Nackte Junkies am DJ-Pult: „Tatort: Borowski und der Himmel über Kiel“

Erstellt am 26. Januar 2015 von Bandrix @cityofcinema1

„Es ist echt das geilste Gefühl der Welt!“, beschreibt die junge Rita Holbeck (einfach nur wow: Elisa Schlott) den Rausch-Zustand von Crystal Meth. Sie hat es geschafft. Sie ist nicht mehr abhängig von der Mode-Droge, die sich im Kieler Umland breit macht – und die Leute ebenso. (sorry, dieses Wortspiel passte einfach so gut)
Ihr Freund Mike (Joel Basman), eigentlich Michael, hat sie zur Droge gebracht. Mike ist ein wahrer Gentleman. Stellt sich während eines Schauers bei Ritas Arbeitsstelle unter, fragt nach einer Zigarette – und wenig später unternehmen die beiden bereits einen Ausflug mit dem Fahrrad in die dunkle, sternenklare Kieler Nacht. Daher entstammt dann auch wohl der Titel des neuen Kieler Tatorts „Borowski und der Himmel über Kiel“. Aber wie es die Krimireihe so möchte: Alles beginnt mit einem Mord.

Tauchen ein in die Welt der Drogen: Sarah Brandt (Sibel Kekilli) und Borowski (Axel Milberg) ©NDR/Christine Schroeder


Und in diesem Fall muss Mike dran glauben. Allerdings finden Kommissar Borowski (sympathisch wie eh und je: Axel Milberg) und Kollegin Sarah Brandt (überraschenderweise sogar diesmal wirklich gut: Sibel Kekilli) nur seinen Kopf in Mundsforde, einem Kaff nahe Kiel. Der Körper fehlt komplett, „Mexico ist eben überall“.
Mundsforde ist ein Ort voller Durchgeknallter, wie sich herausstellt – Borowski findet sogar, Mundsforde ist ein scheiß Dorf. Warum? Weil auch dort alle auf Crystal Meth sind. Genauso wie fast alle anderen Gestalten, denen Borowski und Brandt begegnen.
Seien es die beiden Kieler Dealer, von denen der eine früher einmal ein Wolf war und der andere hobbymäßiger Möwen-Immitator, oder aber der Mundsforder Dorfpolizist, der Borowski eröffnet, dass es auf dem Land neben dem Ackern und den Pornos im Internet eben nicht viel Aufregendes gibt. Herrlich skurril die Szene, in der einer der vollgepumpten Bauern mit seinem Trecker ein paar Runden im Kreis dreht. Herrlich skurril auch die Rückblenden von Mikes und Ritas Crystal Meth-Sausen.
Nackt stehen sie dort am DJ-Pult, die Posaune in der Hand. „Ich war einmal zwei Wochen lang wach und habe das nicht bemerkt“, eröffnet Rita den sichtlich sprachlosen Ermittlern. Und da weiß man dann irgendwann als Zuschauer auch nicht mehr, ob man bei diesen ausgelassenen Drogen-Exzessen wirklich amüsiert oder doch eher schockiert dreinblicken sollte. Wahrscheinlich Letzteres. Wie im Rausch entfaltet sich so eine ziemlich intensive Geschichte. Vom romantischen Betrachten des Kieler Nachthimmels geht es hinüber zu ausartenden Orgien, zu Momenten den des Rausches. Autor Ralf Basedow skizziert eine Geschichte über Abhängigkeit anhand von Ritas Schicksal: Anfangs ist ihr Leben völlig in Ordnung, doch wenn man einmal in die Drogen-Spirale hineingerät ist und bleibt man gefangen.

Drei Tage wach? Ach was! Ganze zwei Wochen bleiben Schlott (l.) und Basman wach. ©NDR/Christine Schroed


Regisseur Christian Schwochow verpackt die Geschichte gottlob nicht als triefend-langweilige Gesellschaftskritik - nicht auszudenken, was Ballauf und Schenk aus diesem Thema gemacht hätten -, sondern er setzt seinen Akzent auf einer handwerklich sauberen, atmosphärisch dichten Inszenierung. Düster ist vieles, vieles macht Angst von dem, was man da sieht, von dem, was für uns so fremd ist. Szenen aus einem Nachtclub brennen sich ins Gedächtnis, wenn zugedröhnte Partypeople zu grellem Licht und elektronischer Musik aus dem hier und jetzt abheben. Wenn der alte Opa in Mundsforde Borowski auf Meth harsch anfährt, läuft es dem Zuschauer genauso kalt den Rücken runter wie zu dem Moment, wo die rückfällige Rita ihrer Mutter nach einer Partynacht in die Arme fällt. Schwochow versteht was von seinem Handwerk. Überhaupt hat er mit diesem Film der jungen Elisa Schlott hoffentlich Tür und Tor geöffnet. Jedes Mal, wenn sie im Bild ist, entpuppt sie sich durch ihre kraftvoll-intensive Darstellung als echtes Juwel. Von ihr werden wir hoffentlich noch mehr sehen.
Doch trotz dieser Lobhudelei: „Borowski und der Himmel über Kiel“ ist ein Tatort – und als solcher begehen die Macher leider einmal mehr einen großen Fehler: Der Kriminalfall wird der Thematik geopfert. Die Auflösung ist schlichtweg ärgerlich und wird kurz vor Schluss aus dem Hut gezaubert, die Ermittlungen rücken ziemlich in den Hintergrund und verlaufen mehr als gewöhnlich. Der Fall hängt mit einem anderen Tötungsdelikt in Dänemark zusammen, Spannung ergibt sich quasi nur aus den Drogen-Szenen; und ein illustres Dorf auf dem platten Land – auch das hat sieht man gefühlt in jedem dritten Tatort. 

©ARD

Dieser Wermutstropfen versaut ein bisschen den Rest. Die 933. Ausgabe des Krimi-Dauerbrenners ist damit beileibe nicht der geilste Tatort der Welt, sondern bloß ein sehenswerter Film. Nicht mehr und nicht weniger.


BEWERTUNG: 7,5/10Titel: Tatort: Borowski und der Himmel über KielErstausstrahlung: 25.01.2015Genre: KrimiRegisseur: Christian Schwochow
Darsteller: u.a. Axel Milberg, Sibel Kekilli, Elisa Schlott, Joel Basman