Nackt unter Naturisten: ein Monat im FKK-Camp Montalivet in Frankreich

Es kam alles ganz anders als ich mir diesen Monat im französischen Naturistencamp CHM Montalivet vorgestellt habe. Viel weniger ging es um das Nacktsein, als um das einfache Leben im Freien und die spannenden Menschen, die dieser besondere Ort anzieht.

Als mich Pio Ende letzten Jahres anschrieb und mir sagte, dass ich für ein Lifestyle X Experiment unbedingt ins FKK-Camp nach Montalivet kommen sollte, wo die europäische Naturistenbewegung in den 1950er Jahren ihren Ursprung genommen hat, war ich sofort begeistert.

Da ich in Ostdeutschland aufgewachsen bin, war das Konzept für mich nicht neu, meine Erinnerungen an die Familienurlaube an der Ostsee jedoch durchwachsen. Eine gute Möglichkeit also, dem nackten Alltag nochmal eine Chance zu geben.

Am ersten Tag nach meiner Ankunft wurde ich von dem Lyriker Mick mit den Worten "Welcome to Paradise" empfangen. Die gleiche Begrüßung sollte ich den folgenden Tagen noch mehrmals hören. Am Ende des Monats habe ich auch verstanden, warum Monta (die liebevolle Abkürzung für den Ort Montalivet) diese ganz besondere Anziehungskraft auf Menschen hat.

Naturismus als Lebensart

FKK ist die Abkürzung für Freikörperkultur. International üblich sind eher die Begriffe Naturismus und Nudismus. Die Anfänge der Freikörperkultur liegen in Deutschland und auch heute bilden die Deutschen den Großteil der Bewegung. Das Nacktsein steht bei dieser Bewegung in keinerlei sexuellem Bezug.

Die Definition der Internationalen Naturisten Föderation (INF-FNI) lautet: Naturismus ist eine Lebensart in Harmonie mit der Natur. Sie kommt zum Ausdruck in der gemeinschaftlichen Nacktheit verbunden mit Selbstachtung sowie Respektierung der Andersdenkenden und der Umwelt.

Weltweit gibt es organisierte Naturisten in 30 Föderationen, davon allein in Europa 24. In Deutschland sind ca. 35.000 Menschen im DFK und in über 150 FKK-Vereinen organisiert, deren gemeinsames Anliegen die Freude am Erlebnis der Natur ist.

Der erste FKK-Verein wurde 1898 in Essen gegründet. Um 1900 wurde das Nacktbaden dann auch im Raum Berlin und an Nord- und Ostsee immer beliebter. Zur gleichen Zeit begann auch die naturistische Bewegung in Frankreich.

In den 1920er Jahren schlossen sich viele Vereine zusammen zur „Arbeitsgemeinschaft der Bünde deutscher Lichtkämpfer" (ab 1926 Reichsverband für Freikörperkultur). 1930 wurde eine „Europäische Union für Freikörperkultur" gegründet.

Die Bewegung breitete sich so weiter aus und erste Vereine wurden in Großbritannien und Australien gegründet. Doch bereits 1933 wurde ein Nacktbadeverbot ausgesprochen und die FKK-Bewegung von der NS-Ideologie zunächst bekämpft. Nach Kriegsende entwickelte sich die Bewegung wieder weiter, im Westen vor allem in Vereinen.

In der DDR herrschte ab den 70er Jahren eine größere Offenheit als in der Bundesrepublik und Nacktbaden war weit verbreitet. Hier diente die Nacktheit auch als Ausdruck von Freiheit und als politischer Protest.

Eine besondere Rolle spielt der Sport. FKK-Vereine und Ferienanlagen bieten den Mitgliedern die Möglichkeit verschiedene Sportarten auszuüben. In vielen Vereinen steht die sportliche Ausrichtung als Ziel und Zweck des Vereins. Dabei stehen gemeinschaftliche Aktivitäten im Vordergrund und kein Leistungssport. So auch in den zahlreichen Urlaubscamps, die sich vor allem in Frankreich und Kroatien befinden.

Aktuell gehen die Zahlen der Vereinsmitglieder eher zurück. Nacktbaden ist an vielen Stellen toleriert. Die "Nackerten" an der Münchner Isar sind in jedem Reiseführer aufgeführt und immer wieder gibt es öffentliche Veranstaltungen wie Festivals oder Läufe für Nudisten. FKK-Kreuzfahrten oder Familienfeste sorgen nicht mehr für Skandale. Auch Promis bekennen sich zum Nacktbaden oder betreiben Nackt-Yoga.

Das CHM Naturistencamp in Montalivet

1950 gründeten Albert Lecocq, seine Frau Christiane und einige Freunde das europaweit erste FKK-Urlaubszentrum. Bereits 1965 schon wurde die Grenze von 5.000 Besuchern überschritten, was die Popularität von nacktem Urlaub ziemlich schnell unter Beweis stellte.

Heute erstreckt sich das Naturistencamp CHM über eine Fläche von 200 Hektar, gepflastert mit einem Pinienwald, wunderschönen Dünen und einem 2 km langen FKK-Strand.

Während der Hochsaison im Sommer (Juli & August) sind auf dem CHM bis zu 15.000 Menschen. Im Juni, als ich dort war, waren es noch deutlich weniger. Durch die riesige Fläche hatte ich auch bei höherer Auslastung Ende Juni das Gefühl, genügend Platz und Privatsphäre zu bekommen.

Einige der ursprünglichen Bungalows, die zur Miete angeboten wurden, stehen immer noch auf dem Gelände. Sie enthalten eine kleine Kochnische, eine Außendusche, aber keine Elektrizität.

Der Großteil der ursprünglichen Bungalows wurde jedoch um- und ausgebaut. Die meisten von ihnen verfügen heute auch über Elektrizität und Wasser. Neben den Bungalows gibt es Stellplätze für Zelte und Wohnmobile, Ecolodges (siehe Foto) und Mobilheime, die zu großen Teilen im Besitz von wiederkehrenden Besuchern ist.

Die Ecolodge, in der ich einen Monat lang gewohnt habe, war im Grunde ein Zelt auf festem Holzboden. Drinnen befand sich ein gemütliches Bett, ein paar Regale und eine Kochnische mit Kühlschrank. Die meiste Zeit verbrachte ich auf der kleinen Terrasse.

Nach meiner Ankunft bekam ich als Neuling eine Einweisung zu den Verhaltensregeln hier im Camp, die sehr ernst genommen und von einem Sicherheitsdienst überwacht werden. Dazu gehören vor allem der respektvolle Umgang untereinander, der Natur und allen Dingen gegenüber.

Kameras sind auf dem Gelände verboten. Nacktsein wird bei gutem Wetter vorausgesetzt, vor allem am Strand. Bekleidung ist okay in den Abendstunden, beim Einkaufen und für Frauen, die ihre Tage haben.

Auf dem Gelände gibt es eine Therme, zwei Schwimmbäder, ein Fitnessstudio, Restaurants, Bars, Supermärkte, Bäcker, Fleischer, einen Friseur und weitere Läden. Es gibt also eigentlich keinen Grund, das Camp zu verlassen.

Auch für Freizeitaktivitäten ist in der Hauptsaison gesorgt. Von Bogenschießen bis Surfen, von Kunstprojekten bis zu Konzerten gibt es den ganzen Tag lang genug zu tun. Meine Zeit habe ich jedoch eher faul beim Lesen am Strand oder beim Arbeiten vor dem Bungalow verbracht.

Am Abend ging es oft in die Strandbar, zum Grillen mit neuen Freunden oder zum Picknick an den Strand. Auch wenn das Leben hier sehr entschleunigt ist (O-Ton: "An manchen Tagen muss man aufpassen, dass man beim Laufen nicht umkippt"), ist die Zeit verflogen, was auch daran liegen mag, dass ich einen extrem guten und langen Schlaf hatte.

Die Sache mit dem Nacktsein

Baboon (Pavian) ist die Bezeichnung für Neuankömmlinge im Camp, deren Hintern anfangs weiß und nach dem ersten Sonnenbad dann schnell rot wird. Diesen Spitznamen musste ich mir zwei Wochen lang gefallen lassen, bis auch meine sonst verdeckten Körperteile eine leichte Bräunung bekommen haben.

Vielen Menschen, mit denen ich hier im Camp gesprochen habe, geht es weniger um den Naturismus, als um den Ort an sich. Es geht vielmehr um das einfache und bewusste Leben in der Natur, als um krampfhaftes Nudistentum.

Ein paar Tage hat es gedauert, bis ich mich an das Nacktsein und vor allem daran gewöhnt habe, dass bei schlechtem Wetter viele Leute hier nur oben rum bekleidet sind. Teilweise habe ich es als sehr praktisch (z.B. am Strand, beim Gang zur Dusche) und teilweise nervig (keine Hosentaschen, beim Arbeiten mit dem Laptop auf dem Schoß) empfunden. Generell habe ich mich eher unwohl gefühlt, wenn ich bekleidet zwischen all den Nackten war.

Schön ausgedrückt hat es jemand aus Andorra, den ich im Camp getroffen habe: "We have seen each other naked, so let's cut the bullshit and get real." Wenn die äußeren Hüllen erst einmal gefallen sind, ist die Distanz in Gesprächen auch viel kleiner.

Oberflächliche Gespräche hatte ich hier so gut wie gar nicht, dafür viele interessante Begegnungen mit spannenden Menschen. Genau das ist es, was Monta für mich ausgemacht hat.

Die Sache mit dem Campen

Im Vorfeld habe ich mich so sehr auf das Nacktsein konzentriert, dass ich ganz vergessen haben, wie wenig ich Campingfan bin. Nach ein paar Tagen wurde mir bewusst, dass nicht das Nacktsein, sondern das Campen die eigentliche Herausforderung wird.

Nachts wenn die Blase drückt im Dunkeln schlaftrunken zum Toilettenhäuschen torkeln, dreckiges Geschirr zum nächsten Abwaschplatz bringen oder den Regen wie Hagelkörner auf dem Zeltdach hören - das sind die kleinen Dinge, die mich davon abhalten, ein echter Campingfan zu werden.

Aber abgesehen von diesen kleinen alltäglichen Herausforderungen hat mir das einfache Leben sehr gut gefallen. Die Tage hier gleichen einander, wenn man das denn will. Selten hat mich ein schlechtes Gewissen geplagt, wenn ich nicht so viel geschafft habe und produktiv war, wie ich das gerne wollte.

Das Leben in der Natur hat mich definitiv entschleunigt. Es hat mich viele kleine Momente genießen, die ich mir in einer Großstadt nicht erlaubt hätte, z.B. stundenlanges Lesen, ziellose Spaziergänge und Starren in den Himmel.

Der Alltag hier ist wie in einem Dorf. Immer wieder läuft man bekannten Gesichtern über den Weg, tauscht den neuesten Klatsch und Tratsch aus und schmiedet Pläne für den Abend.

Was mich total begeistert hat, ist die Hilfsbereitschaft untereinander. Es war von Anfang an ein nachbarschaftliches Verhältnis, so dass ich mich von Tag 1 an willkommen und integriert gefühlt habe.

Nackt unter Naturisten: ein Monat im FKK-Camp Montalivet in Frankreich

Die Menschen in Monta

Neben der vielen Zeit im Freien waren die Begegnungen hier vor Ort auf jeden Fall das ganz große Highlight. Circa 50% der Besucher sind Franzosen, 30% Deutsche und der Rest teilt sich vor allem auf Holland und Großbritannien auf.

Neben bekannten Schauspielern und Politikern leben hier Kreative, Musiker und Unternehmer. Die Dichte an interessanten Persönlichkeiten ist einfach extrem hoch. Das ist die wahre Magie von Montalivet.

Wenn ich in eine Bar gehe, dann schaue ich zuerst nach den Klamotten und dem Erscheinungsbild von Leuten. Ich fühle mich angezogen oder abgestoßen, ob ich das nun bewusst möchte oder nicht. Ich unterhalte mich mit Leuten, die mir aufgrund ihres Auftretens sympathisch erscheinen. Wenn ich ganz ehrlich bin, dann sind 7 von 10 Gesprächen recht langweilig.

Hier hat mein Kopf gar keine Chance, Menschen nach ihrem Erscheinungsbild einzuteilen und die Ratio zwischen interessanten Gesprächen und langweiligen Small Talks fällt um ein Vielfaches positiver aus.

Von nicht wenigen Leute habe ich gehört, dass sie bereits in der dritten Generation hier nach Monta kommen. Wer seine Kindheit hier verbracht hat, scheint sich dem Bann nicht mehr entziehen zu können und kommt Jahr für Jahr wieder.

Nachdem mir die Selbstversuche der ersten fünf Monate in 2018 so einiges an Disziplin und Qualen abgefordert haben, war dieser Monat in Montalivet die absolute Entspannung. Ich durfte einfach nur (nackt) sein, tolle Menschen kennenlernen und zur Ruhe kommen.

Auch wenn ich immer noch kein großer Campingfan geworden bin, steht für mich außer Frage, dass ich in das CHM Camp zurückkehren werde. Empfehlen kann ich solch ein naturistisches Erlebnis also zu 100%.


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