„Säe Glück auf deines Nachbarn Feld“
Ligurien, wo ich seit 18 Jahren beheimatet bin, ist ein hartes Pflaster, was zwischenmenschliche Beziehungen anbelangt. Die Ligurier sind bekannt dafür, geizig, zurückgezogen und berechnend zu sein. Nicht gerade gute Voraussetzungen für Neuzugezogene, Freundschaften zu schliessen und gute Nachbarschaft zu pflegen.
„Ein guter Nachbar ist ein edel Kleinod“
Klar sind viele zugezogen, wie ich, wenn auch nicht aus dem Ausland, aber aus anderen Teilen Italiens. So finden sich unter meinen engeren Bekannt- und Freundschaften viele Leute mit „Migrationshintergrund“, bunt durchmischt. Auch meine Nachbarschaft ist ein Mix – neben meinen vorwiegend süditalienischen Nachbarn wohnen auch viele Einheimische hier. Vor allem meine 90jährige Nachbarin Angela möchte ich nicht missen – sie ist mein grosses Vorbild, um aktiv, autonom und ausgefüllt alt zu werden. Manchmal passt sie mich kurz vor acht Uhr morgens ab, um mir zu sagen, dass die frischen Eier da sind. Sie kauft sie von einem Bauern ab und verkauft sie dann weiter, eine tolle Dienstleistung. Überhaupt ist sie Ansprechpartnerin für vielerlei Dinge: Sie näht, flickt und kocht. Und sie fährt noch Velo! Und wenn ich bei ihr reinschaue, schüttelt sie meistens eine Anekdote von früher aus dem Ärmel und lässt mich teilhaben am Leben, wie es einst (zu Kriegszeiten) war.
„Ein guter Nachbar ist besser als ein Bruder in der Ferne“
Ich bin mir bewusst, dass ich diese Zeitzeugin dereinst überleben werde, und das stimmt mich traurig. Denn sie überliefert einen so wertvollen Erfahrungsschatz an die jüngere Generation, und kann trotzdem auch bei aktuellen Themen mitreden. Ich liebe den Duft ihrer kleinen, einfachen Wohnung und ihre Herzlichkeit, mit der sie mich „mi fanta bella“ (mein hübsches Mädchen) nennt. Ich fühle mich sogleich bei ihr aufgehoben, und auch ein wenig „adoptierte“ Enkelin, das tut gut, zumal die eigene Familie so weit weg ist. Erst vor Kurzem ist eine weitere Nachbarin hergezogen – in ein kleines Apartment direkt gegenüber. Zuerst begrüssten wir uns einfach herzlich, dann fragte sie mich mal nach der Kehrrichtabfuhr und bat mich ein andermal darum, die Chipkarte in ihr Handy zu stecken. Mit einer Offenheit, die ich von Liguriern nicht kannte. Doch damals wusste ich noch nicht, woher sie kam. Vor einigen Tagen brachte sie mir eine grosse Pfanne voller Fischspezialitäten vorbei – ich freute mich riesig über diese nette Geste. So buk ich mit meinerTochter kurzerhand einen Kuchen und revanchierte mich bei ihr. Und so kamen wir ins Gespräch – dabei erfuhr ich, dass sie Spanierin ist und eine langjährige Karriere als „von allen geschätzten Nachbarin“ vorweisen kann. Sie erzählte mir von ihrer Familie und ihrem Mann, der vor drei Jahren verstorben ist und rühmte sich selber mit ihren Kochkünsten. Es war ein sehr anregendes Gespräch, es war, wie wenn wir uns schon länger kannten.
„Kein Mensch ist so reich, dass er nicht einen Nachbarn brauchte“
Die Herzlichkeit, die in der heutigen schnelllebigen und anonymen Welt doch noch existiert, stimmt mich zuversichtlich. Die Tatsache, miteinander im selben Boot zu sitzen, Anteil nehmen zu dürfen am Leben der anderen, hinter deren Fassade zu blicken, das erfüllt mich mit grossem Glück. Und auch die zufriedenen älteren Leute zu sehen, die einen erfüllten Alltag leben, ebenfalls. Doch darüber ein anderes Mal.
Wie habt ihr es mit euren Nachbarn?
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