Hassan Rohani wurde am 14. Juni zum Präsidenten der Islamischen Republik Iran gewählt. Da mit ihm der als moderatest geltende Kandidat Wahlsieger wurde, wird seine Wahl vielfach als Zeichen für einen Wandel im Iran gedeutet. Hinter Rohanis Wahl stand zudem eine sehr hohe Wahlbeteiligung. Dies ist durchaus überraschend: Nach der Präsidentschaftswahl von 2009, dessen Ergebnisse massiv gefälscht wurden, kam es zu Unruhen, die von dem Regime blutig niedergeschlagen wurden. Die reformorientierte „Grüne Bewegung“ scheiterte und die mit dieser Bewegung verknüpften Hoffnungen auf Veränderungen im System erwiesen sich als Illusion.
von Werner Hager und Tino Shahin
Darstellung – Interpretation
Wie kann das hohe Wahlergebnis eines vermeintlich moderaten Präsidenten interpretiert werden? In der IRI bedarf eine tatsächliche Veränderung der Zustimmung des Wächterrates und des obersten geistigen Führers. Diese werden nicht demokratisch gewählt, bestimmen aber über die Zulassung von Parteien und Präsidentschaftskandidaten. Insofern handelt es sich beim politischen System des Iran trotz Wahlen und Parlament um eine Diktatur, da die letztlich entscheidende klerikale Elite nicht von der Bevölkerung abwählbar ist.
Entgegen dem im Westen verbreiteten Optimismus lässt sich aus dem Wahlergebnis inklusive der Wahlbeteiligung keine positive Tendenz innerhalb der iranischen Gesellschaft oder auch der politischen Elite herauslesen. Allerdings – dies lässt hoffen – auch keine negative.
Die Teile der Bevölkerung, die die bestehende Machtelite nicht stützen, zerfallen in reformorientierte Kräfte und solche, die das im Kern klerikale System ablehnen und stattdessen für eine säkulare politische Ordnung eintreten. Die Entscheidung, in einer Situation, in der keine sichtbare Umwälzung in Sicht ist, eine Politik des kleineren Übels zu vertreten, spricht nicht gegen die Bereitschaft, für einen Systemwandel einzutreten, wenn ich die Gelegenheit bieten sollte.
Auffällig ist die hohe Wahlbeteiligung. Diese signalisiert eine rückläufige gewissensethische Infragestellung der Islamischen Republik durch Wahlverweigerung und zeigt einen pragmatischen Zugang zur Politik.
Perspektive
Ein Volksaufstand im Iran ist aktuell weder absehbar noch hätte dieser Erfolgsaussichten. Reformorientierte evolutionäre Ansätze hingegen würden Illusionen über das politische System schüren.
Zudem fehlt der Opposition ein gemeinsames politisches Projekt. Dennoch steht nur ein geringer Prozentsatz der IranerInnen hinter der bestehenden Islamischen Republik. Sinkt die Zustimmung auch weiterhin, so werden auch ihre Institutionen zunehmend elegitimiert und ein Systemwandel des Iran könnte einsetzen.
Eine derartige Perspektive bietet sich jedoch nur, wenn sich im Iran Vorstellungen von Alternativen zu den herrschenden Institutionen in der Bevölkerung selbst bilden und zwar gegen alle VertreterInnen dieses Systems, inklusive Rohani. Wie weit ein derartiger Umwälzungsprozess hin zu einem modernen, säkularen System führt, hängt davon ab, ob Menschen säkulare Ansätze zu denken fähig sein werden.
Politik in Deutschland
Deutschland kann diesen säkularen Prozess befördern oder die IRI stützen. Will es den säkularen Prozess fördern, so besteht die Möglichkeit, die IRI nicht weiter diplomatisch zu legitimieren, sie und die sie tragenden politischen Kräfte nicht weiter zu hofieren.
Ein Präsident Rohani – an dessen Händen zwar weniger Blut klebt als an denen seiner Vorgänger – ist dennoch ein Befürworter einer atomaren Aufrüstung, ein Antisemit und wird auf seine Art alles daran setzen, dass System der Islamischen Republik vor einer tatsächlichen Veränderung zu bewahren. Es schadet nicht, wenn der Westen von ihm Reformen hin zu einer modernen, säkularen Gesellschaft verlangt.
Es schadet jedoch massiv, von Rohani derartige Reformen zu erwarten und damit weiterhin Illusionen auf Veränderungen durch dieses System selbst zu schüren.
Eine andere Gesellschaft wird ebenfalls nicht entstehen, wenn der Westen die Embargopolitik weiterhin unterläuft und dem Regime so die Mittel zur Verfügung stellt, um Banden wie die Revolutionsgarden und ihre Milizen gegen die iranische Bevölkerung anzuheuern.
Aber die westlichen Gesellschaften und gerade Deutschland sind eben auch schlechte Vorbilder für eine vernünftigen Gesellschaft, die mit einer Pluralität von Bekenntnissen sowie Bekenntnisfreien umgehen kann. Denn auch hier bleiben Reformen aus.
Die Aufgabe liegt bei den säkularen Bewegungen, aufzuzeigen, wie Institutionen aussehen können, die eben nicht aus religiösen Dogmen und Traditionen abgeleitet sind.
Leider setzt die herrschende Politik lieber auf einen eben nicht vorhandenen Reformislam als auf die Kräfte, die benachteiligt, unterdrückt und allein schon deshalb tatsächlich bereit sind, Menschenrechte durch zusetzen: Frauen, Menschen mit sowie ohne religiöses Bekenntnis, ArbeiterInnen, und eben auch eine junge Generation, die schlicht an den neuen Medien teilhaben will.
Insofern:
Mehr Säkularität wagen.
In Deutschland. Im Iran. Und anderswo.