Unter diesem Titel hat das European Stability Institute (ESI) heute eine Konferenz an der Bilgi Universität in Istanbul organisiert. Die Resonanz war erstaunlich groß, der Platz im Hörsaal reichte kaum aus und die Schnittchen in der Kaffeepause waren zu knapp bemessen. Studenten, inländische und ausländische Journalisten, NGO-Mitarbeiter, und Menschen wie ich quetschten sich auf die Polstersessel und verfolgten eine sehr gute Dokumentation über Nationalismus in Griechenland und eine mäßig gute Reportage über Modernisierung in der Türkei.
Takis Michas, Autor von "Unholy Alliance: Greece and Milosevic's Serbia in the Nineties", und die Professorin Ariana Ferentinou diskutierten über die Restriktionen, die eine von Nationalismus geprägte politische Kultur objektivem Journalismus auferlegt. "Die Arbeit eines Journalisten in Griechenland besteht in erster Linie darin, das nationale Interesse des Landes zu vertreten, und nicht in objektiver Berichterstattung", erläuterte Michas. Und gab gleich ein illustres Beispiel: Als die Zeitung, für die Michas arbeitet, die Nachricht "Türkische Kampfflieger dringen in griechischen Luftraum ein" mit der Quellenangabe "gemäß Informationen des griechischen Außenministeriums" versah, erhielt das Blatt am nächsten Tag hunderte empörte Anrufe von Menschen, die durch diese Art der Berichterstattung die Position Griechenlands diskreditiert sahen. Applaus erntete der Journalist für seine Umdeutung des Bevölkerungsaustausches zwischen der Türkei und Griechenland nach 1923 und zwischen 1950 und 1960: Von Bevölkerungsaustausch könne nicht die Rede sein, das sei mutual ethnic cleansing gewesen.
Während diese Diskussion noch mit wohlwollendem Interesse verfolgt wurde, polarisierte sich die Zuhörerschaft beim zweiten, hochkarätig besetzten Gespräch. Murat Belge, Professor an Bilgi Universität und Journalist bei der links orientierten Tageszeitung Taraf sprach über die Schwierigkeiten des Demokratisierungsprozesses in der Türkei. Die Autorin Perihan Magden Verlieh dem Panel mit ihren zynischen Ausführungen über ihre Probleme mit der türkischen Justiz eine angemessene Portion Komik. Sie habe sich sehr nervös gefühlt, als sie zu ihrer eigenen Verhandlung wegen des umstrittenen Artikels 301 ging und dort unter anderem von einer empörten Frau mit einem Megaphon als "Kurdenhure" beschimpft wurde. Sie habe sich darüber bei den Sicherheitskräften beschwert, aber die entgegneten nur: "it's her democratic right to demonstrate here." Nach der Ermordung Hrant Dinks habe sie zwei Polizisten als Schutzkräfte zu ihrem Haus abbestellt bekommen. Einwurf von Murat Belge: "I have only one! Why?" - "Because I'm more charismatic." Die beiden Polizisten hätten aber ohnehin nichts getaugt, da sie sich vor ihren Hunden fürchteten.
Kritisch wurde auch der fundierte Kommentar Kai Strittmatters, Korrespondent der Süddeutschen Zeitung, über die politischen Verhältnisse in der Türkei aufgenommen. Die Sichtweise, dass die islamisch-konservative AKP als das geringste aller Übel immerhin noch bis zu einem gewissen Grad die Beitrittsbestrebungen der Türkei zur Europäischen Union befördert habe, ist, insbesondere aus dem Mund eines Europäers, nicht gerade populär. Als ein dänischer Journalist aus dem Publikum über das generelle Misstrauen, mit dem ihm von Seiten türkischer Freunde und Bekannter begegnet werde, berichtete, bemerkte Murat Belge nur lakonisch: "Of course, you're an imperialist, and this is what you deserve."
Insgesamt war die Veranstaltung sehr gelungen. Die Dokumentationsreihe "Balkan Express", die von ESI in Kooperation mit der ERSTE Foundation erstellt wurde, liefert eine fundierte Einführung in die von starkem Nationalismus geprägten Gesellschaften der Balkanregion. Die Filme können teilweise im Internet angesehen werden. Leider ist die sehr gute Griechenland-Doku noch nicht online verfügbar. Der Film über Istanbul lohnt sich vor allem wegen der schönen Bilder.