Nachtrag aus dem November

Es ist die letzte Sportstunde für die 3B vor den Ferien und nach dem üblichen Programm, bieten ich und Profe Darling den Kindern an Fußball oder ein anderes Spiel zu spielen.Jubelnd und voller Elan, teilen sie sich in Gruppen auf und beginnen mit dem alten Ball zu spielen, der eigentlich ein Volleyball ist, während ich und Profe Darling auf der kleinen Mauer sitzen und ihnen zu sehen.Plötzlich sehe ich Marjine (Name geändert), ein stämmiges Mädchen, wie sie auf den scheinbar flüchtenden Johnton (Name geändert) zu rennt und ihm grob am Hemd packt.Intuitiv springen ich und Profe Darling auf, eilen zu den sich schlagenden Kindern und versuchen sie auseinander zu ziehen. Wir ziehen und zerren und schreien, aber das Mädchen ist so sehr in Rage, dass wir sie nicht von dem Jungen losbekommen.Dann geht alles ganz schnell. Sie zieht ihn an den Haaren und schlägt seinen Kopf mit voller Wucht gegen den eisernen Türrahmen. Sofort spritzt Blut aus seinem Kopf, das Mädchen lässt los. Blut tropft ihm von der Stirn, sein weißes Schulhemd verfärbt sich immer röter, über all ist Blut. An meinen Händen, an Profe Darlings Händen, auf dem Boden, an der Wand.Schnell renne ich ins Büro und verlange nach dem erste Hilfekasten, während Profe Darling den Jungen ins Büro schleppt und auf einen Stuhl setzt. Ein paar Lehrerinnen fangen an zu kreischen; meine Direktorin steht mal wieder den Tränen nahe und schreit: „Was ist passiert, was ist passiert?“Johnton, der eigentlich dunkelhäutig ist, ist nun fast weiß im Gesicht, zittert und ihm steht der Schock ins Gesicht geschrieben. Ich reiche Mullbinden, Watte und was sonst noch so vorhanden ist, womit Mercedes und Darling versuchen den Blutstrom aufzuhalten.„Wir müssen einen Krankenwagen rufen.“, sage ich und suche nach dem Telefonbuch, während sich die Direktorin angewidert abwendet und den Haufen von Kindern verscheucht, die sich alle ins Büro drängen, an der Tür und dem kleinen Fenster hängen, um einen Blick auf ihren Klassenkameraden zu erhaschen.„Nein,“, sagt Mercedes, die inzwischen die Haare um die Kopfwunde des Jungen abgeschnitten hat. „Die Wunde ist nicht so groß. Er brauch nur einen Kaffee.“Einen Kaffee! Mir fällt es schwer, aber ich begutachte die Wunde. Sie ist nicht so groß wie ich gedacht habe, aber sie befindet sich an des Jungens Kopf und sie ist offen. In Deutschland würde man so eine Wunde nähen, beziehungsweise irgendwie versuchen zu schützen. In Nicaragua bekommt man dagegen einen Kaffee und weil Johnton heute noch nichts gegessen hat auch ein Stück Brot.Die sonst so herzliche und geduldige Direktorin scheint mit den Nerven am Ende zu sein. „Es gibt nieeee wieder Sportunterricht für euch!“, schreit sie die draußen wartenden Kinder an, die zum großen Teil noch nicht einmal wissen, was überhaupt vorgefallen ist und die bis vor wenigen Minuten fröhlich zusammen Fußball spielten.Dann wird Marjine herein gerufen; es tut mir Leid zu sehen, wie sie fast verhört wird. Selbst sichtlich geschockt, versucht sie sich zu verteidigen. Er habe sie beleidigt, er hätte angefangen, er habe ihr hinterher gerufen, sie hätte Omaschuhe an.„Das ist noch lange keinen Grund sich so zu verhalten.“, brüllt meine Direktorin. Für den Rest des Schuljahres (nur noch wenige Tage), dürfe sie zur Strafe nicht mehr in die Schule kommen.Johnton sitzt derweilen weiterhin reglos auf dem Stuhl, ein Klassenkamerad borgt ihm sein Hemd. Ob ihn nicht jemand abholen komme, frage ich. Aber er wohnt weit in den Bergen und seine Mutter schaffe es nicht ihn zu holen. Die anderen Kinder, die würden bei ihm in der Nähe wohnen und ihn mitnehmen. Geheuer scheint mir das nicht und ich muss schlucken, als Profe Darling den Kindern nachruft „Und passt auf, dass er euch nicht umkippt“, während sie das Schulgelände verlassen.Mercedes wischt durch das Büro, ich räume alles wieder weg und wasche mir die Hände.Was muss man alles schon gesehen und erlebt haben, frage ich mich, wenn man als Kind schon zu so brutalen Handlungen fähig ist. Und leider glaube ich auf diese Frage, die Antwort bereits zu kennen.

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