kaum noch in der Firma blicken lässt. Du hast Glück, so gute Manager zu haben. Was ist los, lieber Vetter?”

“Ich werde mit meiner Sekretärin reden müssen, wie kommt sie dazu, dir Auskunft zu geben?” tat Steffen empört.

“Sie macht sich Sorgen um dich, wie wir alle”, sagte sie leise. “Es ist Natty, oder?”

Als er zurückzuckte, wusste sie, dass sie auf der richtigen Fährte war. Bis jetzt hatte sie angenommen, dass Steffen es war, der die Beziehung beendet hatte, sie war ihm deswegen sogar böse gewesen, denn sie hatte Natty gemocht. Sehr sogar. Aber vielleicht war es nicht so einfach?

“Was ist denn damals vorgefallen?” tastete sie sich behutsam vor.

Er zuckte die Achseln: “Natty hat mir einen Abschiedsbrief geschrieben, dass alles zuende sei.” Er dachte an das anfängliche Gefühl der Befreiung. Er würde sie vergessen, hatte er geglaubt. Das Gegenteil war eingetroffen. Sein Leben erschien ihm zusehends sinnlos und leer.

“Warum?” fragte Valerie in seine Gedanken hinein.

“Gründe hat sie nicht angegeben.”

“Und du hast sie nie danach gefragt?” Valerie konnte es nicht fassen. Gleichzeitig hatte sie Mitleid mit ihm. Er sah so unglücklich aus. Das also konnte eine Frau mit einem Mann machen. Trotzdem, es fiel ihr schwer zu glauben, dass die schöne junge Frau ein grausames Spiel mit ihm getrieben hatte, das sah ihr nicht ähnlich. Wie kompliziert Liebe doch sein konnte. Dankbar dachte sie an Klaus, ihren wunderbaren Mann, an ihre beiden Kinder. Dieses Glück wünschte sie auch Steffen und Natty von ganzem Herzen.

“Hast du Natty jemals gesagt, dass du sie liebst?” fühlte sie ihm weiter auf den Zahn.

“Ich habe das nie zu einer Frau gesagt.”

Valerie war empört: “Du vergleichst Natty doch etwa nicht mit den Abenteuern, die du vor ihr hattest?”

Mit Anstrengung antwortete er: “Die Erkenntnis, dass ich sie liebe, ist mir erst gekommen, als ich sie verloren hatte. Bist du nun zufrieden?”

“Ruf’ sie an!”

“Nach drei Jahren? Sie denkt bestimmt nicht mehr an mich. Ich habe gehört, dass sie umgezogen ist. Ich habe weder ihre Telefonnummer noch ihre Adresse!”

Feige Ausreden, befand seine resolute Cousine. So etwas kann man herausgekommen, wenn man nur will. Und selbst wenn es einen anderen Mann in Nattys Leben geben sollte: war Ungewissheit nicht noch schlimmer? “So kannst du jedenfalls nicht weitermachen, das ist dir doch klar?”

“Gut, ich verspreche dir, weniger zu trinken und mich wieder mehr um die Firma zu kümmern. Genügt das?”

Nein, dachte Valerie, überhaupt nicht!

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Die Modeschau war zu Ende. Natty hatte sich abgeschminkt und umgezogen. Sie wollte nicht mit den anderen den Erfolg feiern, sie wollte nach Hause, zu Sascha, selbst wenn er schon schlief. Nur einige, sehr gute Freunde wussten um das Kind. Wie lange würde es ihr noch gelingen, Sascha und sich selbst auf diese Weise zu schützen? Unwillkürlich fröstelte es sie.

Vor dem Ausgang wartete eine Frau auf sie: “Grüss dich, Natty. Hast du ein bisschen Zeit?”

Natty erkannte sie sofort wieder und lächelte ihr zu: “Welch eine Überraschung, Val! Natürlich habe ich Zeit für dich.” Sie dachte mit einem schmerzlichen Stich an Sascha, aber Valerie war ihre Freundin gewesen, sie hatte sie so lange nicht gesehen …

Wenig später betraten sie das Restaurant des Hotels, in dem Valerie abgestiegen war. Sie hatte nicht locker gelassen, bis Natty sich bereit erklärte, mit ihr zu Abend zu essen: “Um über alte Zeiten zu sprechen.”

Nattys Herz klopfte. Tausend Fragen über Steffen brannten ihr auf der Zunge, aber Valerie erwähnte ihn mit keinem Wort. Vergnügt plauderte sie über dies und jenes, während sie Natty zielstrebig bis zu einem Tisch führte. Dort sass ein Mann, der sich jetzt erhob. Es war Steffen! Und er schien genau so überrascht zu sein wie sie. Stumm blickten sie sich an.

Nun wackelte Valeries Stimme doch etwas: “So, ich lasse euch jetzt allein. Ihr habt euch sicher eine Menge zu sagen.” Damit machte sie kehrt und verschwand. Sie würde sich das Essen auf ihr Zimmer bringen lassen …

Steffen rückte Natty den Stuhl zurecht, und sie setzte sich. Er verwünschte Val, die ihn überlistet hatte, aber auf konfuse Weise war er ihr auch dankbar. Nach ihrem Besuch vor etwa drei Wochen hatte er nichts mehr von ihr gehört, aber dann hatte sie angerufen und ihn gebeten, sie nach Paris zu begleiten: “Nur für zwei Tage. Es geht um eine Ausstellung meiner Keramiken, und du sprichst besser Französisch als ich.”

Er hatte zugesagt. Nicht nur, um Val den Gefallen zu tun, sondern auch, das wurde ihm jetzt klar, weil er wusste, dass Natty immer noch in Paris lebte. Nun sass sie ihm gegenüber und erschien ihm schöner als je zuvor.

Endlich fand er seine Sprache wieder: “Natty, ich freue mich, dich wiederzusehen. Ich kann dir nicht sagen, wie sehr!”

Sie lächelte ihm zu: “Ich auch, Steffen.”

Sie merkten kaum, was sie assen, weil sie ihre Blicke nicht voneinander lösen konnten. Schliesslich stellte Steffen die Frage, die ihn nun schon so lange quälte: “War es damals ein anderer Mann?”

“Nein, seit dir gab es keinen anderen.”

“Was war es dann?” fragte er hilflos.

“Ich wusste nicht, ob du mich wirklich liebtest.”

“Ich liebte dich, ich liebe dich noch heute, aber ich habe es zu spät begriffen.” Plötzlich sagte er: “Du hast dich geändert. Du bist … weicher geworden.”

“Du hast dich auch geändert.”

Weil er nie zuvor derart gelitten hatte, dachte er.

Später gingen sie durch die nächtlichen Strassen von Paris. Zum ersten Mal sprachen sie wirklich über ihre Kindheit und Jugend. Zum ersten Mal konnten sie es. Auf einer Seinebrücke blieben sie stehen, und Steffen nahm das Gesicht der geliebten Frau in beide Hände: “Ich liebe dich, Natty. Nie wieder werde ich dich fortlassen. Bitte, heirate mich!”

“Ich muss dir vorher etwas sagen: Wir haben ein Kind, Steffen, einen kleinen Jungen. Er ist zwei und heisst Alexander Steffen. Genannt wird er Sacha.”

“Du … du warst schwanger von meinem Sohn, als du mich verliesst? Warum hast du es mir nicht gesagt?” Steffen war fassungslos.

“Ich wollte nicht, dass du mich aus Pflichtgefühl heiratetest – oder, schlimmer, mich gebeten hättest, abzutreiben.”

“War ich so schlimm? Ich schäme mich, Natty. Kannst du mir je verzeihen?”

“Ich war dir nie böse”, erwiderte sie leise.

“Darf ich Sascha sehen? Jetzt gleich? Und wann kommt ihr heim zu mir?”

“So schnell es geht, Liebster.” Natty hob ihm ihr Gesicht entgegen, der Kuss war reinste Seligkeit. Nun wusste sie, dass sie endlich ihr Zuhause gefunden hatte. Für immer.

ENDE