Er war einer der bedeutendsten Dirigenten der vergangenen Jahrzehnte: Claudio Abbado. Jetzt ist der Ausnahmemusiker im Alter von 80 Jahren gestorben. Sein letztes Konzert am Pult der Berliner Philharmoniker im Mai 2013 habe ich miterlebt: Ausgiebig und euphorisch haben Publikum und Orchester den ehemaligen Chefdirigenten und Karajan-Nachfolger gefeiert. Die Symphonie fantastique von Hector Berlioz war der Abschied eines fantastischen Dirigenten:
Claudio Abbado hat mich Gustav Mahler gelehrt. Sein Taktstock öffnet das Tor zu Mahlers Welt, die er in all ihrer Widersprüchlichkeit erklingen lässt: traurig und doch fröhlich, sanft und doch brachial, harmonisch und doch verstimmt (im Clip das Adagio der unvollendeten X. Symphonie)
Scheinbare Gegensätze nur für das Genie Mahler, der sie in einem größeren Ganzen aufgelöst und zu Notenpapier gebracht hat. Vielleicht hat Abbado Mahler so gut verstanden, weil auch seine Lebensgeschichte von manchem Widerspruch erzählt: Obwohl er als junger Dirigent renommierte Wettbewerbe gewann, unterrichtete er zuerst einmal lieber Kammermusik in Parma. Obwohl er als Musikdirektor der Mailänder Scala beständig an seinem Ruf als Operndirigent hätte arbeiten können, gründete er gleich mehrere Symphonie-Orchester (auch Jugendorchester). Obwohl er nie die große Karriere anstrebte, wählten ihn die Berliner Philharmoniker zum Nachfolger des übergroßen Herbert von Karajan. Obwohl er schon zu Beginn des Jahrtausends mit dem Krebstod gerungen hat, hat er die internationale Musikwelt noch über ein Jahrzehnt geprägt. Selbst der Tod muss nicht das Ende sein. Als intimer Mahler-Kenner wird Claudio Abbado auch den tröstlichen Schlusschor aus der II. Symphonie im Ohr gehabt haben, die er schon Mitte der 1960er Jahre mit den Wiener Philharmonikern aufführte:
"Auferstehen, ja auferstehen wirst du, mein Staub, nach kurzer Ruh! Unsterblich Leben wird, der dich rief, dir geben."