Die Serie „Vermischtes" stellt eine Ansammlung von Fundstücken aus dem Netz dar, die ich subjektiv für interessant befunden habe. Sie werden mit einem Zitat aus dem Text angeteasert, das ich für meine folgenden Bemerkungen dazu für repräsentativ halte. Um meine Kommentare nachvollziehen zu können, ist meist die vorherige Lektüre des verlinkten Artikels erforderlich; ich fasse die Quelltexte nicht noch einmal zusammen. Für den Bezug in den Kommentaren sind die einzelnen Teile durchnummeriert; bitte zwecks der Übersichtlichkeit daran halten.
1) The SPD's new left-wing leadership could prove just the jolt Germany needs
The claim that Esken and NoWaBo ("NoWaBo-fakis" to his detractors) are wildly left-wing deserves to be assessed in the context of a German economic debate that has skewed far to the right of economic orthodoxy in recent years. A country with negative interest rates where a moderate party (the CDU) jokes about its "fetish" for balanced books with posters showing a leather police hat on a black zero is not a country enjoying a healthy economic debate. As the economist Christian Odendahl puts it, Esken and NoWaBo are by international comparison about as hard-left as the IMF, in that they want more of Germany's vast surplus to be spent on wide-eyed priorities like school, digital and rail improvements. Their proposed minimum wage increase to €12 an hour, below the level currently being proposed in Britain by renowned hardline socialist Boris Johnson, would inject some much-needed demand into the slowing eurozone economy. Meanwhile, their insistence that the grand coalition improve its dismally unambitious climate package puts them somewhere close to such extreme lefties as French president Emmanuel Macron and Dutch prime minister Mark Rutte. [...] There is, in other words, a case for looking at the SPD's choice in a broader historical context. "One of the curiosities of today's SPD is that the best way to advance in the party is to distance oneself as much as possible from Gerhard Schröder's chancellorship," laments the commentary in today's FAZ. This is understandable. Schröder did some necessary things - making the German labour market more competitive, modernising German society, breaking some taboos in German foreign policy - but the lesson is not that Germany needs a copy-paste of his chancellorship. Today it faces different challenges: growing economic divides, disruptive technological challenges, a less certain American security umbrella, environmental demands. The SPD may or may not be part of the answer to those challenges. But it can certainly contribute some vigour and impulse to the debates leading up to that answer. For that Esken and Walter-Borjans might - just might - prove a blessing. (Jeremy Cliffe, The New Statesman)
Ich habe keine starke Meinung zur neuen SPD-Spitze. Ich halte Olaf Scholz für eine fürchterliche Wahl, aber das heißt nicht zwingend, dass NoWaBo und Esken besser wären. Ich gehe nur sehr schwer davon aus, dass ein entschlossenes "weiter so" - und nichts anderes verkörperte Olaf Scholz - ein sicherer Tod der Partei ist. Vielleicht ist diese Wahl nun, wie manche denken, tatsächlich "Selbstmord aus Angst vor dem Tod". Vielleicht nicht. Aber in einer solch verzweifelten Situation ist der Versuch, etwas zu ändern, sicherlich besser als weiter sehenden Auges in die Bedeutungslosigkeit zu sinken. Gleichwohl ist mein Optimismus, dass die SPD sich noch einmal herumreißen wird, eher beschränkt.
2) Das Vermächtnis des Alexander Gauland
Braunschweig zeigt: Der "Flügel", ideologisch weiter stramm am rechten Rand, ist machtstrategisch ins Zentrum gerückt und bestimmt nun maßgeblich die Personalpolitik mit. Beispiele dafür gab es zuhauf: Stephan Brandner wählten die Delegierten zum zweiten Parteivize, einen ausgewiesenen Demagogen. Ihm kam zugute, sich als Opfer der herrschenden Verhältnisse präsentieren zu können, nachdem er im Bundestag als Vorsitzender des Rechtsausschusses abgesetzt worden war. An Brandner dürfte die AfD wohl noch ihre Freude haben, gilt er doch selbst manchem im "Flügel" als unberechenbarer und eigenwilliger Kantonist. [...] Dem neuen Ehrenvorsitzenden Gauland, mit 91 Prozent gewählt, scheint selbst nicht ganz geheuer, in welche Richtung sich die von ihm vor sechs Jahren mitgegründete AfD entwickelt. Bezeichnend waren seine Bemerkungen zur inneren Verfasstheit der Partei. In Braunschweig bezeichnete er den Traum mancher von einer "kleinen sozialrevolutionären Partei" als "irreal" und warb dafür, in demokratischen Wahlen so stark zu werden, dass die AfD nicht mehr von der "Gestaltungsmacht" des Landes ausgeschlossen werden könne. Dass der 78-jährige sich gezwungen sah, eine solche Selbstverständlichkeit zu betonen, zeigt, welche radikalen Vorstellungen in Teilen der Partei vorhanden sind. Auch Gaulands Schlusswort strahlte alles andere als Selbstgewissheit aus. Sollte die Partei "irgendwann in die falsche Richtung gehen", dann werde er sagen, was er denke - aber "immer unter vier Augen". Gauland wird wissen, warum es solcher Mahnungen bedarf. Schließlich war er es, der seine schützende Hand über Höcke und dessen "Flügel" hielt und hält. Er war es, der ihn und sein Netzwerk groß werden ließ. Das ist Gaulands eigentliches Vermächtnis. (Severin Weiland, SpiegelOnline)
Mein Lieblings-Vergleich für Gauland und seine Spießgesellen ist Alfred Hugenberg. Der hielt sich auch für einen ungeheuer cleveren politischen Akteur, der in der Lage war, ein ungenutztes rechtsradikales bis rechtsextremistisches Reservoir zu aktivieren und unter Kontrolle zu halten. Bekanntlich war er das nicht. Und an der AfD haben sich mittlerweile diverse Hobby-Bürgerliche die Finger verbrannt, die dachten, den wilden Drachen des Rechtsextremismus zu reiten und in homöopathischen Dosen zu kanalisieren. "Experten" wie der Werte-Union hängen dem gleichen Irrglauben an. Diese Kräfte lassen sich nicht kontrollieren. Jeder, der glaubt das zu können, scheitert am Ende - oder wird halt notwendigerweise selbst zu dem, was er ursprünglich nur zu nutzen hoffte. Wir sehen das in Weimar, wir sehen es mit den Trump'schen Republicans, wir sehen es gerade live mit der AfD, und ich hoffe inständig dass wir es mit der Werte-Union nicht sehen werden, weil dieser Haufen Amateure und Blindfische hoffentlich nie Bedeutung erlangen wird.
3) Klima-Freunde sind nicht eure Feinde
Die protestierenden Bauern nennt, anders zum Beispiel als die Aktivisten von Extinction Rebellion, niemand radikal. Dabei ist die Position, sich EU-Regeln verweigern zu wollen, die den Einsatz von giftigen Stoffen reduzieren sollen, ja durchaus ziemlich extrem. Beide, Bauern und Klimaaktivisten, nutzen die gleiche Protestform: Sie legen den Straßenverkehr lahm, bevorzugt in der Bundeshauptstadt. Aber jedes Mal, wenn Extinction Rebellion oder Fridays for Future, so wie diesen Freitag, wieder einmal das Gleiche tun wie die Bauern diese Woche, fabuliert wieder irgendein Kommentator oder Politiker, dass das bestimmt irgendwann mit Gewalt enden wird. [...] Aber dass Verkehrsblockaden von Leuten, die den Planeten retten wollen, routinemäßig als problematisch und potenzielle Vorstufe zur Gewalt gedeutet werden, während Verkehrsblockaden von Leuten, die gern weitervergiften wollen wie bisher, als bedenkenswerter Protest behandelt werden, leuchtet mir nicht ein. Im Übrigen sind die Klimademonstranten natürlich erstens um Größenordnungen mehr Leute und zweitens, was noch viel wichtiger ist, ein wirklich internationales, ja globales Phänomen.Fridays for Future ist die erste dezentrale globale Nichtregierungsorganisation, und das macht Hoffnung. Teile der weiterhin sehr national denkenden Bauern, die mit ihren Treckern in Hamburg und Berlin den Verkehr lahmlegten, haben übrigens ihrerseits durchaus Bezüge zu radikalen Positionen - nur aus einer anderen, sehr problematischen Richtung. So teilt die AfD die Forderungen der Bauern vollständig. Sie versucht sich, weil der Hass auf Flüchtlinge offenbar nicht mehr so zieht, jetzt zu einer Art Anti-Umwelt-Partei weiterzuentwickeln. Zu den Organisatoren der Bauernproteste wiederum gehören Leute, die auch gern mal die Narrative aufnehmen, mit denen Klimawandelleugner beständig Zweifel an der Schuld des Menschen an der Klimakrise zu sähen versuchen. (Christian Stöcker, SpiegelOnline)
Die Ungleichheit in der Berichterstattung, die Stöcker hier wahrnimmt, hat durchaus ihre Richtigkeit. Ein guter Teil davon beruht meiner Einschätzung nach auf der Bequemheit von Narrativen. Demonstrierende für Klimaschutz laufen irgendwie unter alternativ, und das normale Framing für solche Positionen ist das von Systembruch, von Widerstand, von Aufruhr. Die Bauern dagegen sind eine eingesessene Gruppe, sie stehen für Erhalt, für Stabilität, für die gute alte Zeit. Entsprechend leicht schreiben sich die Artikel dazu, weil sie eingefahrene Präkonzepte bedienen. Wie bereits bei der Thematik der Konsensbildung, die wir im letzten Vermischten diskutiert haben, ist das weniger böse Absicht oder eine große Gleichschaltung der Presselandschaft durch die Mächtigen, sondern vielmehr eine Kombination aus Bequemlichkeit sowohl der Journalisten als auch der Leser und, daraus folgend, von Marktmechanismen. Es verkauft sich eben, was die Leute lesen wollen, und dementsprechend wir das auch geschrieben. Das ändert sich erst dann, wenn sich der Publikumsgeschmack ebenfalls auf breiter Front ändert. Das passiert irgendwann immer, und dann ist man plötzlich nicht mehr der nostalgisch verklärte Bauer, sondern ein reaktionäres Fossil, während die Systemrebellen von einst zum neuen Establishment werden. Es ist nicht gerade so, als sei das noch nie vorgekommen.
4) Des Teufels Generäle - Der Geschichtsrevisionismus der AfD liegt offen auf dem Tisch
Ganz ernst kann es ihm damit nicht gewesen sein, denn regelmässig bedient Gauland das Stereotyp vom deutschen "Schuldkult", so etwa, in einer vergleichsweise harmloseren Version, bei der Haushaltsdebatte am 11. September 2019 im Zusammenhang mit dem Klimaschutz: "1945 waren wir der Teufel der Welt. Heute wollen wir die Engel des Planeten sein, das leuchtende Vorbild." Bei dem Zitat schwingt ein Subtext mit, der auf die Relativierung der deutschen Schuld abzielt. Das macht die Kontextualisierung mit weiteren "sprachlichen . . . Brückenköpfen" (Kubitschek), die Gauland zuvor in der deutschen Diskurslandschaft errichtet hat, klar. [...] Gehalten werden die Bastionen des ungeschminkten Geschichtsrevisionismus vor allem von der zweiten und dritten Reihe. Dabei schlägt man bisweilen über die Stränge, wie die schleswig-holsteinische Parteivorsitzende Doris von Sayn-Wittgenstein, die als symbolisches Bauernopfer im Rahmen eines Parteiausschlussverfahrens herhielt. Mit der Abgrenzung von denen, die sich allzu dumm anstellen, kommt die AfD der Strategie von Kubitschek nach. Der propagiert nämlich ganz offen "die Auflösung klarer Fronten zu dem Zweck, die feindliche Artillerie am Beschuss zu hindern". [...] Eine nüchterne Bestandsaufnahme zeigt indes, dass das revisionistische Denken in der AfD mittlerweile sogar bei der Frage nach der Schuld am Zweiten Weltkrieg angekommen ist. Mit Jürgen Elsässers "Compact"-Magazin veranstaltete ein wichtiger Vorfeldakteur der Partei im Juni 2019 eine "Geschichtskonferenz" mit dem vielsagenden Titel "Freispruch für Deutschland". Dort trat unter anderem der ehemalige Bundeswehrgeneral Gerd Schultze-Rhonhof mit seinem Standardthema auf: "Der Krieg, der viele Väter hatte". (Markus Linden, NZZ)
Über Schultze-Rhonhof habe ich hier im Blog ausführlich geschrieben. Ich möchte an dieser Stelle noch einmal explizit davor warnen, die AfD beständig zu verharmlosen, nur weil sie auch das eine oder andere breitenwirksame Kritikthema transportiert. Diese Partei ist in ihrem Kern reaktionär und rechtsradikal, gute Teile der Partei auch rechtsextrem. Wenn die sich durchsetzen, wird die Republik eine andere. Und diejenigen, die das betreiben, sind nicht doof. So sicher, wie die AfD nichts lieber will als ihre braunen Finger auf ein Innenministerium legen, so sehr lecken sie sich dieselben Finger nach den Kultusministerien. Wenn die CDU sie ihnen jemals überlässt, dann haben wir diesen Revisionismus bald in unseren Klassenzimmern. Wehret den Anfängen.
Herr Theweleit, Hand aufs Herz: Finden Sie den Begriff der "toxischen Männlichkeit" übertrieben?
Begriffe wie toxische Männlichkeit sind immer übertrieben, und diejenigen, die sie benutzen, wissen das meistens auch. Die Formel erhebt ja nicht den Anspruch auf exakte Wirklichkeitsbeschreibung, sondern fasst bestimmte Phänomene, die es gibt, in zwei Wörtern zusammen. Es geht hier um Männlichkeit als ein Gift, so wie verpestete Luft. Eine bestimmte Form der Männlichkeit also, die nicht anders kann, als gesellschaftliche Wirklichkeit über Gewaltverhältnisse zu gestalten. [...] Mir geht es um etwas anderes: Männliche Übergriffe existieren in unserer Gesellschaft und bleiben in vielen Fällen straflos, weil sie gar nicht als übergriffiger Akt, sondern als Selbstverständlichkeit gedacht werden. All das geschieht nicht nur unbewusst, sondern auch bewusst, weil wir das alle mehr oder weniger im Körper tragen.
Ist also die Biologie schuld an der Gewalt gegen Frauen?
Nein, das kommt überhaupt nicht von der Biologie, sondern das ist gesellschaftlich so entstanden. Männer tragen in unserer Kultur eine 12 000 Jahre alte Gewalt- und Kriegsgeschichte im Körper, die ihnen eine Dominanz verleiht und in unseren Gesellschaften gepflegt und gefördert wird. Seitdem es diese männerdominierten Gesellschaften gibt, gibt es auch den Übergriff auf den weiblichen Körper und einen dauernden Vorschriftenkanon mit Definitionen, wie Weiblichkeit auszusehen hat. Auch alle Buchreligionen haben sich an dieser männlichen Dominanz orientiert. Einer der Hauptzwecke der Bibel und des Koran besteht darin, Lebensregeln für Frauen aufzustellen: wie sie zu gebären und zu heiraten haben, was sie dürfen und was sie nicht dürfen. Religionen sind manngemacht, Gottes Wort ist auch immer das Wort des Mannes. Damit ist der Übergriff von Anfang an gegeben. (Judith Sevenc Basad, NZZ)
Theweleit ist immer eine Lektüre wert, auch wenn seine Arroganz manchmal nur schwer zu ertragen ist. Ich will das hier hauptsächlich als wissenschaftlichen Unterbau dafür dalassen, dass diese ganzen Männer- und Frauenrollen nicht biologisch sind, sondern ein soziales Konstrukt. Theweleit macht hier das große Fass auf und führt das auf tausende von Jahren kultureller Prägung zurück (und haut nebenbei eine Dawkins-kompatible Generalkritik an Religion heraus, die, sagen wir, eher grenzwertig ist). Er liegt damit sicherlich nicht falsch, aber man muss aufpassen, dass man damit nicht in einen vulgärmarxistischen Determinismus gerät. Theweleit selbst unterliegt dieser Gefahr sicher nicht, aber ich habe keine Lust, bald eine progressive Version von "Warum Frauen nicht einparken können" zu lesen. Relevant finde ich außerdem Theweleits Bemerkung, dass das Patriarchat schon immer danach gestrebt hat, einen "Vorschriftenkanon" für Frauen aufzustellen. Ich glaube, deswegen provoziert der Feminismus aktuell auch immer einen so starken Backlash: Er stellt nichts weniger als eine seit Jahrtausenden etablierte Dominanzhierarchie in Frage. Wenn man sich ansieht, mit welcher Virulenz etwa in den USA die Weißen auf den Bruch ihres bisherigen Dominanz-Privilegs durch die nun mit Bürgerrechten versehenen Schwarzen reagieren, wo wir es mit "nur" vier Jahrhunderten eingeübten Hierarchien zu tun haben, verwundert die Aggressivität gegen den Feminismus keine Sekunde.
6) Democrats are running into Trump's economic buzzsaw
But this is the part of the forecast that should really worry Democratic campaign strategists: "Solid growth should mean another year of above-trend job gains. We expect the unemployment rate to fall to levels last seen during the Korean War, bringing a further pickup in wage growth to 3.5 percent." So not only rising take-home pay with low inflation, but a jobless rate so historically low that even the oldest boomers have little memory of such a time. Look, if you're a president who promised to make America great again, and the unemployment rate falls to its lowest level since the early 1950s, it arguably looks like you're making American great again. Of course, this is just one forecast. But even if next year is just pretty much like this year, not much better or worse, it would still mean an economy experiencing a record-long expansion that would be well into its 11th year by Election Day 2020. Not that 2020 Democratic nominees will lack a counter-argument. They will likely argue that most Americans aren't benefiting from the expansion. As South Bend, Indiana, Mayor Pete Buttigieg said at the last Democratic debate, "In an economy where even when the Dow Jones is looking good, far too many Americans have to fight like hell just to hold on to what they've got." The problem with such an approach is that even though Democrats are loathe to admit it, this is an expansion that's finally helping a broad swath of Americans. Wages are actually growing fastest at the bottom right now, not at the top, and that reality is playing a big role in keeping the expansion on track. Nor should Democrats dismiss the low jobless rate. It's not some phony number. For instance: Employment for prime-age workers has now completely recovered from the 2008 financial crisis even though many economists fretted it never would. To many Americans, the Trump economy is going to seem a lot better than the Obama economy. (James Pethokoukis, The Week)
Während ich der Analyse des Artikels grundsätzlich zustimme, habe ich mit dem Framing ziemliche Probleme. Punkt eins: The Trump economy is the same as the Obama economy. Das Wachstum der US-Wirtschaft ist seit 2010 praktisch unverändert. Nur musste Obama den Scherbenhaufen der Finanzkrise und der anderen Bush-Fiaskos aufkehren, während Trump einen gemachten Stall übernahm (und seither nach besten Kräften herunterwirtschaftet). Zum anderen haben Präsidenten praktisch keinen Einfluss auf die Wirtschaftslage. Ob Obama, Bush oder Trump, Clinton, Reagan oder Bush (senior), die Wirtschaftsentwicklung verläuft im Guten wie im Schlechten praktisch ohne präsidialen Einfluss. Wo Präsidenten massiv Einfluss haben ist im Abmildern von Krisen (oder eben nicht), aber im Generieren von Wachstum haben sie wenig Macht. Das wäre der Job des Kongresses - und der weigert sich beharrlich. Bezüglich der eigentlichen Analyse: Für die Democrats ist die Lage unzweifelhaft extrem schlecht. Es ist absolut pervers, sich etwas anderes zu wünschen - wir sollten das künstliche Schaffen von Wirtschaftskrisen und massivem Leid weiter den Republicans überlassen. Aber da die wirtschaftliche Lage zu den sogenannten " fundamentals" gehört, den Faktoren also, welche sich durch einen Wahlkampf nicht verändern lassen und für die Prognose des Wahlergebnisses wesentlich größere Relevanz besitzt als die meisten anderen Faktoren, ist das nichts, was angesichts der kommenden Wahl optimistisch stimmen kann.
7) The Search to Understand Barack Obama Continues
That is something we heard often as a critique of Obama. But it ignores the fact that he was first and foremost a community organizer, which is often at odds with those in the so-called "helping professions." There is a tendency in the latter to assume a posture of paternalism that sees clients as victims who need to be rescued. The job of a community organizer is to empower people to help themselves. [...] No one understands Barack Obama better than his wife Michelle. She captured the essence of the man with this: "Barack is not a politician first and foremost. He's a community activist exploring the viability of politics to make change." Now that his life as a politician is over, Obama is back to being a community organizer, focusing his energy on raising up a whole new generation of leaders. [...] Ryan Lizza's piece explores the desire by some Democrats for Obama to put all of that aside and step in to take control of a contentious presidential primary. That is not a role that the community organizer is going to take. The comments Obama made recently were basically his attempt to say, "Chill out." [...] He is saying that we should trust the process of choosing a nominee. After the last three years, it is understandable that trust is in short supply. But Ta-Nehisi Coates might have captured one of the most enduring descriptions of the former president when he said that Obama displayed a "shocking, almost certifiable faith in humanity." The community organizer thinks we can do this. I sure hope he's right. (Nancy LeTourneau, Washington Monthly)
Im letzten Vermischten hatten wir Obamas Vermächtnis bereits aus der Perspektive der Schwarzen beleuchtet; hier sehen wir eine Analyse seiner theory of change. Ich habe noch nie verstanden, wie einerseits Linke sich so schwer tun können, Obama und seine Herangehensweise zu verstehen und ihn als neoliberalen sellout sehen, oder wie andererseits Konservative sich in die Vorstellung hineinsteigern können, er sei ein linksradikaler Revolutionär. Beide Ansichten können nicht gleichzeitig richten sein, und sieht man sich ohne ideologische Brille an, wer Obama ist, was er sagt und wie er regiert, kann man eigentlich nur zu dem Schluss kommen, dass er ein liberaler Zentrist ist, ein Moderater, wie er im Buche steht.
8) Microsoft Japan's experiment with 3-day weekend boosts worker productivity by 40 percent
Last August, Microsoft Japan carried out a "Working Reform Project" called the Work-Life Choice Challenge Summer 2019. For one month last August, the company implemented a three-day weekend every week, giving 2,300 employees every Friday off during the month. This "special paid vacation" did not come at the expense of any other vacation time. And the results were pretty incredible! First off, the reductions. Employees took 25.4 percent fewer days off during the month, printed 58.7 percent fewer pages, and used 23.1 percent less electricity in the office (since it was closed an extra day). All of these saved the company quite a bit of money. Next, the increases. Productivity went up by a staggering 39.9 percent. That means even though the employees were at work for less time, more work was actually getting done! A lot of the increase in productivity is attributed to the changing of meetings. With only four days to get everything done for the week, many meetings were cut, shortened, or changed to virtual meetings instead of in-person. And even though it should seem obvious, it's also important to note that 92.1 percent of employees said that they liked the four day workweek at the end of the trial. Due to its success this year, Microsoft is planning on repeating it again next summer or perhaps at other times as well. [...] While some of the commentors have a point that this kind of policy wouldn't work for every type of job, one thing is for certain: humans are only capable of doing so much work in a week. Beyond a certain threshold, no matter the job, work isn't going to be work anymore, it's just going to be time-padding. (Scott Wilson, SoraNews24)
In unserer kleinen Dauerdiskussion zu Arbeitszeiten hab ich dieses kleine Stück hier. Natürlich ist Japan ein Extremfall, was Arbeitszeiten angeht, und der vorliegende Fall ein sehr spezifischer Teil des Arbeitsmarkts. Aber die Betonung des Artikels gerade auf dem Streichen sinnloser Meetings ist etwas, das den meisten Leuten bekannt sein dürfte. Die Arbeitgeber sind bekanntlich sehr liberal im Umgang mit der Eh-da-Zeit. Wenn lange Arbeitswochen Pflicht sind - und 38-40 Stunden SIND eine lange Arbeitswoche - dann muss diese Zeit gefüllt werden. Und wie jeder weiß, findet sich immer irgendwas. Wenn Zeit dagegen eine wertvollere Ressource ist, dann fällt viel unnützer Ballast auch weg oder wird substituiert. Und das wäre eigentlich im Interesse aller Beteiligten.
9) With impeachment, America's epistemic crisis has arrived
Can the machine successfully hold the right-wing base in an alternate reality and throw up enough fog to keep the general public at bay for long enough to get through the next election? It seems challenging, given the facts on record, but this is just the sort of challenge the machine was built for. [...] Tribal epistemology happens when tribal interests subsume transpartisan epistemological principles, like standards of evidence, internal coherence, and defeasibility. "Good for our tribe" becomes the primary determinant of what is true; "part of our tribe" becomes the primary determinant of who to trust. [...] As I covered in more detail in this post (and this one), over time this led to a steady deterioration in fealty to norms, epistemological and otherwise, to the point that something like 30 percent of the country is now awash in a fantasia of conspiracy theories and just-so stories. [...] Tribal epistemology is key to this. Republicans must render partisan not only judgments of right and wrong but judgments of what is and isn't true or real. They must render facts themselves a matter of controversy that the media reports as a food fight and the public tunes out. That's the main reason they are focusing their attacks so intently on process complaints. The investigation itself, the hearings, the whole process must come to be seen as partisan, which will serve as permission for the engaged on the right to attack it, the engaged on the left to embrace it, and the broader public to dismiss it. [...] Democrats are still dependent on the mainstream press to convey their messages to the broad public. Many of their consultants and press officers still view their role as managing relationships with mainstream reporters. But the mainstream media, catering to low-information voters and reinforcing their worst prejudices in the process, persists in covering politics precisely through the most cynical lens, as a team sport, competing performances to be narrated like an announcer calling a game. (David Roberts, vox.com)
Ich habe das hier nur auszugsweise zitiert, es ist ein ungeheuer brillantes und langes Essay, das die Thematik von allen möglichen Seiten beleuchtet. Ich habe diesen Ausschnitt wegen der völligen medialen Asymmetrie in medialer Hinsicht gewählt. Die Republicans haben einen komplett isolierten und abgeschirmten Komplex mit Talk Radio, Breitbart und FOX News (als pars pro toto). Ihre Wähler kommen überhaupt nicht mit einer anderen Realität in Kontakt. Das ist auf der Gegenseite des Spektrums völlig anders. Zwar gibt es auch eine linke Medienblase mit entsprechenden Outlets, aber erstens haben diese nur einen kleinen Bruchteil der Reichweite rechter Outlets, zweitens sind sie immer noch sensible gegenüber so etwas wie Fakten und lügen nicht offen und drittens - und wichtigstens - folgt die absolute Mehrheit der demokratischen Wähler AUCH, wenn nicht sogar AUSSCHLIESSLICH den traditionellen Leitmedien. In der virulent polarisierten Stimmung der USA ist das ein klarer Wettbewerbsnachteil, weil die Verwundbarkeit gegenüber Skandalen, Enthüllungen oder schlicht der normativen Kraft des Faktischen nur eine Seite des Spektrums betrifft. Die AfD hat schon mehrfach explizit gesagt, dass es ihr Ziel ist, eine ähnliche Blase zu schaffen. Das Ziel der NachDenkSeiten etwa war in Deutschland ja schon immer, so etwas für das linke Spektrum hinzubekommen ("Gegenöffentlichkeit"); sonderlich erfolgreich waren die Linken damit aber aus welchen Gründen auch immer noch nie. Ich halte einen guten Teil des etwa 20% umfassenden Wählerpotenzials der AfD auch deswegen für so hoch, weil sie eben bereits gegenüber der Realität immunisiert und völlig unerreichbar sind.
10) What Trump has actually done in his first 3 years
As 2020 approaches, Trump's achievements are a reminder that Trump and his team are doing real things that have real impacts on real lives. His successes explain why the conservative movement is solidly behind him, despite its considerable doubts from four years ago. Regardless of what Trump tweets or says or does during the election, it's worth remembering there's more to him than the Trump Show. [...] As a candidate, Trump was vocally skeptical of climate change regulations but specifically vowed "to promote clean air and water," which are overwhelmingly popular causes. But Trump has moved to roll back dozens of rules on these subjects without the changes ever becoming a focus of sustained public debate. Most of these rollbacks' impacts will be felt primarily in the long term, but already, particulate pollution is getting worse, reversing years of progress. [...] The difference is that from day one Trump has enjoyed a GOP Senate majority and the new rules whereby judicial nominees cannot be filibustered by the minority. Consequently, Trump has seen federal judges appointed and confirmed at a record rate. He's put 46 Circuit Court judges on the bench in three years compared to 55 across eight years of Obama, meaning a bit over a quarter of appeals court judges are now Trump appointees. If these judges ultimately rule in his favor, the short-term consequences for both immigration and the safety net will be large - over and above the obvious longer-term impact of the judiciary. But the extent to which judicial nominations loom large in Trump's policy résumé underscores how thin it is. The Senate has had ample floor time to consider his nominees because members simply haven't done much legislating. That's left Trump with executive actions that have certainly been consequential in spots - especially in his key areas of rhetorical focus around energy and immigration - but still a considerably smaller impact than his recent predecessors who all signed several major pieces of legislation. (Matthew Yglesias, vox.com)
Wie Fundstück 9 handelt es sich auch hier um ein sehr langes, ausführliches und wohlrecherchiertes Essay, das die Lektüre lohnt. Tatsächlich ist die Präsidentschaft Trumps bisher für Progressive ein volles Desaster, und all jene naiven Beobachter, die 2016 nicht müde wurden zu betonen dass die apokalyptischen Warnungen übertrieben waren, sehen umso dümmer aus. Nicht, dass sie ihren Irrtum eingestehen würden. Davon abgesehen halte ich die Personalisierung auf Trump allerdings für einen schweren analytischen Fehler. Denn es ist nicht die Person Donald Trump, die all das erreicht hat. Der Mann kriegt kaum das policy-Äquivalent des Schuhebindens richtig hin. Verantwortlich für die massiven Erfolge in dieser kurzen Zeit ist etwas, das ich bei den Progressiven sehr vermisse und nicht müde werde zu betonen: Die Vorbereitung der nächsten Präsidentschaft. Jahrelang kuratierten die Republicans Listen über Listen mit Extremisten, die sie, sobald sie die Macht haben würden, sofort in zentrale Stellungen hieven konnten. Trump machte im Exekutivbereich viele dieser Listen obsolet, als er seine korrupten Klienten und Gönner in Machtpositionen hievte (daher ja nun das Impeachment), aber überall, wo es wirklich wichtig war, bekamen die republikanischen Operateure ihren Willen. Die Democrats brauchen dringend eine vergleichbare Vorbereitung. Und da Progressive, anders als Konservative oder Reaktionäre, etwas aufbauen und nicht nur verhindern oder zerstören wollen, muss diese Vorbereitung noch umfassender sein. Ich habe darüber in meiner Serie zum New Deal geschrieben; was benötigt wird ist nicht nur geeignetes Personal (die Republicans haben zwar linientreue Extremisten, aber keine Leute, die tatsächlich kompetent sind - erneut, das brauchen sie auch nicht, weil es ihnen ausschließlich um das Verhindern, Zerstören und Durchwinken von Lobbyentwürfen geht), sondern auch Gesetzesinitiativen, Gutachten, etc. Und da sehe ich erschreckend wenig aktuell.
Die Analysen, die prophetisch sein wollen, aber an die Grenzen des eigenen Journalisten-Egos stoßen müssen, erzeugen Zyklen und Routinen, stetig wiederkehrenden Formulierungen, die die Lücke des Spekulativen überbrücken sollen. Dieser Effekt wird hier durch die fast schon unheimliche Einhelligkeit der Einstellung zur SPD verstärkt und erinnert an die Texte, die der Landsberger Poesieautomat von Hans Magnus Enzensberger herstellt. Diese Apparatur setzt per Zufallsprinzip Satzglieder zusammen, die am Ende in ihrer Willkür Poesie ergeben, Zufallsgedichte. Die Verblüffung sagt viel über die journalistische Wahrnehmung der sozialdemokratischen Partei aus, in der eine sozialdemokratischere Ausrichtung nur eine trojanische Finte von Kevin Kühnert sein kann. Und in der die Wähler gar Truppen sind, die in seinem Auftrag „zur Wahlurne stürmen, um der ungeliebten Großen Koalition einen Denkzettel zu verpassen", wie es Michael Bröcker, ehemaliger Chefredakteur der „Rheinischen Post", heute in Steingarts „Morning Briefing" beschreibt. Die allgemeine Fassungslosigkeit über die „rote Revolte" ergäbe jedoch nur Sinn, wenn man bis dahin davon ausgegangen wäre, dass bisher doch alles wunderbar lief. Außerdem: Hätte Olaf Scholz gewonnen, hätte man medial das „Weiter so!" beklagt, die Erschütterungen, Beben, Totentänze, Selbstzerstörungen argumentativ zwar anders ausstaffiert - aber mit exakt demselben Fazit geschlossen:
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„Als politische Kraft hat sich die SPD gerade selbst abgewählt." („Berliner Zeitung")
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„Die SPD ist sich selbst nicht gut genug." („Süddeutsche Zeitung")
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„Sie hat sich vielmehr selbst aufgegeben." („Welt") (Stefan Niggemeier, Übermedien)