Nachhaltigkeit - eine kritische Einführung

Von Geozentrale

von Steffen Hirth

Irgendwo zwischen halbherzigen Lippenbekenntnissen und wichtigen Investitionen in eine lebenswerte Zukunft schwankt das Konzept der Nachhaltigkeit. Umweltprobleme, der anthropogene Klimawandel und die Verknappung von Ressourcen lösen nicht nur bei WissenschaftlerInnen Skepsis aus, ob die modernistische Lebensweise heutzutage noch die richtige Überlebensstrategie ist. Die Geozentrale informiert in kommenden Beiträgen über ein Konzept, das vielleicht wie kein anderes in den gegenwärtigen Zeitgeist gehört.
Im Spiegel der Medien wird dabei immer wieder deutlich, wie emotional der Diskurs um Nachhaltigkeit geführt wird - sowohl bei jenen die vor den Konsequenzen menschlichen Handelns warnen, als auch bei denen, die mögliche Gefahren leugnen.
Planet in Gefahr?
Gerade in Zusammenhang mit dem Klimawandel liest man häufig Schlagzeilen wie: "Planet in Gefahr". Mit dem Hinweis darauf, dass die Erde noch viele Milliarden Jahre weiter existieren wird - unabhängig davon ob es auf ihr Leben gibt oder nicht - lässt sich diese Behauptung leicht entkräften. Allerdings birgt diese physisch-geographische Argumentation ebenso die Gefahr, den Kern des Problems nicht zur Sprache zu bringen: In Gefahr ist durch den Gobalen Wandel nicht der Planet, sondern die Menschen, Tiere und Pflanzen auf ihm.
Folgerichtig ist auch der niedliche Eisbär auf seiner schmelzenden Scholle zum Symbol des Klimawandels geworden. Doch durch die Verlagerung des Problems auf eine fremde Spezies in einem fremden Lebensraum wird auch hier von den sozialen Folgen des Klimawandels abgelenkt.
Ein weiteres Merkmal des Diskurses ist die "Vernaturwissenschaftlichung" globaler Umweltprobleme. Da das rationale Paradigma der Moderne beinhaltet, nur eindeutig messbaren Phänomenen glauben zu schenken, und gleichzeitig das Klima oder Umweltverschmutzung von NaturwissenschaftlerInnen untersucht werden, scheinen die Sozialwissenschaften nur marginal mit dem Thema zu tun zu haben.
Dissonanzreduktion eines sozialen Problems
Der oben beschriebene Umgang mit den globalen Problemen ist in höchstem Maße unangebracht, aber nicht unbedingt verwunderlich. Er kann sehr treffend mit dem psychologischen Phänomen der Dissonanz beschrieben werden. Harald Welzer beschreibt den Klimawandel in seinem Buch "Klimakriege - wofür im 21. Jahrhundert getötet wird" als ein ökosoziales Problem, dessen Folgen unabsehbar erscheinen. Da kein Masterplan für die Bewältigung dieses Problems vorliegt, ist die psychologische Reaktion darauf "im Normalfall Abwehr: man reduziert die Dissonanz [...], indem man die Gefahr ignoriert oder sie kleiner macht, als sie ist." (Welzer 2008: 205).
Wer sich einmal dabei ertappt, das Konzept der Nachhaltigkeit als "zu schwammig" oder "nicht stichhaltig" abzutun, sollte kritisch überprüfen, ob er oder sie nicht der eigenen Dissonanzreduktion erliegt. Ein Modell mag zwar von der Wirklichkeit abstrahieren - menschliche, daraus abgeleitete Handlungen, haben aber immer konkrete Folgen.
Vom Anspruch und der Wirklichkeit
Nachhaltigkeit ist dem Ursprung nach ein forstwirtschaftlicher Begriff und wurde schon im 18. Jahrhundert verwendet. Die Nutzung der Ressource Holz soll demnach nur in dem Maße geschehen, wie sich der Wald regenieren kann.

Heutzutage steht der Begriff für einen sorgsamen Umgang mit allen Ressourcen, bzw. für eine Balance wirtschaftlichen Handelns, ökologischer Auswirkungen und sozialer Gerechtigkeit (vgl. Abb. 1). Globale Entwicklungen wie das Bevölkerungswachstum, die extreme Armut (über eine Milliarde Hungernde), die Endlichkeit fossiler Ressourcen, der Klimawandel und die Zunahme von extremen Wetterereignissen, Desertifikation, Bodendegradation, Entwaldung und die Zerstörung von Biodiversität, die Überfischung der Meere - sie alle stehen in krassem Gegensatz zu den Ansprüchen einer nachhaltigen Entwicklung.
Analog dazu stellt sich der Lebensstil der meisten Menschen in den Ländern des Nordens dar: Billige Waren dank ungleicher Handelsbedingungen; Erdöl für Autos, Schiffsflotten, Urlaubsreisen und Flugmangos. Erdöl als Düngemittel; Erdöl in Form von Plastiktüten, Verpackungen und Kleidung; hoher Fleischkonsum und großer Bedarf an Futtermitteln, gerne auch Gensoja aus dem brasilianischen Regenwald (was die Kuh frisst muss auf der Verpackung ja nicht deklariert werden).
Ist es tatsächlich die Komplexität globaler Probleme und die Hilflosigkeit der Menschen, die sie davon abhalten, sich in einem Maßstab zu engagieren, der den Problemen angemessen ist? Wer es für zu relativ hält, was "angemessen" ist, macht es sich jedenfalls zu einfach.
Was können wir tun?
Der Globale Wandel - und allen Problemen voran der Klimawandel - sind vielleicht durchaus naturwissenschaftliche Phänomene, aber sie sind rein soziale Probleme, d.h. sie sind anthropogen und ihre negativen Folgen bekommen Menschen zu spüren. Die Warnungen von (Klima-)ForscherInnen sind eindeutig. Dennoch werden - wie die gescheiterten Klimagipfel oder die Spritfresser auf unseren Straßen zeigen - kaum lebensweltliche Konsequenzen gezogen. Es hat nichts mit apokalyptischer Panikmache zu tun, wenn man sagt: Um eine lebenswerte Zukunft gewährleisten zu können, brauchen wir jetzt einen noch größeren und tiefgründigeren Diskurs über nachhaltige Entwicklung und vor allem effektive Maßnahmen.
Letztere gibt es natürlich schon lange, nur werden sie nicht massenhaft umgesetzt. Ob es der Verzicht auf Fleisch ist, der Bezug von Ökostrom, Fahrrad fahren oder regionale Ernährung aus ökologischer Landwirtschaft - jeder könnte heute damit anfangen, wenn er oder sie nur wollte. Was die Welt der Nachhaltigkeit ausmacht und wie Menschen versuchen "den Planeten" - ach ja, die eigene Haut und die von anderen - zu retten, soll in kommenden Artikeln näher beleuchtet werden.
Literatur:

  • Hülsebusch, C. et al. (2009): Ökologischer Landbau und Fairer Handel in Entwicklungsländern - Möglichkeiten nachhaltiger Ertragssteigerung und Beitrag zu Ernährungssicherung und Entwicklung. Witzenhausen. Im Internet: hier
  • Van Loon, G. W., Patil, S. G., Hugar, L. B. (2005): Agricultural sustainability. Strategies for assessment. Sage publications, New Delhi; Thousand Oaks, London: S. 33.
  • Welzer, H. (2008): Klimakriege - wofür im 21. Jahrhundert getötet wird. Frankfurt a. M.