Heute ist der 22. Januar und das Buch liegt neben mir. Ja, ich habe es nun ausgelesen, wollte wissen, wie es endet. Diese Vater-Sohn-Geschichte hatte mich irgendwie vom ersten Satz an berührt und einfach nicht losgelassen. Wie sich beide durch dieses völlig zerstörte und in Asche gehüllte Amerika schleppen. Keine Sonne. Nur graue Tristesse. Die Nächte totenstill und totschwarz. So kalt. (S. 241).
Der Plan, nach Süden ans Meer zu gehen sowie die damit verbundene Hoffnung, geben Vater und Sohn Kraft. Ob das Meer blau sei, fragt der Junge. Der Vater weiß nur, dass es früher blau war. Früher, als es noch Möwen und Fische gab –
Beide führen wundervoll weise Gespräche. Ein typischer Dialog entsteht, als es um das Sterben geht und der Junge zu seinen Vater sagt (S. 14):
Darf ich dich mal was fragen?
Ja. Natürlich.
Was würdest du machen, wenn ich sterben würde?
Wenn du sterben würdest, würde ich auch sterben wollen.
Damit du mir zusammen sein kannst?
Ja. Damit ich mit dir zusammen sein kann.
Okay.
Viele der Dialoge enden mit diesem leisen Okay des Jungen. Er weiß, mehr gibt es jetzt nicht zu sagen. Es ist, wie es ist. Still akzeptiert er das. Ein kleiner Junge mit dem Verstand eines Weisen, der bereits alles gesehen hat. Dessen Kindheit endet, noch bevor er ein Teenager ist. Und wenn der Vater stirbt? Auch dieser Frage müssen sich beide stellen. Der Vater zeigt seinem Sohn, wie er mit dem Revolver umzugehen hat.
Dieses Buch wirft so viele Fragen auf. Wieviel Mut und Kraft hätte ich, um nur einen einzigen der Tage zu überleben, den Vater und Sohn aushalten müssen? Wie stark wäre mein Überlebensdrang? Täglich auf die Suche gehen zu müssen. Nach Essen. Nach Trinkwasser. Nach Holz. Könnte ich ein Feuer anzünden? Eine Wunde versorgen? Und all dies, ohne Google zu befragen? Warum halten die wenigen Überlebenden – statt sich zu bekämpfen – nicht einfach zusammen? Ist der Mensch wirklich so egoistisch, so grausam? Die Geschichte hallt lange nach. Und einen Schimmer von Hoffnung und Zuversicht gibt es dann eben doch. Nicht nur dank der grandiosen Dialoge. Es sind auch Bilder, wie dieses: … die Nächte waren länger, dunkler und kälter als alles, was sie bisher erlebt hatten. Eine Kälte, die Steine zerspringen ließ. In der Schwärze drückte er den Jungen an sich und zählte jeden zarten Atemzug (S. 17).
Und zählte jeden zarten Atemzug … lediglich fünf Worte, in denen jedoch die gesamte Liebe und der ganze Schmerz eines Vaters Ausdruck finden. Worte, die mich emotional zutiefst erschüttern. Der Vater ist es auch, der in jedem noch so kleinen Moment das Glück erkennt, und sei das in einer Dose Erbsen, gefunden in einem verlassenen Haus. Und der damit seinem Jungen Mut macht, ihn ermuntert, immer weiter zu gehen, auch wenn es irgendwann ohne ihn sein sollte.Wir haben immer Glück gehabt. Du wirst wieder Glück haben. Du wirst sehen. Geh nur. Das ist schon in Ordnung (S. 245).
Uwe vom Blog Kaffeehaussitzer.de hat sich im November 2016 neun Fragen zum Thema Bücher gestellt. Es verwundert nicht, dass McCarthys Roman dabei ist – als das Buch, das ihm am wichtigsten ist. Schließlich hatte er es mir in einem Gespräch mal sehr ans Herz gelegt. Verbunden mit dem Satz: Was, du kennst Die Strasse nicht? Auch er musste die Lektüre immer mal unterbrechen, schreibt aber, dass ihm das Buch als grandiose Literatur unverrückbar im Gedächtnis bleibt und zeigt, was im Leben bleibt, wenn alles andere weggebrochen ist.
Cormac McCarthy. Die Strasse. Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus Stingl. Rowohlt Taschenbuchverlag. 254 Seiten. 10,99 €