Gastbeitrag, was denken Sie über ein solches Projekt?
Der fassbare Blick in die grüne Zukunft der Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit hat seit diesem Herbst einen Namen: “The Crystal”. In einer bemerkenswerten Verbindung von Architektur und Umwelttechnik ist es Siemens gelungen, in London die Pläne für eine imposante Forschungs- und Konferenzstätte mit interaktiver Ausstellung umsetzen. Zwar ist die Fertigstellung des ökologischen Zentrums für Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit erst für Mitte 2012 geplant. Doch das Richtfest fand schon jetzt im feierlichen Rahmen unter Anwesenheit des Londoner Bürgermeisters, Boris Johnson, statt.
Erlebniswelt, Expertenwissen und Laienempfinden unter einem Dach
Mit einer Investition von etwa 30 Millionen englischen Pfund gehört “The Crystal” momentan zu einem der größten Siemensprojekte in Großbritannien. Die charakteristische Architektur, die in ihrer Form und reflektierenden Fassade stark an die Beschaffenheit von Kristallen erinnert, fügt sich auf sehr aufsehenerregende Weise in die Royal Victoria Docks am Londoner Hafen ein.
Als Dialog- und Kompetenzzentrum für Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit soll “The Crystal” nicht nur das Londoner Stadtbild in seiner Attraktivität erweitern. Vielmehr dient es nach den Vorstellungen seines Gründerteams dazu, passende Rahmenbedingungen für Vorhaben der Stadtentwicklung und stadtökologischer Forschung zu bieten. Denn diese stellen für Siemens und seine Partner eine wichtige Grundlage dar, um Großstädte weltweit lebenswerter und umweltfreundlicher zu gestalten. Auch interessierte Besucher können sich ab Sommer 2012 interaktiv mit Bildern und Konzepten der urban-umweltverträglichen Zukunft auseinandersetzen und ihre Ideen für nachhaltig-grüne Konzepte zur Stadtentwicklung und Nachhaltigkeit einbringen.
“The Crystal” als Paradebeispiel für Nachhaltigkeit und grünes Bauen
Neben Austausch, Begegnung und Ausstellung fungiert “The Crystal” auch als sehr interessantes Beispiel modernster und umweltfreundlicher Städtebaumaßnahmen. Vollständig durch erneuerbare Energieformen versorgt und mit überdurchschnittlich positiven Effizienzwerten nach den internationen LEED und BREAM Standards ausgestattet, wird das Siemens Crystal-Konzept auch den höchsten, umweltpolitisch orientierten Erwartungen an ein solches Stadtentwicklungszentrum gerecht.
Natürlich geht das Bauwerk von Dimensionen urbaner Lebensweise mit engerer Bebauung und der Einbindung in städtische Infrastrukturen aus. Für den Hausbesitzer beispielsweise in einer Kleinstadt oder auf dem Land stellt sich sicherlich die Frage nach der Anwendbarkeit und vor allem Bezahlbarkeit der Features, wie sie “The Crystal” aufweist. Die Herangehensweise ist hier ein geschlossenes Konzept aus Versorgungs- und Einsparungstechnologien, wobei sich interessante Erkenntnisse über die Nutzung solcher Technologien im Verbund sowie deren gegenseitige Beeinflussung und Einsparwirkungen ablesen lassen, die für Hausbesitzer sicher von Nutzen sind.
- Einsparungspotenziale im Gebäudemanagement
- Extensive Ausnutzung des Tageslichts
- Energieeinsparung bei der Gebäudebelüftung
- Metering-Technik bei der elektrischen Ausstattung
- Regenwasserauffangbecken und -aufbereitung
- Abwasseraufbereitung
- Sparsame Gebäudeheizungen
- Integration der umgebenden Landschaftsgärtnerei in den Wasserkreislauf
Von der Regenwasseraufbereitung zur Nutzwasserversorgung des Gebäudes bis hin zu modernster Solartechnik reicht dabei das durchdachte Energiekonzept des außergewöhnlichen Gebäudes. Hinzu kommen unter anderem:
- Integration nachhaltiger Mobilität (Elektrofahrzeuge & Co),
- Photovoltaik und Solarthermie
- verschiedenste Arten nachhaltiger Energie- und Gesundheitsversorgungskonzepte
- sowie Schutz- und Sicherheitslösungen.
Diese sollen einerseits ausgestellt und andererseits auch selbst zur Versorgung des umwelttechnologischen Kompetenzzentrums genutzt werden. Die eigens angefertigte Internetseite www.thecrystal.org stellt schon vor der Eröffnung alle gebäudetechnischen, grünen Raffinessen sehr übersichtlich dar.
“The Crystal” – nur ein Selbstzweck?
Alles was bisher über das “The Crystal” zu lesen war, besprochen oder gezeigt wurde, lässt den Zukunftstraum einer “heilen” Welt mit funktionierenden, umweltverträglichen Stadtkonzepten umsetzbar und real erscheinen. Und dieser Eindruck ist auch vollkommen richtig – theoretisch. Praktisch steht weniger die Umwelt als mehr der Erfolg von Siemens in der boomenden, umwelttechnologischen Infrastruktursparte und die Ambitionen Londons zur Umwelt-High-Tech-Metropole im Vordergrund.
Zurzeit steigt die Zahl der in Städten lebenden Menschen global dramatisch an. So kommen laut statistischen Untersuchungen derzeit etwa zwei Personen pro Sekunde zur weltweiten Stadtbevölkerung dazu. Dies geschieht in der Regel vor einem wachsenden Hintergrund sozialer Probleme und zumeist leerer Stadtkassen, die ein umgehendes Handeln hinsichtlich Nachhaltigkeit und umweltverträglicher Stadtkonzepte nur schwerlich zulassen.
Auch wenn Siemens zwei weitere Kompetenzzentren in Asien und den USA plant und dies wirklich ein wichtiges Zukunftssignal für eine grünere Form der Stadtentwicklung darstellt, ergeben sich Fragezeichen hinsichtlich des nachhaltigen Projektansatzes von “The Crystal”. All diese Fragezeichen rund um:
- die weltweite Finanzierbarkeit nachhaltiger Stadtentwicklungskonzepte,
- die globale Lösung städtischer Überbevölkerung,
- die damit verbundene Armut und sozialen Probleme
- sowie Müllmassen
trüben die klare Vision dieses umwelttechnologisch, herausragenden Stadtentwicklungsansatzes. Aber alles in allem: Vielleicht dürfte ein Besuch im Sommer nächsten Jahres in London eine gute Gelegenheit sein, einige Anregungen für umwelttechnologische Konzepte für Hausbau bzw. Stadtentwicklung mitzunehmen.