Nachruf auf Marcel Reich-Ranicki

Lizenz: CC-BY-SA-3.0-migrated Marcel Reich-Ranicki (Foto: denotworry)

Er war der bedeutendste Literaturkritiker unserer Zeit: Marcel Reich-Ranicki. Geboren ist er 1920 im polnischen Wloclawek an der Weichsel. Neun Jahre später macht der Betrieb seines Vaters Bankbrott und die deutsch-jüdische Familie wagt einen Neustart in Berlin. Dort macht der lesehungrige Marcel seine ersten Erfahrungen mit dem Geist der deutschen Klassik - und allzu bald auch mit der Gewalt der Hitler-Diktatur. Ausgerechnet ihm, dem späteren Botschafter der deutschen Literatur, verweigern die Nationalsozialsten ein Germanistik-Studium. Enttäuscht, aber nicht entmutigt erforscht Marcel Reich-Ranicki die vielen bunten Welten zwischen den Buchdeckeln von Goethe bis Thomas Mann ohne akademischen Reiseleiter. In der äußeren Realität wird es zusehends düster. Reich-Ranicki wird ins Warschauer Ghetto deportiert. Dort verliert er seine Eltern und Geschwister. Aber dort - höchstes Glück im tiefsten Unglück - lernt er auch seine spätere Frau Teofila kennen. Die beiden können fliehen. Im Dienst der polnischen Armee, deren Geheimdienst und im Schoß der kommunistischen Partei fühlt sich Marcel Reich-Ranicki nicht richtig wohl. Mehr Freude bereiten ihm Literaturübersetzungen (Kafka, Dürrenmatt) und -kritiken.

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Bücher bewerten: das ist sein Leben. Dieses Leben will er in Deutschland verbringen - trotz allem, was Deutsche ihm angetan haben. Mit wortgewaltigen und sachkundigen Verrissen (und auch Lobreden) schafft es Reich-Ranicki vom Freien Mitarbeiter über den Zeit-Redakteur bis zum Ressortleiter Literatur bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Die deutschen Schriftsteller fürchtet den kompromisslosen Klartexter, der er bis ins hohe Alter bleibt. Als Günther Grass sein israelkritsches Gedicht 'Was gesagt werden muss' vorlegt, reagiert der Literaturpapst: "Es ist schon ein ekelhaftes Gedicht. Es stellt die Welt auf den Kopf." Martin Walser schreibt sogar einen ganzen Roman und nennt ihn 'Tod eines Kritikers'. Dabei fühlt sich Reich-Ranicki nicht als Feind der Autoren - mit vielen ist er sogar befreundet. "Man soll die Kritiker nicht für Mörder halten", pflegt er zu sagen, "sie stellen nur den Totenschein aus.

Nicht nur die schreibende Zunft bekommt von Reich-Ranicki unverblümt zu hören, was ihm missfällt. Auch seine Kritikerkollegen sind nicht sicher vor seiner scharfen Zunge. Im 'Literarischen Quartett', das Reich-Ranicki auch einem breiten Fernsehpublikum bekannt macht, geht er hart mit Sigrid Löffler ins Gericht (erster Clip). Aber er ist bei aller Härte nicht persönlich. Ihm geht es um die Sache. Das beweist er vor großer Kulisse bei der Verleihung des Fernsehpreises. Als ihm selbst der Preis angetragen wird, schlägt er ihn aus - mit dem Klamauk der Verleihung will er nichts zu schaffen haben (zweiter Clip).

Bei aller Polemik, bei aller Härte in der Sache: Marcel Reich-Ranicki hat sich wie kaum ein Anderer um die deutsche Literatur verdient gemacht. Er hat Lust aufs Lesen gemacht. Über seine pfiffigen Pointen konnte man herzhaft lachen, seine schlagfertigen Spitzen zählten zum Hochgenuss der kulturellen Auseinandersetzung. Gestern ist Marcel Reich-Ranicki im Alter von 93 Jahren gestorben. 

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