Nachgefragt! Wie ich mein Leben in die Hand nahm

Heute habe ich eine junge Frau auf meinem virtuellen Sofa zu Gast, die bereits ein sehr bewegtes Leben hinter sich hat. Nachdem es lange Zeit bergab ging, kam plötzlich der Tag, an dem sie sich entschlossen hat, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen.

Herzlich Willkommen, liebe Janet! Stell Dich doch kurz vor.

Hallo liebe Leser! Ich heiße Janet, bin 26 Jahre alt, aus Duisburg und hab ein dreieinhalbjährigen Sohn.

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Du hast bereits ein sehr bewegtes Leben gehabt. Deine Eltern haben sie sich getrennt, als Du noch sehr klein warst. Wieviel hast Du damals davon mitbekommen und bei wem bist Du aufgewachsen?

Meine Eltern sind noch sehr oft zusammen und wieder auseinander gegangen. Ich wurde z.B. auf einer Grundschule eingeschult, kurz danach sind sie wieder zusammengekommen und der Weg dahin war zu weit. Bin dann in eine Schule um die Ecke gekommen. Tja, dann sind sie wieder auseinander und meine Mama ist mit mir wieder etwas weiter weggezogen und so bin ich auf meine dritte Grundschule gekommen. Im Prinzip bin ich bei meiner Mutter aufgewachsen. Mit 13 bin ich dann aber für anderthalb Jahre zu meinem Vater.

Dein Vater hat einige Jahre später wieder geheiratet und die Familie hat sich dadurch schlagartig vergrößert. Wie war das für Dich?

Für mich das größte Problem war es das meine Mutter und Stiefmutter sich nicht ausstehen konnten. An sich war es schon schön. Bei meinem Vater gab es dann plötzlich ein Baby und das war sehr schön. Als zwei Jahre später meine andere Schwester geboren wurde, war es noch schöner. Ich zog mit 13 dorthin, weil ich dachte dort herrscht ein Familienleben, was auch herrschte.  Allerdings mit all seinen Vor- und Nachteilen. Da gab es plötzlich die Stiefschwester, mit der man sich das Zimmer teilen musste, wenn die Stiefmutter bei uns wohnte. Geheiratet haben die beiden nämlich erst viel später. Da war meine dritte kleine Schwester schon da.

Dann wohntest Du wieder eine Zeitlang bei Deiner Mutter. Als Du 16 Jahre alt wurdest, kam es zu einem Streit zwischen Euch beiden. Was ist dann passiert?

Da ich wusste, dass es weder bei meiner Mutter noch bei meinem Vater klappte, musste etwas anderes her. Das Jugendamt bot mir eine Jugendwohngruppe zur Verselbstständigung an. Dort zog ich anderthalb Monate später auch ein.

Wie war das Leben in der Wohngruppe und wie kam es dazu, dass Du die Gruppe wieder verlassen musstest?

Sehr abwechslungsreich. Es gab auch mal Streit, aber im Großen und Ganzen blicke ich auf eine schöne Zeit zurück.  Ich habe dort eine Freundin gefunden, mit der ich nach 11 Jahren immer noch Kontakt habe. Warum ich die Gruppe verlassen musste? Ich habe mich selten an Regeln gehalten. Hab auch mal blau gemacht. Dadurch meine Ausbildung verloren und kam in eine Maßnahme, in der ich gemobbt wurde. Aber wirklich sprechen konnte ich mit niemanden darüber. Ich stand auf der Kippe und durfte bleiben. Und hab dann montags die Berufsschule geschwänzt (montags war der schlimmste tag in der Maßnahme) und nachmittags wurde mir dann gesagt, ich muss die WG verlassen und habe drei Tage Zeit zu gehen. Ein Schlag ins Gesicht.

Dann bist Du in einer Notschlafstelle gelandet, hast außerdem Deine berufsvorbereitende Maßnahme abgebrochen. Wieder ein Tiefpunkt in Deinem Leben. Wie bist Du da wieder rausgekommen?

Ich wollte ja nie so tief landen. Ich wusste, ich wollte da schnell wieder raus. Dort waren Jugendliche, die Heroin oder andere Drogen nahmen. Ich hatte dort ein wundervollen Betreuer und Ersatzvater. Er hat mir geholfen und mir einiges gezeigt. Und mein Wille doch etwas zu erreichen hat mir sehr geholfen.

Du hast Deine zweite Ausbildung angefangen, bist in Deine erste eigene Wohnung gezogen. Wie ging es dann weiter?

Mit einer Wohnung kommen auch die Verpflichtungen. Ich hatte wieder eine Clique in der Ausbildung. Die wurde mir irgendwann wichtiger als die Schule. Tja, und dann waren meine Noten zu schlecht. Dann war ich 8 Monate arbeitslos. 8 Monate, in denen man erst mittags um 11 aufsteht. Und bis nachts wach ist. 8 Monate, in denen man Zeit hat über sein Leben nachzudenken.  Wollte ich das? Wollte ich nur in den Tag hineinleben? Nein, das wollte ich nicht.

Du kamst dann in eine Maßnahme für Jugendliche mit psychischer Erkrankung. Du selbst mit einer Vorstufe von Borderline, lerntest dort eine Freundin kennen, die Dein Leben nachhaltig verändert hat. Was ist passiert?

Ja Charlotte, sie war toll. Mit ihr konnte ich reden. Alles sagen. Auch Gedanken, die man nicht haben sollte. Wir haben stundenlang einfach nur irgendwo gesessen und geredet. Sie war so ein toller Mensch. Und ihr Lachen zu hören war für mich wundervoll. Leider hat sie es selber auch nicht so toll getroffen. Sie litt unter Depressionen und war stark übergewichtig. Im Sommer konnte ihr Herz das nicht mehr aushalten. Ich bin sehr dankbar das wir einen Tag vorher noch telefoniert haben. Und ich ihr sagen konnte, wie sehr ich sie liebe und das tue ich bis heute noch.

Es ist schwer, einen Freund zu verlieren, vor allem wenn man solch eine intensive Zeit miteinander hätte. Trotzdem: Ihr Tod war zwar ein sehr trauriges Erlebnis und hat eine große Lücke in Deinem Leben hinterlassen, aber es gab Dir neuen Aufschwung, Dein Leben in die Hand zu nehmen. Du hast eine neue Ausbildung angefangen. Hast Du diese beendet?

Ja, ihr Tod gab mir die Kraft, dass ich etwas beenden muss. Auch um ihrer Willen. Das war ich ihr schuldig und bin es immer noch. Ich weiß noch, am Anfang meiner Ausbildung, da hab ich 3 Tage mit niemanden geredet, weil ich niemanden in mein Herz lassen wollte aus Angst, denjenigen wieder zu verlieren.

Ja, ich habe die Ausbildung beendet, drei Wochen bevor mein Wunder auf die Welt kam.

Mit diesem Wunder steht natürlich ein Mann in Verbindung. Du hast ihn in der Ausbildung kennengelernt. Leider lief das auch nicht so gut. Trotzdem brachte diese Beziehung unerwartet Glück in Dein Leben. Erzähl mal.

Ja, ich hatte einen Mann kennengelernt.  Ich dachte, er wäre der Richtige. Leider war dem nicht so. Und nachdem ich uns eine zweite Chance gab, hab ich schnell gemerkt, dass er nicht der Richtige ist. Da war ich leider schon 13 Tage überfällig. Ich trennte mich trotzdem und machte kurz danach ein Test. Positiv in der 7. Schwangerschaftswoche. Ich freute mich, der Vater nicht so. Wir hatten noch ein halbes Jahr täglichen Kontakt vor uns. Oft haben wir uns gestritten. Ich hatte Frühwehen durch den ganzen Stress. Trotzdem beendete ich meine Ausbildung mit der Gesamtnote 2. Drei Wochen danach kam mein Sohn 1 Monat zu früh auf die Welt. Ich hatte irgendwie kaum Zeit in der Schwangerschaft gehabt. Nur Stress, Streit und die Ausbildung.

Und trotzdem bist Du sehr glücklich, dass dieser kleine Mensch nun in Deinem Leben ist. Was ist Dein Sohn für Dich?

Alles. Auch wenn es nicht immer einfach ist und ich sehr oft an meine Grenzen komme. Er ist mein Herz, und es gibt nichts, was ich mehr liebe.

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Nun warst Du also Mama und fast auf Dich allein gestellt mit dem Kleinen. Wie kümmert sich der Vater heute um ihn und läuft das immer reibungslos ab?

Mittlerweile läuft es sehr gut. Nachdem es noch einigen Streit gab, hat er inzwischen regelmäßigen Kontakt zu seinem Kind, seitdem er 15 Monate ist. Ab da alle zwei Wochen. Seitdem er zweieinhalb ist schläft er auch dort. Davor haben wir sehr viel zu dritt unternommen. Und eigentlich verstehen wir uns ganz gut. Streit gibt es trotzdem noch zwischen uns, ab und zu mal. Aber selten vor unserem Sohn.

Seit einiger Zeit bekommst Du Unterstützung von der Familienhilfe. Und sie ist eine große Stütze für Dich. Sie motiviert Dich, neue Wege einzuschlagen. Wie sind Deine Pläne für die Zukunft?

Ich möchte mein Fachabitur nachholen und dann studieren. Ich möchte mich irgendwann sozial engagieren. Und wenn ich nur im Jugendamt sitze. Aber Hauptsache Menschen helfen. Bevorzugt Jugendlichen. Ich komm selber aus einer zerrütteten Familie und kann einiges besser nachvollziehen.

Ich finde es super, dass Du das machen willst. Bestimmt wirst Du in Zukunft einigen Jugendlichen dabei helfen, wieder auf den richtigen Weg zu kommen, so wie auch Du es geschafft hast. Toll, wie Du das alles gemeistert hast und wie Du als alleinerziehende Mutter alles tust, damit Dein Sohn ein glückliches Leben führen kann.

Danke, dass Du meine Fragen so offen beantwortet hast. Bestimmt macht es einigen Leuten Mut zu lesen, dass Du nie aufgegeben und Dein Leben in die Hand genommen hast! Alles Liebe für Euch!



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