National-befreite Zonen: Nimmerland für immer

National-befreite Zonen: Nimmerland für immer

Das waren noch Zeiten, als Uwe-Carsten Heye den Sommer mit frechen Sprüchen auflockerte. Besucher der Fußball-Weltmeisterschaft, so warnte der frühere Regierungssprecher und spätere Kämpfer gegen rechts, müssten bei Abstechern in bestimmte Gegenden Brandenburgs vorsichtig sein. «Es gibt kleine und mittlere Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen", warnte Heye, denn "Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen". No-Go-Areas nannte der wackere SPD-Politiker diese Gegenden, von denen er allerdings auf Nachfrage nicht direkt sagen konnte, wo sie genau liegen.
Auf jeden Fall aber in der Nähe der "national-befreiten Zonen", die sich in diesen Sommertagen 2010 anschicken, ins 20. Jahr ihres Nichtbestehens zu gehen. Niemand hat sie je gesehen, keiner hat sie besucht, kartografiert oder gar ihre Befreier kennengelernt. Aber medial waren national-befreite Zonen präsent, seit ein rechtes Kampfblatt anno 1991 fantasierte, wie schön Deutschland sein könnte, gelänge es doch nur, irgendwo Dörfer, Stadtteile oder gar ganze Städte zu schaffen, in denen informelle Kreise von Nationalisten, Rechtsextremisten und -radikalen das Sagen hätten.
Gesagt, getan. Während der selbsternannte Nationalismus 2.0 von einem 3. Reich inmitten der bundesrepublikanischen Demokratie träumte, nahmen seine Widersacher die Ankündigung als Planerfüllungsmeldung. Es galt nun nicht mehr nur, Gesicht zu zeigen, sondern sich beunruhigt zu geben angesichts der überall im lande entstehenden national-befreiten Zonen, die Ausdruck waren einer geänderten Strategie der Rechten: "Sozialrevolutionäre Nationalisten sollten auch nicht davor zurückscheuen, sich gegebenenfalls in Umwelt- und Landwirtschaftsverbänden, Sportvereinen, Freiwilligen Feuerwehren und Gewerkschaften, ja selbst in Faschingsvereinen zu engagieren", schrieb die „Deutsche Stimme“ und das klang, als sei die Unterwanderung der Mehrheitsgesellschaft in vollem Gange.
Burkhard Schröder schrieb ein Buch namens "Im Griff der rechten Szene. Ostdeutsche Städte in Angst", Politiker wollten Skinhead-Musik verbieten, um ein "Einfallstor" der rechten Szene (Holger Hövelmann) zu verbarrikadieren. "Die perspektivlose Alltagsrealität des Liberalkapitalismus in Mitteldeutschland", frohlockten "rechte Rattenfänger" (Angela Merkel) treibe Jugendliche geradezu in die rechte Subkultur - angelockt würden sie nicht von der „Ausstrahlungskraft der nationalen Weltanschauung“, sondern vom knüppelharten „Glatzen-Rock“.
1997 war die Zukunft klar. Rechts empfahlt die neonazistische „Berlin-Brandenburger Zeitung für nationale Erneuerung" (BBZ) die Konzentration auf die Schaffung "befreiter Zonen". Links hatte "Die Woche" wenig später schon ganze „Braune Flächen" in Ostdeutschland entdeckt. Im Jahr 2000 war es geschafft: Der Begriff "national-befreite Zone", der bis dahin eine Nimmerland im Nirgendwo bezeichnete, wurde zum Unwort des Jahres gewählt.
Nur einige Monate später lieferte der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg, das immer wieder als Heimstadt der nicht näher lokalisierten "Zonen" genannt worden war, Fakten. Nirgendwo im Lande gebe es diese „national befreiten Zonen“, überall allerdings herrsche in Kreisen Rechtsextremer große Genugtuung darüber, dass ihnen politische Gegner dennoch so durchschlagenden Erfolg beim Aufbau „befreiter Zonen“ attestieren.
Die Freude hält bis heute an, denn das Unwort des Jahres 2000 hat seinen theoretischen Inhalt überlebt und ist zum Mittel praktischer Politik geworden. wie ein Blick auf die Google Timeline zeigt. Die einen wie die anderen benutzen den Begriff der „national befreiten Zonen“ als Kampfbegriff: "die rechtsextremistischen Propagandisten, um eine Handlungsmacht vorzutäuschen, die sie nicht besitzen"; analysierte der Verfassungsschutz schon vor zehn Jahren, "die gutmeinenden Publizisten" hingegen benutzten ihn, "um vorsorglich Alarm zu schlagen". Stadt und Land, Hand in Hand. Zuletzt gelangen dem Buchautoren Christoph Ruf sogar „Reisen in die National Befreite Zone“ (Buchtitel) und die Taz fand eine Zone in der Brückenstraße in Berlin Schöneweide, obwohl die Nachbarn einer dort beheimateten Nazi-Kneipe eher "die fehlende Kaufkraft" für ein unübersehbares Ladensterben verantwortlich machten.
"Noch immer gibt es ausländische Studierende, die einen Studienplatz trotz Stipendiums ablehnen, weil sie sich vor Rassismus und "national befreiten Zonen" fürchten", analysierte der Spiegel in seine diesjährigen "national-befreite-Zonen"-Erinnerungsbeitrag namens "Braune Biedermänner" und führt mutig den Kampf fort, den "Die Woche" wegen Geschäftsaufgabe hatte einstellen müssen. Tröstlich dabei: auch die "Berlin-Brandenburger Zeitung für nationale Erneuerung" erscheint mittlerweile nicht mehr.


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