Die Folgenden Informationen basieren auf dem Profil der BVG.
Nikutta studierte zunächst Psychologie mit dem Schwerpunkt Arbeits- , Betriebs- und Organisationspsychologie an der Universität in Bielefeld und promovierte schließlich an der Ludwig-Maximilians-Universität in München unter dem Titel "Mit 60 im Management - Vorstand oder altes Eisen?". Nachdem sie zunächst im Management eines mittelständischen Unternehmens in Bielefeld arbeitete, wechselte sie 1996 zur Deutschen Bahn AG, wo sie 15 Jahre lang zahlreiche Leitungsfunktionen übernahm.
Seit dem 01. Oktober 2010 ist sie nun Vorstandsvorsitzende der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und damit die erste Frau an deren Spitze und hat das Unternehmen zudem wieder in die schwarzen Zahlen geführt. Neben ihrer dortigen Tätigkeit übt sie zudem verschiedene Ämter und Gremienmitgliedschaften aus. So ist sie Vorsitzende im Aufsichtsrat der BT Berlin Transport GmbH, der größten Tochterfirma der BVG, Vorsitzende im Aufsichtsrat des Instituts für Bahntechnik (IFB), sowie Senatsmitglied des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt. Zudem ist sie Mitglied der Präsidien des Deutschen Verkehrsforums (DVF), des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Policy Board Member des internationalen Verbands des öffentlichen Verkehrswesen (UITP). Ebenso ist sie Präsidiumsmitglied im Verein der Berliner Kaufleute (VBKI).
Im Jahr 2012 erhielt sie den renommierten Preis der "Managerin des Jahres" der Mestemacher-Gruppe und 2017 schließlich den Berliner Frauenpreis für ihr konsequentes und erfolgreiches Engagement in Sachen Frauenförderung und Gleichstellung bei den Berliner Verkehrsbetrieben.
Frau Dr. Nikutta, vor allem durch Ihre langjährige Tätigkeit bei der BVG, sind Sie eine Expertin in Sachen Mobilität: Was war Ihr bisher größter Erfolg als BVG-Chefin?
Erfolg ist für mich etwas Langfristiges, etwas Nachhaltiges. Im Jahr 2010, als ich zur BVG kam, wurden die gelben Busse und Bahnen insgesamt 922 Millionen Mal genutzt. Seitdem sind die Fahrgastzahlen kontinuierlich gestiegen. Im Jahr 2018 waren es bereits 1,1 Milliarden Fahrten. Das ist ein stolzes Plus von fast 20 Prozent.
Gleichzeitig hat die BVG im Jahr 2014 erstmals in ihrer Geschichte schwarze Zahlen geschrieben. Noch wichtiger: Seitdem konnten wir sogar jedes Geschäftsjahr ein kleines Plus verbuchen, und das in der beinahe traditionell defizitären Nahverkehrsbranche. Auch das ist ein toller, weil nachhaltiger Erfolg.
Und auch wenn man als Managerin natürlich stets auf die Zahlen, Daten und Fakten guckt, gehören zum Erfolg natürlich auch weiche Faktoren. Ganz wichtig ist hier unsere Imagekampagne #weilwirdichlieben, die nicht nur viele Preise, sondern vor allem die Herzen der Berlinerinnen und Berliner gewonnen hat. Damit ist es uns gelungen, die BVG als cooles, hippes Unternehmen zu positionieren.
Aber eines ist klar: Das alles sind nicht meine persönlichen Erfolge, sondern die von insgesamt 15.000 tollen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einem Berliner Traditionsunternehmen, das ich gerne und mit viel Leidenschaft leite.
Wo sehen Sie die größten Problemfelder des ÖPNVs in Berlin?
Zunächst einmal können wir in Berlin uns glücklich schätzen, was den öffentlichen Nahverkehr angeht. Denn dank der weitsichtigen Planung unserer Vorväter gibt es in unserer Stadt ein hervorragendes Netz aus S- und U-Bahnen, Straßenbahnen, Bussen und - was oft vergessen wird - auch einigen Fährlinien. Und mit der BVG und den Kollegen der S-Bahn hat die Hauptstadt gleich zwei äußerst leistungsfähige ÖPNV-Anbieter. Fahren Sie mal in die USA, zum Beispiel nach Los Angeles, und gucken sich an, was Nahverkehr dort bedeutet...
Zugleich ist natürlich auch bei uns in Berlin nicht alles perfekt. Wir brauchen dringend neue U-Bahnzüge. Hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten schlicht zu wenig investiert. Auch, weil der Run auf die Städte und das Fahrgastwachstum so nicht abzusehen waren.
Und dann hat man - im damaligen Westteil der Stadt - in der Vergangenheit leider eine folgenschwere Entscheidung getroffen und ab den 1960ern zunehmend auf die sogenannte „autogerechte Stadt" gesetzt. Ganz nach amerikanischem Vorbild. Die Straßenbahn wurde dort abgeschafft, und jetzt ist es trotz aller Bemühungen natürlich ein sehr langwieriges Unterfangen, das Tramnetz wieder entsprechend auszubauen.
Wenn Sie einen Wunsch frei hätten, was würden Sie gerne als Erstes im ÖPNV verändern?
Ich will mal realistisch sein und mir nicht vom Geist aus der Wunderflasche eine Runderneuerung aller Fahrzeuge, Bahnhöfe, Haltestellen, Werkstätten und sonstigen Anlagen wünschen. Stattdessen wünsche ich mir, dass das Umdenken pro ÖPNV, das ja bereits stattfindet, noch schneller zu Ergebnissen führt. Denn der Wille, Busse und Bahnen zu beschleunigen, ihnen Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr einzuräumen, ist ja da. Sowohl in der Politik, als auch in der Öffentlichkeit. Gerade bei der jungen, urbanen Generation nimmt zum Beispiel die Bedeutung des Autos als Statussymbol rapide ab.
Um es kurz zu fassen: Auch wenn wir auf dem richtigen Weg sind, wünsche ich mir, dass die Prozesse zur Einrichtung neuer Busspuren, zur Verbesserung von Ampelschaltungen oder zum Bau neuer Strecken schneller werden.
Ende Mai besuchten Sie Japan - ein Land, das für sein U-Bahn-System, sowie dessen Sauberkeit weltberühmt ist. Da Sie dieses auch vor Ort getestet haben: Haben Sie durch diese Erfahrung etwas vom dortigen ÖPNV lernen können und ließen sich diese Erkenntnisse auch in Berlin umsetzen? Gibt es etwas, dass die BVG "besser" macht?
Egal ob zu Hause in Berlin, auf Reisen im In- und Ausland oder im Urlaub: Ich fahre wenn möglich immer mit Bus und Bahn. Aus Überzeugung, aus Neugier und weil es oft am schnellsten und komfortabelsten ist. Und es gibt keine bessere Methode um selbst herauszufinden, wo es vielleicht noch hakt oder was andere Städte anders oder sogar besser machen.
Tokio war faszinierend. Das U-Bahnsystem ist viel größer als bei uns. Es ist alles wirklich absolut sauber. In Japan käme niemand auf die Idee, Müll oder ähnliches einfach auf die Erde zu werfen oder gar Graffiti zu schmieren. So viel Respekt für die Fahrzeuge und Bahnhöfe und auch die Leistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würde ich mir auch hier bei uns wünschen.
Der Austausch mit den Kollegen im Ausland ist wichtig, auch wenn sich die Erkenntnisse oft nicht eins zu eins übertragen lassen. Zu individuell sind nicht nur die technischen Systeme, sondern auch die Rahmenbedingungen. In Tokio zum Beispiel gibt es viel weniger Autoverkehr, kaum Staus. Das liegt auch daran, dass Parkflächen im Vergleich extrem teuer sind. Das wäre natürlich auch in Berlin schön, aber das können wir als BVG nicht entscheiden.
Womit ich bei meinem Besuch wiederum für Erstaunen sorgen konnte, ist unser Angebot in der Nacht. Hier in Berlin kommt man wirklich immer, 24 Stunden am Tag, mit den Öffentlichen an sein Ziel. In Tokio fährt nachts für mehrere Stunden keine einzige Bahn. Das würde man nie vermuten. Überhaupt sind wir in Berlin beim durchgehenden Nachtverkehr vielen Metropolen weltweit um Jahre voraus.
Welche Ziele verfolgt die BVG, wenn es um das Thema Digitalisierung im ÖPNV in Berlin geht? Wie geht es in Zukunft weiter?
Wenn wir auch in Zukunft lebenswerte Städte haben wollen, müssen wir jetzt und nicht morgen die Weichen dafür stellen. Dazu gehören auch gute, digital-gestützte Angebote. Seit September 2018 bieten wir etwa On-Demand-Ridesharing mit unserem „BerlKönig", der per App gebucht wird und Fahrtwünsche mit ähnlichen Routen umweltfreundlich bündelt.
Im Juni sind wir mit unserer Mobilitätsplattform „Jelbi" an den Start gegangen, einer absoluten Neuheit, die nicht nur in Deutschland einzigartig ist. Jelbi ist eine App, die verschiedenste Angebote bündelt. Damit können Kunden jetzt ÖPNV, Carsharing, Bikesharing und E-Rollersharing unterschiedlicher Anbieter suchen, buchen, nutzen und bezahlen. Damit schaffen wir Platz auf dem Smartphone und sorgen für nachhaltige, verlässliche Mobilität buchstäblich aus einer Hand. Nach und nach werden wir die Anzahl der integrierten Mobilitätspartner erhöhen.
Ein weiteres Thema, bei dem es uns wichtig ist, von Anfang an dabei zu sein, ist das autonome Fahren. Auch wenn der große gelbe Doppeldecker auf absehbare Zeit von einem Menschen durch den anspruchsvollen Berliner Verkehr gelenkt werden wird, könnten autonome oder hochautomatisierte Kleinbusse den ÖPNV zum Beispiel auf der sogenannten „letzten Meile" ergänzen oder Stadtquartiere erschließen. Noch ist das Zukunftsmusik, aber wir testen bereits in verschiedenen Projekten die technischen Möglichkeiten, um eigene Erfahrungen zu sammeln.
Insgesamt schaffen wir dank der Digitalisierung noch mehr Anreize für die Berlinerinnen und Berliner, vom eigenen Pkw auf Busse, Bahnen und ergänzende Sharing-Angebote umzusteigen.
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