Nachlese vom Festival de Cannes 2012: AMOUR (LIEBE) von Michael Haneke

Das 65. Festival de Cannes ist zu Ende und somit auch eine Zeit, die mit stundenlangem Schlangestehen, Schlafmangel und enormer Begeisterung angereichert war.

Wir begegneten Menschen, die an den abgesperrten Zonen des roten Teppichs mit Kameras bewaffnet ihren Stars auflauerten oder in Abendgarderobe vor den Eingängen des Grand Théatre Lumière nach Einladungskarten bettelten. Wir sprachen mit Filmemachern, Journalisten, Produzenten und Einheimischen, um dem Festival und seiner Organisation auf die Spur zu kommen. Und natürlich haben wir viele Filme gesehen – einige davon haben uns berührt, andere enttäuscht, manche zum Lachen gebracht oder fasziniert.

Diese Filme sollen euch nicht vorenthalten werden. Den Auftakt macht der Preisträgerfilm der Goldenen Palme: AMOUR (LIEBE) von Michael Haneke.

Nachlese vom Festival de Cannes 2012: AMOUR (LIEBE) von Michael Haneke

Damit hat sich die Jury für einen Film entschieden, den man lieber nicht an einem trüben Tag im November ansehen sollte. Der Regisseur gewann bereits vor drei Jahren die Goldene Palme für DAS WEISSE BAND. Sein diesjähriger Wettbewerbsbeitrag beginnt mit einer Sequenz, die das Ende vorweg nimmt: Ein Polizeitrupp bricht in eine Pariser Wohnung ein und findet die von vertrockneten Blüten umringte Leiche einer Frau auf dem Schlafzimmerbett liegen.

Dann wird uns das Ehepaar Georges und Anne (Jean-Louis Trintignant und Emmanuelle Riva) im Publikum eines klassischen Musikkonzerts gezeigt. Die beiden pensionierten Musiklehrer kehren in ihre Pariser Altbauwohnung zurück, man sieht wie liebevoll und neckisch sie noch immer zu einander sind.

Der nächste Morgen markiert den Beginn einer Abwärtsspirale. Am Frühstückstisch hat Anne einen Anfall. Bald darauf wird sie mit einer halbseitigen Lähmung im Rollstuhl sitzen. Bevor sich ihre Situation verschlechtert, nimmt sie ihrem Mann das Versprechen ab, sie niemals in ein Krankenhaus zu bringen – alles was passiert, soll in den eigenen vier Wänden geschehen. Und so ist es dann auch bis zum bitteren Ende. Haneke hat mit AMOUR mal wieder ein grandioses Ensemble zusammengebracht: Emmanuelle Riva und Jean-Louis Trintignant tragen ihre Rollen wie eine zweite Haut und Isabel Huppert brilliert souverän in der Nebenrolle als echauffierte Tochter.

Auch wenn dieser Film realistischer wirkt als die dezidierte Kindergeschichte DAS WEISSE BAND oder andere Filme aus Hanekes Œvre, so lässt es sich der Regisseur nicht nehmen, mit surrealen Elementen zu spielen, wie sie beispielsweise in einer Traumsequenz auftauchen. Inhaltlich erinnert der Film an den Vorjahresgewinner der Sektion Un Certain Regard HALT AUF FREIER STRECKE von Andreas Dresen, der jedoch von der Struktur und Herangehensweise geerdeter ist als AMOUR. Hanekes gezielter Einsatz von Gewaltmomenten, seine eher kühle Erzählweise und die gewohnte Einbettung in ein gutbürgerliches Milieu entziehen dem Sujet die Unmittelbarkeit, wie man sie bei Andreas Dresen fast körperlich zu spüren bekommt. Der Film involviert den Zuschauer dafür mit seiner unablässigen und zähen Art, dort zu bleiben, wo man eigentlich einen Schnitt erwarten würde. Das für Haneke typische Gefühl von Unbehagen findet in der kammerspielartigen Gestaltung und der Entschlossenheit der Figuren einen hervorragenden Nährboden. Wo Worte ausbleiben, setzen Taten ein. Und die sind von stiller Brutalität geprägt.

Bei der Preisverleihung sagte Michael Haneke, dass zwischen ihm und seiner Frau ebenfalls die Vereinbarung bestehe, wie sie im Film zwischen den Eheleuten getroffen wird. Wir hoffen, dass es so schnell nicht der Fall sein wird.

AMOUR kommt am 12. September 2012 in die deutschen Kinos.


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