"Nackt über Berlin"Coming of Age in seiner originellsten Form

Von Collectionofbookmarks

Jannik liebt klassische Musik, Klavierspielen und Tai, seinen besten Freund. Und als wäre das nicht schon kompliziert genug, verstrickt dieser ihn auch noch in eine Geiselnahme ihres selbstgefälligen Schuldirektors Jens Lamprecht. Eingesperrt in seiner eigenen Wohnung sinniert dieser über sein Leben und vor allem über die Fehler, die er begangen hat. Und nach und nach wird aus dem scheinbar harmlosen Schülerstreich ein Machtspiel der bitteren Sorte, mit Konsequenzen, die keiner erahnen konnte.
Schon lange nicht mehr habe ich bei einem Hörbuch dermaßen mitgefiebert wie bei Nackt über Berlin. Das lag einerseits an der originellen, verrückten, krassen und doch so herzerwärmenden Handlung, die von authentischen Figuren nur so wimmelte, andererseits an den Stimmen des Autors und Thorsten Mertens, die mit so überzeugender Betonung einen Heranwachsenden und einen überheblichen Direktor darstellten. Vor allem Jannik, der kluge, herzensgute Protagonist des Buchs, welcher noch mit seinen homosexuellen Gefühlen haderte und seine Liebe zu klassischer Musik in fast jede Zeile seiner Kapitel mit einfließen ließ, brachte mich dazu, mit ihm mitzufühlen, mich zu verlieben, zu bangen und zu verzeihen.
Was diese Geschichte zu einem lesens/hörenswerten Erlebnis macht, ist jedoch ihre Nähe an der Realität, da sie, trotz der irren Handlung, immer so greifbar und echt bleibt. Ich denke da nur an Janniks Eltern, an die Entwicklung der einzelnen Charaktere, die Empfindungen eines heranwachsenden Jugendlichen und und und. Stets hatte ich das Gefühl, dass der Autor ganz genau wüsste, wovon er schrieb; eine Glaubwürdigkeit, die ich in Coming of Age-Romanen oftmals vermisse.
Lange Rezi, kurzer Sinn...
+Witzig, originell, divers und authentisch. Eine Coming of Age-Story, die nicht nur Spaß macht, sondern auch zum Nachdenken anregt und sentimental sein kann. Manchmal erinnerte mich das Buch an Tschick, doch ist es in seiner Ausführung wesentlich drastischer.
-Zwischendurch gingen mir Lamprechts Kapitel echt auf den Keks, aber im Endeffekt mussten sie sein, um solch ein Ende zu schreiben.