“Nimm mich mit, Mutti. Ich möchte nicht zu Vati!” Nadines Mutter Carola, die sich auf ein gemeinsames Wochenende mit Thomas, dem neuen Mann in ihrem Leben, freute, konnte ihrer Tochter diese Bitte nicht abschlagen…
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Die Türglocke schlug an, als Carola die kleine Kunstgalerie in der Innenstadt betrat. “Guten Morgen, Herr Dammert”, begrüsste sie fröhlich den Besitzer.
Er drehte sich um: “Sie sind es, Frau Böttcher. Guten Morgen. Ich habe gute Nachricht für Sie. Ich habe ein Aquarell und ein kleines Ölbild von Ihnen verkauft!”
“Oh, fein!” Carola schenkte ihm ein erfreutes Lächeln.
“Und das ist nicht alles”, schmunzelte Dammert. Er hatte sie aparte, zurückhaltende Künstlerin, die vor sechs Monaten in seine Galerie gekommen war, um ihm einige ihrer Bilder zu zeigen, ins Herz geschlossen. “Der Kunde möchte, dass Sie sein ganzes Anwesen für ihn malen.”
Sie warf einen Blick auf die Karte, die er ihr hinhielt, und las halblaut: “Thomas F. Holtkamp. Immobilien. Grundstücks- und Finanzmakler.” Sie überflog die Adresse: “Das ist ja ganz in der Nähe, ich werde gleich mal vorbeifahren.”
Die Sekretärin, die Carola empfing, war jung und sexy. Carola brachte ihr Anliegen vor, und die junge Frau bat freundlich: “Setzen Sie sich einen Augenblick, ich sage Herrn Holtkamp Bescheid.”
Einen Augenblick später war sie wieder da: “Bitte, würden Sie mir folgen? Herr Holtkamp erwartet Sie.”
Carola hatte sich, warum, wusste sie auch nicht, auf einen älteren Herrn gefasst gemacht. Der Mann, der sich hinter seinem Schreibtisch erhob, um sie zu begrüssen, war nicht älter als vierzig.
“Danke Sylvia”, sagte er, und zu Carola: “Sie sind also Frau Böttcher. Ich freue mich, dass Sie so schnell gekommen sind.” Er wies einladend auf den Sessel: “Bitte, nehmen Sie Platz. Möchten Sie etwas trinken?”
In seinem Blick lag unverhohlene Bewunderung, und Carola wandte rasch ihre Augen ab. Seit Gerold sie vor sechs Monaten einer anderen wegen verlassen hatte, fühlte sie sich in Gegenwart von Männern, die ihr zu verstehen gaben, dass sie ihnen gefiel, befangen und unsicher.
“Vielen Dank, nein”, lehnte sie höflich ab. Sie setzte sich und achtete darauf, ihre Füsse gerade nebeneinander zu stellen. Statt sich wieder hinter den Schreibtisch zu setzen, liess sich Holtkamp neben ihr auf dem zweiten Besuchersessel nieder.
“Also”, sagte er, “dann komme ich gleich zur Sache. Herr Dammert hat Ihnen sicher gesagt, worum es geht? Ich habe ein Anwesen erworben und hergerichtet und möchte nun ein Bild davon haben. Kein Foto, sondern ein schönes Ölgemälde.”
“Wie gross haben Sie sich das Gemälde denn vorgestellt?”
“Vielleicht 1×1,5 Meter? Wollen Sie sich das Anwesen gleich mal ansehen? Wir könnten schnell zusammen hinfahren, es ist nur eine knappe halbe Stunde bis dorthin”, schlug er spontan vor.
Sie sah auf die Uhr: “Ja, das geht. Wenn wir uns etwas beeilen.”
Sie waren angekommen. Das hohe, schmiedeeiserne Tor glitt vor ihnen auseinander, und Thomas fuhr im Schritttempo auf das Haus zu. Carolas Blick ging über den gepflegten Rasen, auf dem eine Gruppe von Rotbuchen und ein paar wunderbar gewachsene Zedern standen, bis zum Haus. Es war nicht sehr gross, aber harmonisch proportioniert.
Jetzt hielt Thomas vor dem Portal, ging um den Wagen herum und half ihr beim Aussteigen. “Nun, lohnt es sich, das zu malen?” fragte er nicht ohne Besitzerstolz.
“Sie haben gut gewählt, es ist wirklich ein Traumanwesen”, erwiderte sie.
“Kommen Sie, Sie müssen Frau Gehlert kennenlernen, meine Haushälterin. Wenn Sie hier malen, und ich bin nicht da, können Sie sich mit allem, was Sie brauchen, an sie werden.”
Nachdem sie Frau Gehlert begrüsst hatten, eine nette, rundliche Frau, die in der Küche beschäftigt war, machten sie einen Rundgang durch das Haus. Carola war beeindruckt. Oben zeigte er ihr die Schlafzimmer, von denen jedes ein eigenes Bad hatte: “Ich habe viele Freunde”, erklärte Thomas, “die jederzeit hier willkommen sind. Und jetzt bringe ich Sie selbstverständlich nach Hamburg zurück, Carola. Sie erlauben doch, dass ich Carola zu Ihnen sage? Bitte, nennen Sie mich Thomas. Und dann habe ich noch eine Bitte: Nehmen Sie meine Einladung zum Mittagessen an!”
“Vielen Dank, Herr Holth … ich meine Thomas, aber ich muss nach Hause. Meine Tochter wartet auf mich.”
“Sie haben eine Tochter.” Irgendwie klang das enttäuscht.
“Ja, Nadine ist vierzehn.”
“Dann haben Sie auch einen Ehemann?” Er streifte ihre ringlose Hand mit einem Blick. Gerold und sie hatten nie Ringe getragen.
“Ja”, sagte sie mit fester Stimme, fügte aber nach kurzem Zögern hinzu: “Allerdings leben wir seit einem halben Jahr getrennt.”
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“Du kommst aber spät, Mami. Wo warst du denn?” empfing Nadine sie zu Hause.
“Entschuldige, ich erzähl’ dir gleich. Oh, das ist aber lieb. Du hast schon den Tisch gedeckt.”
Während sie die Pizza, die sie aus der Stadt mitgebracht hatte, halbierte und auf die bereitstehenden Teller verteilte, berichtete sie: “Stell dir vor, Herr Dammert hat mir einen guten Auftrag vermittelt. Ich soll das wunderschöne Anwesen eines Immobilenmaklers malen.”
Ihre Tochter sah so abweisend aus, dass Carolas Herz sich zusammenzog. Sie erkannte das fröhliche, liebevolle und liebebedürftige Mädchen nicht wieder. Ja, Nadine hatte sich verändert, seit Gerold ausgezogen war. Sie litt unter der Trennung ihrer Eltern.
Carola nahm sich zusammen: “Ich habe es sofort besichtigt, daher meine Verspätung. Und ich werde gleich morgen mit dem Bild anfangen. Es könnte also sein, dass ich wieder nicht da bin, wenn du aus der Schule kommst, aber du hast ja einen Schlüssel.”
“Warum arbeitest du eigentlich?” begehrte Nadine auf. “Vati sorgt doch für uns!”
“Ich möchte arbeiten. Du musst das bitte verstehen.” Sie dachte daran, dass sie in all den Jahren ihrer Ehe die Malerei nur als Hobby betrieben hatte. Als sie sich entschloss, ihre Bilder dem Kunsthändler Dammert zu zeigen, war sie ganz überrascht, dass sie ihm gefielen und sich sogar gut verkauften.
Nadine schwieg, aber ihr Schweigen war feindselig. Carola versuchte noch einmal, ein Gespräch in Gang zu bringen. Erfolglos!
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Carola stand im Park vor ihrer Staffelei und malte. Sie war ganz in ihre Arbeit vertieft. Plötzlich eine Stimme!
“Thomas, wie können Sie mich nur so erschrecken? Haben Sie denn wirklich nichts anderes zu tun, als mir bei der Arbeit zuzusehen?”
Während sie weitermalte, unterhielten sie sich. Seit einer Woche sahen sie sich fast jeden Tag. Jetzt trat sie ein paar Schritte zurück, verglich das Kunstwerk mit dem Vorbild.
“Gefällt es Ihnen?” wandte sie sich an Thomas.
ich freue mich“Es ist genau so, wie ich es mir vorgestellt habe. Prächtig!”
“Es ist fertig”, sagte sie. “Es muss jetzt nur noch trocknen.”
Carola wusch die Pinsel aus, aber sie fühlte seinen Blick auf sich ruhen. Auf einmal fragte er: “Carola, was war zwischen ihrem Mann und Ihnen? Warum haben Sie sich getrennt?”
Bis jetzt war sie persönlichen Fragen immer ausgewichen, und wieder wehrte sie sich: “Ich möchte nicht darüber sprechen, Thomas.”
“Ich weiss, es geht mich nichts an, aber warum machen Sie ein solches Geheimnis daraus? Sie können Vertrauen zu mir haben.”
Sie schwieg. Er wartete geduldig, bis sie ihre Pinsel und Farbtuben eingepackt hatte, berührte dann leicht ihren Arm und sagte leise: “Lassen Sie uns ein paar Schritte durch den Park gehen.”
Ein leichter Wind bewegte die Baumkronen. Carola war auf einmal weh ums Herz.
“Sie haben sicher einmal Ihren Mann sehr geliebt”, sagte Thomas nachdenklich.
Und plötzlich gab sie ihren Widerstand auf. “Ja, ich habe Gerold geliebt. Und er mich. Wir waren Nachbarskinder. Er war drei Jahre älter als ich und hat mich immer beschützt. Wir waren beide Einzelkinder. Als wir heirateten, war ich 22 und er 25. Er hatte Maschinenbau studiert und sofort eine gute Stelle gefunden. Ein Jahr später kam unsere Nadine zur Welt.
Gerold hat dann von einem kinderlosen Onkel geerbt und mit dem Geld eine eigene Firma aufgebaut. Die ersten Jahre waren schwierig, aber dann lief die Firma gut. Wir konnten bauen. Wir waren glücklich. Das glaubte ich jedenfalls. Ich war so ahnungslos, so naiv. Gerold kam in letzter Zeit oft sehr spät nach Hause, er war nervös und angespannt. Ich fragte ihn, ob alles in Ordnung sei. Er antwortete, natürlich, es sei nur die viele Arbeit.
Eines Tages wollte ich seine Weste in die Reinigung bringen und fand in der Tasche einen Zettel mit dem Namen und der Adresse einer Frau. Linda Gregor.
Ich war wie vor den Kopf geschlagen, aber ich konnte nicht glauben, dass Gerold mich betrog.
Abends habe ich ihm den Zettel gezeigt. Er ist blass geworden. Er hat überhaupt nicht versucht, irgend etwas zu beschönigen. Er hat mir gestanden, dass er Linda vor einem Monat kennengelernt hatte und sie seine Geliebte geworden war.
Er hat seinen Koffer gepackt und ist zu ihr gezogen. Linda ist Journalistin. Vielleicht findet er eine Journalistin interessanter als eine Hausfrau? So war das.”
“Hast du nie daran gedacht, dass du auch jemanden anderes lieben könntest?”
Er hatte sie zum ersten Mal geduzt. Sie standen so dicht nebeneinander, dass sie sich fast berührten. Sie hob das Gesicht zu ihm auf, sah ihn fragend, unglücklich an. Da zog er sie an sich. Ihre Lippen trafen sich …
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“Mami, es ist fast sieben!” rief Nadine anklagend aus.
“Ich weiss, mein Schatz. Verzeih mir. Aber das Bild ist fertig, ich bleibe jetzt wieder zu Hause. Komm, wie gehen heute Abend beim Griechen essen, ich lade dich ein. Thomas hat mich sehr grosszügig bezahlt.”
“Ach, ihr nennt euch jetzt beim Vornamen?” fragte Nadine argwöhnisch. “Und warum wirst du rot?” hakte sie auch noch nach. “Hast du dich etwa in ihn verliebt?”
“Ich glaube, ein bisschen”, gab Carola zu. „Thomas hat mich übrigens nächstes Wochenende zu einem Segeltörn eingeladen.“
„Ein ganzes Wochenende? Samstag und Sonntag? Und wo übernachtet ihr?“
„Im Hotel, Liebes“, erwiderte Carola so unbefangen wie möglich. “Du wolltest doch sowieso nächstes Wochenende Vati besuchen.”
Nadine sah ihr gerade in die Augen: “Ich gehe aber nicht zu Vati! Ihm ist es doch völlig egal, ob ich komme oder nicht. Er ist bestimmt lieber allein mit seiner Linda!”
“Wie kannst du so etwas sagen? Vati hat sich doch besonders lieb!”
“Wenn das stimmt, warum ist er dann weggegangen?” Nadine hatte auf einmal Tränen in der Augen. “Nimm mich mit, Mutti! Oder willst du allein sein mit Thomas?”
“Mir ist es recht, wenn du mitkommst, Nadine. Ich muss nur Thomas fragen, und du müsstest Vati Bescheid sagen.”
“Ruf’ du Vati an”, bat Nadine.
“Das kann und will ich nicht. Das musst du schon machen. Du weisst doch, dass wir … dass jetzt alles kompliziert zwischen uns ist.”
Als Nadine am nächsten Tag in der Schule war, telefonierte Carola mit Thomas: “Du, es tut mir leid, aber Nadine möchte mitkommen.”
“Aber sie wollte doch zu deinem Mann?”
“Sie will’s nicht mehr. Sie hat ihn schon angerufen. Ach Thomas, ich verstehe ja, wenn es dir nicht recht ist, aber ich müsste dann auch zu Hause bleiben.”
Thomas seufzte tief auf. “Ist dir klar, dass deine Tochter versucht, dich zu erpressen?”
“Das ist möglich, aber sie ist vor allem unglücklich.”
Er seufzte noch einmal und erklärte dann: “Nun gut, dann nehmen wir sie eben mit.”
“Danke, das ist lieb von dir!” Carola fiel ein Stein vom Herzen.
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Thomas’ Zweisitzer war zu klein. Sie fuhren mit Carolas Wagen nach Kiel. Dort bewunderte Nadine Thomas’ Segelboot, eine Hanse-Jolle. Sie verbrachten den ganzen Tag auf dem Wasser.
Abends holte Nadine mit Thomas zusammen die Segel ein und vertäute das Boot: “Ich freu’ ich schon auf morgen”, strahlte sie ihn freudig an.
Thomas griff nach Carolas Hand und hielt sie fest: “Und ich freu’ mich auf eine Dusche und ein schönes Abendessen”, erwiderte er, während sie zusammen zum Wagen gingen, um das Gepäck zu holen.
“Ich habe ein Doppel- und ein Einzelzimmer reserviert. Mein Name ist Holtkamp”, erklärte Thomas im Hotel.
Der Hoteldiener zeigte ihnen zuerst das Doppelzimmer. Sofort setzte Nadine sich auf eines der Betten: “Ist das Zimmer nicht toll, Mami? Gerade richtig für uns!”
Carola sah zu Thomas hinüber. Wie hatte er sich das denn vorgestellt mit den Zimmern? Der aber sagte nur: “Na fein, ich gehe ins andere Zimmer.”
Nach dem Abendessen – Thomas hatte sie in ein sehr schönes Restaurant eingeladen – machten sie noch einen Spaziergang am Wasser entlang. Thomas wollte seinen Arm um Carolas Schultern legen, aber Nadine drängte sich dazwischen.
Ja, das Wochenende war Thomas gründlich verdorben. Er hätte es wissen müssen. Nach einigen Erfahrungen dieser Art hatte er sich geschworen, einen Bogen um Frauen zu machen, die Kinder hatten und Probleme mit ihrem Mann.
Die Rückfahrt nach Hamburg verlief schweigsam. Carola hielt vor Thomas’ Haus. Er stieg aus, holte seinen Seesack aus dem Kofferraum und beugte sich zum offenen Fenster hinunter: “Also dann, bis bald mal …”
Carola war auf einmal, als verlöre sie den einzigen Freund, den sie hatte. Für Thomas musste die Enttäuschung gross gewesen sein. Nadine hatte zu verhindern gewusst, dass sie auch nur fünf Minuten allein waren …
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“Nadine, was ist los? Warum kommst du jetzt erst nach Hause? Ich habe mir Sorgen gemacht.”
“Ach, Mami, ich musste noch in der Stadt ein paar Besorgungen machen. Rate mal, wen ich traf – Thomas!”
“Thomas?” Seit dem verunglückten Wochenende waren zehn Tage vergangen. Sie hatte oft an Thomas gedacht, aber er hatte nichts von sich hören lassen.
“Er möchte heute Abend mit dir essen gehen und schlägt vor, dass ihr euch um acht im Restaurant trefft. Hier, ich habe die Adresse notiert.”
“Und du hast nichts dagegen?”
“Ach, weisst du, ich hab’ mich ja blöd benommen”, erwiderte Nadine, und es klang verlegen. “Vati hat doch schliesslich auch eine Freundin. Und du bist immer so traurig.”
Ja, sie war traurig. War es Gerolds oder Thomas’ wegen? Sie wusste es nicht zu unterscheiden.
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Gerold liess die Tür des Restaurants nicht aus den Augen. Nadine war in die Firma gekommen und hatte ihm erklärt, dass sie ihn einmal allein sehen wollte, ohne Linda. Ob sie nicht zusammen essen gehen könnten.
Er hatte ihr dieses Restaurant vorgeschlagen, und nun wartete er.
Wieder ging die Tür auf. Eine Frau kam herein und sah sich suchend um. Es war Carola.
Plötzlich kreuzten sich ihre Blicke. Sie schien genau so erschrocken zu sein wie er, wandte ihren Blick rasch wieder ab.
Als Gerold sah, dass sie das Restaurant wieder verlassen wollte, sprang er auf. Fast warf er den Stuhl dabei um. In ein paar Schritten hatte er sie eingeholt: “Carola, was machst du hier?”
“Ich war mit einem Bekannten verabredet, aber es muss ein Irrtum vorliegen. Und du? Wartest du auf Linda?”
“Nein, auf Nadine.”
“Auf Nadine? Aber sie ist zu Hause.” Carola vermied es immer noch, ihn anzusehen, aber ihr Herz klopfte bis zum Hals.
Er stutzte, fragte nachdenklich: “Glaubst du, dass sie ein Treffen zwischen uns arrangieren wollte?”
“Möglich”, gab sie nach kurzem Zögern zu.
“Bleib”, bat er. “Ich bin dir eine Erklärung schuldig. Für damals.”
Er hatte die Bestellung aufgegeben. Der Ober brachte den Wein, schenkte ihnen ein. Gerold drehte das Glas in seinen Händen, und endlich begann er: “Du erinnerst dich sicher, die Firma lief nach den ersten schwierigen Jahren ausgezeichnet. Ich suchte nach einer Möglichkeit, etwas Geld gut anzulegen. Zwei Herren tauchten bei mir auf und fragten mich, ob ich Geld in eine Privatbank investieren wollte. Sie wirkten seriös, sie haben mir alles genau erklärt. Vier Monate später kam die Polizei. Die sauberen Herrschaften waren verschwunden – und das Geld auch. Wenn es nur unsere Ersparnisse gewesen wären, aber auf den Rat dieser Ganoven habe ich zusätzlich eine Hypothek auf die Firma aufgenommen. Ich wusste vor Sorgen nicht mehr aus noch ein.”
Carola war erschüttert: “Aber Gerold, warum hast du mir nichts gesagt?”
”Ich wollte dich nicht beunruhigen, du solltest weiter ein sorgloses Leben führen können. Du hattest das verdient, Carola. Eines Abends war ich so verzweifelt, dass ich in eine Kneipe ging. Dort habe ich Linda kennengelernt.”
“Aber du hast mir die ganze Zeit so grosszügig Geld gegeben. Haben wir noch immer Schulden?”
Er zog eine kleine Grimasse: “Kaum hatte ich alles zwischen uns zerstört, hat meine zusätzliche Arbeit Früchte getragen. Wir konnten uns vor Aufträgen kaum noch retten. Die Hypothek ist fast gelöscht. Es geht wieder aufwärts.”
“Aber heute liebst du Linda”, sagte sie tonlos.
“Nein, wir haben schnell festgestellt, dass wir uns nicht wirklich lieben. Aber du? Nadine hat mir von deinem Freund erzählt. Sie sagt, dass er in Ordnung sei, ein Riesen-Typ. Das waren ihre Ausdrücke.”
“So? Hat sie das gesagt?” Carola musste auf einmal schmunzeln. Nadine war wirklich eine hervorragende Diplomatin. Ihre Augen ruhten auf dem Mann, der ihr gegenüber sass. Sie begriff, dass er der Mann ihres Lebens war. Der einzige. Immer noch. In Thomas war sie nur verliebt gewesen, so wie er in sie. Er war ein sympathischer Lebenskünstler, kein Mann für’s Leben.
“Möchtest du zurückkommen?” fragte sie leise.
“Du willst mich wirklich wiederhaben?”
“Wenn du mir versprichst, nie wieder irgendwelche Sorgen für dich zu behalten. Jeder begeht Irrtümer, und ich will keine Prinzessin auf der Erbse für dich sein.”
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Als sie zusammen das Haus betraten, sprang Nadine von der untersten Treppenstufe auf: “Ihr seid endlich zu Hause? Und alle beide?” fragte sie überwältigt.
“Und du? Warum schläfst du nicht?” lachte Carola und schmiegte sich glücklich an Gerold.
“Ihr seid mir doch nicht böse?” wollte Nadine wissen.
Carola schüttelte den Kopf: “Im Gegenteil, mein Schatz.”
“Ich wusste es”, seufzte Nadine und fügte mit einem zufriedenen Blick auf ihre wieder vereinten Eltern hinzu: “Manche Dinge sind eben zu ernst, als dass man sie allein den Erwachsenen überlassen könnte!”
ENDE