Nachruf auf Doris Lessing

Von Eulengezwitscher @Edda_Eule
Doris Lessing (2006), Foto: Elke Wetzig (elya)

Sie führte das goldene Notizbuch: Doris Lessing. Gestern ist die britische Schriftstellerin im Alter von 94 Jahren in London gestorben. Lessing avancierte mit und in Ihren Romanen  zu einer Pionierin der Frauenbewegung, ohne sich vom Feminismus vereinnahmen zu lassen. Ihr Selbstbewusstsein und ihre Unabhängigkeit hat die Stellung der Frau mehr gestärkt als manche aggressive Kampagne. Geboren ist Doris Lessing 1919 in Persien, dem heutigen Iran. Dort machen sie ihre Eltern, ein beinamputierter Kolonialoffizier und eine Krankenschwester, mit den Schrecken des Krieges vertraut, den sie gerade überstanden haben. 


Recht bald siedelt sich die Familie in Afrika (im Gebiet des heutigen Simbabwe) an und bewirtschaftet eine Maisfarm. Als Teenager bricht Doris die Schule ab und verdingt sich als Kindermädchen, dann als Sekretärin. Es bricht ein stürmisches Jahrzehnt an, ein Jahrzehnt der Selbstbestimmung, des Scheiterns und der Selbsterfindung als Schriftstellerin: Das achtzehnjährige Mädchen vom Land sagt seinen Eltern Lebewohl und zieht in die Stadt (Salisbury). Dort heiratet sie zweimal (und bringt drei KInder zur Welt), keine der beide Ehen hält länger als vier Jahre. Aus dem Scherbenhaufen ihrer Existenz schält Doris Lessing Figuren und Motive ihrer Romane von Weltrang. Insbesondere in 'Das goldene Notizbuch' verabeitet sie in Gestalt der Schrifftstellerin Anna ihr eigenes Schicksal. Als das Original in den 1970er Jahren ins Deutsche übersetzt wird (knapp zwei Jahrzehnte nach der Erstveröffentlichung), fühlt sich eine ganze Generation junger und selbstbewusster Frauen in ihrem Kampf um Emazipation und Gleichberechtigung bestärkt. Doris Lessing interpretiert ihr Schaffen indes etwas anders: Sie schreibt aus eigener Erfahrung über das Zusammenklappen und die Selbstheilung. "Aber niemand hat dieses Zentralthema auch nur wahrgenommen", klagt Lessing, "weil das Buch sogleich, von freundlichen wie von feindlichen Rezensenten, als eines, das vom Geschlechterkampf handele, verharmlost, oder von Frauen als nützliche Waffe im Geschlechterkampf beansprucht wird." Diese Abgrenzung vom stereotypen Feminismus ist ein selbstbestimmter und starker Beitrag zur Emanzipation. Das hat auch das Nobelpreis-Komittee so gesehen, als es Doris Lessing 2007 mit dem Literaturnobelpreis auszeichnete: als "Epikerin weiblicher Erfahrung, die sich mit Skepsis, Leidenschaft und visionärer Kraft eine zersplitterte Zivilisation zur Prüfung vorgenommen hat." Diese Würdigung erreichte Doris Lessing sieben Jahrzehnte nachdem sie begonnen hat, ihr eigenes goldenes Notizbuch zu führen... Gestern hat sie die Feder für immer niedergelegt.

Übrigens: Eine lesenswerte, weil tiefgründige Analyse des goldenen Notizbuchs hat Jeannette Lander  bereits 1978  unter dem Titel ''Doris Lessing: Kinder der Gewalt' in der EMMA veröffentlicht....

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