Einige von Euch wissen warum ...
Vor über eineinhalb Monaten stellte ich fest, dass mich meine Vorstellungen, wie ich in der Bloggerwelt unterwegs sein möchte, einengten. Mir geht es in erster Linie um Austausch/Zwiegespräch. Diesen konnte ich während der ersten Woche des Me.Made.Februar nur sehr mühsam aufrecht erhalten. Drum habe ich mich entschlossen eine ausgedehnte Pause zu machen (und einem möglichen Burnout davonzuschleichen).
Den folgenden Text aus der Brand eins März 2011 las ich zirka zwei Wochen später.
"Brich die Regeln, aber bleib' im Spiel" ... dieser Satz und viele andere Punkte aus dem u.g. Artikel regen mich an, mir Gedanken zu machen. Ich bin in allem, was ich mache, sehr "dabei". Das ist oft von Vorteil. Wenn jedoch mein Dabeisein (sind es diese manchmal störenden Perfektionsansprüche?) Überhand nimmt, dann geht es (mir) in Zeiten von "(zu)viel-um-die-Ohren" nicht lange gut. Ich kann nicht überall im Spiel bleiben ... 7-Std.-Arbeitstag, Selbstständig nebenbei, Freund, Freunde, zeitintensives Hobby ... das bisschen Haushalt ... ein wenig bloggen ... also breche ich die Regeln und lese ab und an bei Euch mit ... (über die Mails und was daraus entstanden ist, freue ich mich sehr; diese Zwiegespräche sind es, die mir wichtig sind.)
Soweit ganz einfach.
Ich mache mir jedoch Gedanken über den Umgang miteinander in dieser virtuellen Welt. Entfremdungen, austauschbare Beziehungen. Nur eine Kleinigkeit ... wenn ich in der realen Welt etwas gefragt werde, dann ist ein Danke-Schön durchaus
Mir ist bewusst, dass ich andere Menschen nicht ändern kann. Ich kann meine Einstellung ändern und/oder Konsequenzen ziehen. Und so bin ich auf der Suche nach einem anderen/neuen Weg für mich durch die Bloggerwelt - auch auf die Gefahr hin, nicht "im Spiel zu bleiben" ...
Bangemachen gilt nicht
(Quelle: Brand eins 03/2011)
Soziologen warnen vor den Zumutungen der Postmoderne. Vor der Anrufung des Unternehmergeistes in allen Lebensbereichen. Vor der allgemeinen Angst, nicht mitzuhalten und zugenügen.
Das klingt plausibel. Aber ist es auch richtig?
Quelle: www.brandeins.de
- Sei flexibel und effizient! Sei kreativ und handle eigenverantwortlich. Geh Risiken ein, sei durchsetzungsfähig und gleichsam sozial intelligent! Gearbeitet wird rund um die Uhr. Aber vergiss dabei nicht das Meditieren, die Kinder, die Partnerschaft. Brich die Regeln - aber bleib im Spiel!
So steht es in Erfolgsratgebern, so erzählen es die Coaches, so hört man es in Managementseminaren. Der Soziologe Ulrich Bröckling von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg spricht von einem "Imperativ der Selbstoptimierung". Wer nicht abgehängt werden will, der muss ständig in Bewegung bleiben und sich selbst als Projekt begreifen, besser: als Projektportfolio. Der muss als Unternehmer in eigener Sache agieren - an allen Fronten, jeden Tag, das ganze Leben lang. Nur Gott konnte es sich leisten, am Sonntag ein wenig auszuspannen.
Bröckling hat für dieses Leitbild den Begriff des "unternehmerischen Selbst" geprägt. Darin steckt einerseits das Versprechen von Freiheit, Autonomie und Selbstverwirklichung. Das "unternehmerische Selbst" bestimmt, wie es leben und arbeiten möchte. Es ist seines eigenen Glückes Schmied. Doch die Anrufung des Entrepreneur-Geistes hat auch einen Haken, sagt Bröckling: Der Unternehmer in eigener Sache werde nie mit irgendetwas fertig vor allem nicht mit sich selbst.
Jeder Wettbewerbsvorteil hält nur für einen Moment, jede Position ist fragil, alles Erreichte schon wieder bedroht. Die Folgen seien Überforderung, Versagensangst und letztlich Depression: "Die dauernde Angst, nicht genug oder nicht das Richtige getan zu haben, und das unabstellbare Gefühl des Ungenügens gehören zum Unternehmer in eigener Sache ebenso wie das merkantile Geschick und der Mut zum Risiko."
Das klingt ganz so, als ob Bröckling hier Freiberufler vor seinem geistigen Auge hat, die sich von Projekt zu Projekt hangeln. Doch der meint die ganze Gesellschaft: Die "unternehmerische Anrufung des Subjektes" wirke längst in allen Sphären, von der Ich-AG bis zum Großkonzern - wie ein übermächtiger Sog, in den jeder hineingezogen wird.
Bröckling steht mit seiner These nicht allein. Eine ganze Reihe von Soziologen und Psychologen warnen vor den angeblichen Zumutungen von Flexibilisierung und neuen Arbeitsformen. Sie diagnostizieren neue Formen der Entfremdung, Überforderung und Angst.
Der Kammerton ist eingestellt. Eine Gesellschaft steht kurz vor dem kollektiven Burnout. Wo früher Klassenkampf war, sind heute seelische Verwerfungen.
Auf der einen Seite die "unerschrockenen Spieler", auf der anderen die Erschöpften, Ängstlichen und Depressiven - vor allen Dingen diese. "Nicht die Gier regiert die Welt, sondern die Angst", nennt das der Jenaer Soziologe Hartmut Rosa. Und sein Kollege Gerd-Günter Voß von der TU Chemnitz warnt gar vor den Gefahren "psychosozialer Verelendung".
Das alles klingt nicht zufällig nach neomarxistischer Kritik im Geiste der sechziger Jahre. Damals versuchte man die Entfremdungserscheinungen der spätkapitalistischen Gesellschaft unter anderem mithilfe von psychoanalytischem Vokabular aufzudecken. Manche der neuen Thesen wirken heute ähnlich überzogen etwa wenn der Soziologe Rosa behauptet, die Logik des unternehmerischen Selbst werde eines Tages den Kapitalismus selbst "zum Erliegen bringen".
Das ist ein alter Hut. Doch früher richtete sich die Kritik auf entfremdete Arbeitsverhältnisse alten Typs, aufs Malochen und Überstundenschieben, auf die Angst vor dem autoritären Chef. Heute zielt sie mitten ins Herz einer Ökonomie, die mehr Autonomie ermöglicht und fordert. Diese Selbstbestimmung habe letztlich verheerende seelische Folgen.
Warum eigentlich? Es gibt eine einfache Antwort. Freiheit macht Angst - und das ist gut so. Selbstbestimmung ist kostbar, eben weil wir sie auch fürchten.
Schlichte Gemüter sehen sich auf einem Hügel. Der kritische Geist erkennt den Abgrund
Vordergründig scheint es, als hätten die Kritiker die Empirie auf ihrer Seite. Haben psychische Krankheiten - von Angststörungen bis zur Erschöpfungsdepression - nicht erschreckend zugenommen? Sind die Fehlzeiten in Unternehmen nicht gestiegen? Muss da nicht zwangsläufig etwas faul sein an neuen Arbeitsformen, die dem Einzelnen immer mehr abverlangen?
Der Chemnitzer Soziologe Voß hat vor Jahren den Begriff des "Arbeitskraftunternehmers" erfunden, der sich selbst organisiert, kontrolliert und vermarktet - und sein ganzes Leben führen muss wie einen Betrieb. Heute erforscht er die psychosozialen Folgen neuer Arbeitsformen. Wie sein Kollege Bröckling sieht er das Problem weniger in Arbeitsüberlastung, sondern in der Widersprüchlichkeit der Anforderungen. Auf der einen Seite steht der Appell an Selbstorganisation, Kreativität und Eigenverantwortung, auf der anderen wachsen Kontrolle und Druck. Regeln brechen und die Norm wahren - "man weiß nie genau, was eigentlich richtig und wann es genug ist", sagt Voß.
Für seinen Jenaer Kollegen Rosa ist diese Überforderung eine Folge der allgemeinen Beschleunigung des Lebens. "Es gibt kein Ziel, das man erreichen kann. Man kommt nirgendwo hin, sondern muss nur immer schneller werden, um seinen Platz zu halten." Früher machte man eine Ausbildung, man ergriff einen Beruf, gründete eine Familie und wählte die politische und religiöse Orientierung - damit war die Identität festgelegt. In spätmodernen Gesellschaften hingegen muss sich das Selbst immer wieder neu ausrichten. Es gebe keinen Lebensplan mehr, sagt Rosa. Das Selbst verliere Richtung und Ziel: "Wer wir sind, ändert sich von einem Kontext zum nächsten." Kurz gesagt: Ich bin viele - und zwar ständig ein anderer.
Die Konsequenz sei eine "Vervielfältigung von Statusängsten". Längst reiche es nicht mehr, einen soliden Job zu haben, um seinen Status zu sichern. Genauso muss man seine Facebook-Kontakte, seine Krankenversicherung oder sein Smartphone optimieren. In allen Bereichen muss dieses "situative Selbst" nach Rosa aufpassen, dass es nicht den Anschluss verliert - und damit Selbstwert und Anerkennung.
Was einmal Statusangst hieß, wird zum Angst-Status - zum permanenten Kammerflimmern des Subjektes. Wo immer man gerade steht, kann man auch wieder abrutschen. Nach Rosa gibt es keinen Punkt mehr, an dem man durchatmen und in Ruhe alles überblicken könnte: " Jeder Hügel ist eigentlich ein Abhang nach unten." Das System produziere auf diese Weise systematisch Schuldige. Es ist nicht zu schaffen, nie, sagt Rosa: "Wenn man mal glaubt, alles für den Job getan zu haben, dann ist man schuldig, weil man nicht genug meditiert oder für Fitness und Partnerschaft getan hat."
Früher gab es zur Entlastung des schuldigen Subjektes die Beichte. Doch heute sei die Steigerungslogik letztlich unentrinnbar, so Rosa - und in ihren Grundzügen totalitär. Die Konsequenz seien neue Formen der Entfremdung. Im ständigen Wettbewerb würden Beziehungen austauschbar, und für das "unternehmerische Selbst" habe letztlich nichts mehr dauerhafte Bedeutung.
Die Moderne habe ein "Autonomieversprechen" gegeben die Befreiung des Subjektes von Zwängen und Fremdbestimmung. Doch unter kapitalistischen Bedingungen könne sie dieses Versprechen nicht einlösen. Am Ende, folgert Rosa, müsse man eben doch die "Systemfrage" stellen.
Man kann solche Theorien, je nach Geschmack, für wohlfeil oder gestrige Ideologiekritik halten. In den unscharfen Begriffen liegt zwangsläufig die Gefahr grober, kurzschlüssiger Vereinfachung. Denn selbstverständlich gibt es genügend Beispiele von Menschen, die ihr "unternehmerisches Selbst" realisiert haben, ohne Hilfe beim Psychotherapeuten suchen zu müssen. Und selbst Freiberufler, gleichsam die Inkarnation des "Arbeitskraftunternehmers", brennen bekanntlich nicht notwendigerweise aus. Sondern ziehen Befriedigung aus gelungenen Projekten und verwirklichten Visionen.
Und sicher: Jeder Freiberufler kennt die Angst, an einem wichtigen Projekt zu scheitern oder plötzlich keine Aufträge mehr zu bekommen. Viele Leute wissen, wie es ist, wenn man nächtelang durcharbeitet, jeden Tag Hunderte E-Mails checkt - und am Ende merkt, dass es immer noch nicht gereicht hat. Nur gilt eben auch: Was uns überfordern kann, kann uns auch zum Denken anregen - und zu zukunftsgewandtem Handeln. Diese Dialektik steckt letztlich schon im Konzept des unternehmerischen Selbst.
Wer nicht an Statussymbolen hängt, braucht keine Sorge um sie zu haben
Wo also ist das Problem? Ist es nicht möglich, dass die einen mehr Schwierigkeiten mit einem selbstbestimmten Leben haben als die anderen? Ist "Subjektivierung" nicht letztlich doch eine Aufgabe des Subjektes?
Denn erstens kann jeder bis zu einem gewissen Grad selbst entscheiden, mit welcher Geschwindigkeit, in welchem Stil und in welche Richtung er sich bewegt. Das geht auch ohne langfristiges Ziel. Was könnte auch heute ein solch fester Bezugspunkt sein? Eine vage Vorstellung von Lebensglück? Der Sozialismus? Die Realisierung eines "wahren Selbst"?
Zweitens: Wer keinen fixen Status mehr hat, der hat auch keinen zu verlieren. Und genau das kann ein Vorteil sein. Die alte Mittelschicht war oft unbeweglich, weil ihr Denken um Statussymbole kreiste - um den Mercedes, ums Einfamilienhaus. Wer davon frei ist, hat mehr Spielraum, kann auch mal wieder von vorn anfangen, etwas Neues probieren, sich selbst neu erfinden. Es gibt immer einen Ausweg.
Fragwürdig ist drittens die Behauptung, das Unternehmertum in eigener Sache habe darüber hinaus weder Ziele noch einen Sinn. Kann ein spannendes Projekt nicht viele schlaflose Nächte wert sein? Und lohnt es sich etwa nicht, für die Umsetzung einer großartigen Idee die Angst vor dem Scheitern zu überwinden womöglich sogar Existenzängste?
Gegen die Überforderungs-These gibt es noch einen grundsätzlichen Einwand. Dahinter steht unterschwellig das Ideal eines "gelingenden Lebens" - eines Lebens, wie es sein sollte. Oder besser: wie es die Theoretiker sich vorstellen, ohne das explizit zu machen. Da schimmert der Traum von der Verwirklichung einer "wahren" Menschennatur durch. Ironischerweise gilt eine solche Vorstellung in den Augen des spät- oder postmodernen Theoretikers aber als erledigt. Was unterm Strich übrig bleibt, ist eine Anleitung zum Unglücklichsein.
Dabei steckt im Begriff des unternehmerischen Selbst ein positives, schöpferisches Potenzial - und letztlich auch die beste Therapie gegen eine depressive Gesellschaft.
Denn der Mensch kann lernen, Überforderung und Burnout zu vermeiden. Nicht nur Hirnforscher und Psychologen wissen heute: Die Überwindung von Ängsten kann Hochgefühle auslösen, ja sogar eine Art von Glücksempfinden. Lohnende Ziele sind vielleicht das beste Gegengift zum angstbeladenen, "erschöpften" Selbst, das letztlich vor der Unsicherheit der Welt kapituliert.
Die Angst vor Versagen und Überforderung ist ein Preis von Freiheit. Aber sie treibt uns auch voran, sie hält uns in Bewegung. Von Erfindern bis zu Extremsportlern - sie alle suchen die Herausforderung, den Thrill. "Die Angst lähmt nicht nur, sondern enthält die unendliche Möglichkeit des Könnens, die den Motor menschlicher Entwicklung bildet", schrieb schon der Philosoph Sören Kierkegaard.
Vielleicht muss man tatsächlich die Widersprüchlichkeit mancher Anforderungen überdenken, etwa wenn Unternehmen einerseits eigenverantwortliche Mitarbeiter wollen und sie andererseits auf Schritt und Tritt kontrollieren. Und gewiss braucht die Welt auch Menschen, die langfristig an einer Idee festhalten, anstatt aus Angst, abgehängt zu werden, von einem Trend zum nächsten springen. "Lebe wild und gefährlich" ist keine Dauerlösung.
Andererseits kann sie auch nicht darin bestehen, die alten Regeln, das alte Status- und Sicherheitsdenken wiederherzustellen. Und kann man nicht auch beglückende "Resonanzerfahrungen" machen, indem man völlig aufgeht in einem interessanten, spannenden Projekt?
Als die Welt noch festgefügt zu sein schien, kreisten die Ängste um Besitz, um die Wahrung der gesellschaftlichen Position und damit letztlich um sich selbst - siehe die Statusangst der alten Mittelschicht. Im instabilen, "situativen", unternehmerischen Selbst hingegen liegt die Chance auf wahre Selbst-Verwirklichung. Gerade weil es eigentlich "selbst-los" ist, weil es keinen festen Bezugspunkt hat, keine Identität, keinen Lebensplan im eigentlichen Sinn, kann es sich mit den wirklich wichtigen Dingen beschäftigen.
Die wirklich wichtigen Dinge - die liegen nicht in einer vagen Vorstellung von Identität, von Status, von Lebensglück. Die liegen in den Herausforderungen der Welt da draußen - nicht in der Beschäftigung mit sich selbst. Die Angst vor Überforderung ist gut, weil sie dazu zwingt, die Dinge zu sortieren und Prioritäten zu setzen. Das "unternehmerische Selbst" muss immer wieder neu auf die Umstände reagieren: Es nimmt sich selbst nicht so wichtig. Gerade weil sein Status ständig bedroht ist, hat es keinen Sinn, sich daran zu klammern. Das führt bei manchen zu Stress und Angst, birgt aber auch die Chance, sich auf die Welt da draußen zu konzentrieren - auf die Gefahren und Herausforderungen, auf all die lohnenden Ziele. Und genau darin liegt letztlich der Sinn.