Wider Erwarten ist der Plan mit der Freizeit nun doch aufgegangen. Mit etwas Verspätung zwar, weil der Zoowärter, der FeuerwehrRitterRömerPirat und Luise zur Märchenstunde gebracht werden wollten, aber besser spät als gar nicht. Die ewig gleiche Frage, was von all dem Aufgeschobenen man in die kurzen Momente der Freizeit quetschen soll, war diesmal schnell beantwortet: Charles Lewinskys „Gerron“ und Eiskaffee. Was denn sonst, wo ich doch am Wochenende so viele lobende Worte über das Buch gelesen hatte? Spätestens auf der dritten Seite war klar, dass die Literaturkritiker für einmal nicht übertrieben haben. Gewöhnlich liest man ja viele schöne Worte über ein Buch und dann, wenn man es endlich erwartungsfroh in den Händen hält, fragt man sich, wer nun der Banause ist, der Literaturkritiker, der solchen Mist hochgejubelt hat, oder die Lesende, die unfähig ist, die grosse Kunst zu erkennen.
Für die perfekte Lektüre war also gesorgt, somit blieb nur noch die Suche nach dem perfektem Café, wo ich mich ungestört in die Sätze vertiefen konnte, die so gekonnt in eine Vergangenheit führen, von der man sich wünscht, dass sie sich nie auch nur annähernd wiederholen möge. Das erste Café war dazu gänzlich ungeeignet, zu laut dröhnte es von der Baustelle, die in der Nähe lag. Auf dem Weg zu Café Nummer zwei dann eine Begegnung mit einer Bekannten aus Kindheitstagen. Wir kennen uns kaum, unsere Wege kreuzen sich nur selten und doch stehen wir jedes Mal, wenn wir uns begegnen, nach kurzem Small Talk mittendrin im Thema, das uns beide beschäftigt: Glauben, auch wenn einen die „Rechtgläubigen“ zuweilen beinahe zur Verzweiflung bringen; in all den Dogmen den eigenen Weg finden, ohne dabei zu verlieren, was einem so kostbar ist. Wie wir so redeten, verspürte ich auf einmal diesen inneren Drang, endlich weiter zu schreiben an dem Text, mit dem ich in Worte zu fassen versuche, was mich seit Jahren nicht loslässt: Welche unumstössliche Wahrheit gehört endlich umgestossen, hinter welchem Tabu verbirgt sich eine Kostbarkeit, die schon lange darauf wartet, entdeckt zu werden? Wie sich von Unnützem trennen, ohne dabei das Heilige zu zerstören? Am liebsten wäre ich auf der Stelle nach Hause gefahren, um endlich weiter zu arbeiten an dem, was noch immer unvollendet herumliegt.
Ich blieb in der Stadt, fand ein besseres Café und las weiter. Woher hätte ich denn den Mut nehmen sollen, mich an den Schreibtisch zu setzen, wo ich doch eben erst 540 Seiten voller nahezu perfekter Sätze erworben hatte?