Nach der Demo ist vor der Demo – Die Frankfurter Ereignisse vom 1.6.2013 erzeugen Betroffenheit und Zorn

Nach der Demo ist vor der Demo – Die Frankfurter Ereignisse vom 1.6.2013 erzeugen Betroffenheit und Zorn.
Für den kommenden Samstag, den 8.6.2013 ist eine erneute Demonstration geplant. Im Aufruf zur Solidaritäts-Demo heisst es: “Bei der Blockupy Demonstration am vergangenen Samstag, den 01.06.2013 wurden unsere Grund- und Freiheitsrechte massiv ausgehebelt. Der Ermittlungsausschuss Frankfurt spricht von über 200 verletzten Demonstranten (darunter Journalisten, Kinder und Rentner*innen) und mehr als 1000 Personen, die über neun Stunden eingekesselt und ihrer Freiheit beraubt wurden.” Jetzt will man erneut auf die Straße gehen und sich gegen “die Abschaffung der Grundrechte” zur Wehr setzen. Es wurde eine Internet-Anlaufstellte zur “Sündenblock-Demo” auf Facebook geschaffen, die mit diesem Link erreichbar ist.
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Uli Gellermann, der die Plattform “Rationalgalerie”(1) betreibt, kommentiert und beurteilt in seinem Artikel “Merkel entschuldigt sich” die Geschehnisse. Im Rückblick bewertet er diese auch im Vergleich zu den Meldungen und Kommentaren über Demonstrationen in der Türkei und kommt zu wenig schmeichelhaften Ergebnissen für Regierung, Behörden und die deutschen Medien:


Merkel entschuldigt sich
Brutale Polizeigewalt in Frankfurt rund um die EZB

Angela Merkel: “Ich entschuldige mich für den überharten Polizei-Einsatz gegen die Blockupy-Proteste in Frankfurt.” Angela Merkel? Keineswegs. Es war der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan, der sich für den Einsatz der Polizei gegen Protestierende rund um den Taksim-Platz in Istanbul entschuldigt hat.

Die Polizeibrutalität in Frankfurt ist weder der Bundesregierung, noch der hessischen Landesregierung oder dem Frankfurter Polizeipräsidenten auch nur eine Silbe wert.  Während der Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), für die Polizeibrutalität in der Türkei Worte des Protestes findet: Die Härte der Polizei sei “völlig unangemessen”, und während die Führungsfigur der GRÜNEN, Claudia Roth, ihren Protest anmeldet: “Die Gewaltexzesse der Istanbuler Polizei gegen die Demonstranten müssen sofort beendet werden”, schweigen die Offiziellen in Berlin und Brüssel zu den Exzessen in Frankfurt.

Man muss sich erinnern: Das Verwaltungsgericht Frankfurt hatte entschieden, dass die Blockupy-Bewegung vor der Europäischen Zentralbank demonstrieren durfte. Also kamen sie zusammen, die Menschen, die es satt hatten mit ihrem Steuergeld Banken zu sanieren. Die nicht einsehen wollten, dass ganze Länder kaputtgespart werden. Die von ihrem Grundrecht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen wollten. Aber was scherte das die Polizei? Ohne auch nur den Hauch eines Vorwandes wurde ein Teil der Demonstration, den die deutschen Medien so gern und unheilverkündend den “Schwarzen Block” nennen, von der Masse der Demonstranten abgetrennt. Menschen wurden mit Schlagstöcken geprügelt, das verharmlosend “Pfeffer-Spray” genannte Kampfgas den Demonstrierenden ins Gesicht gesprüht. Es gab Blutendende und Verletzte, dass es keine Toten gab ist nur der Besonnenheit der Demonstranten zu verdanken, die dem Terror der Polizei mit großer Zurückhaltung und Disziplin begegneten. Willkürliche Verhaftungen – unter den Verhafteten Abgeordnete der Linkspartei – begleiteten eine sieben Stunden andauernde Einkesselung, die offenkundig als Wahlkampfauftakt der hessischen CDU zu begreifen war: Man prügelt auf Linke ein, um die Law-and-order-Wähler zu bewegen. Das ist billiger als das Drucken von Wahlplakaten.

Die Ereignisse in Istanbul bewegen die deutschen Medien zwischenzeitlich sehr: Ein Kommentar des ARD-TV fragt besorgt nach der Qualität der türkischen Demokratie. In der ZEIT weiß man von “Internationaler Kritik an Polizeigewalt in der Türkei” und auch, dass sich sogar “die US-Regierung . . . besorgt über das harte Vorgehen der türkischen Polizei geäußert” hat. Der SPIEGEL erkennt: “In Istanbul schlägt die Polizei friedliche Proteste von Umweltschützern brutal nieder.” Die WELT bemerkt: “Gewalt in der türkischen Stadt Istanbul”. Auch die BILD-Zeitung ist empört: “Zwei Tage tobte die Wutwelle durch die Türkei! Zehntausende protestierten gegen die autoritäre Politik von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan.” Der Nachrichtensender N 24 berichtet: “Brutaler Polizei-Einsatz bei Demo – Blutige Straßenschlachten in Istanbul”. Und alle, wirklich alle, sind empört: Durchaus zu Recht.

Doch die gleichen Medien finden bei gleichen Ereignissen in Frankfurt eine ganz andere Tonart. Die ZEIT erzählt: “Blockupy-Demo bleibt in Polizeikette stecken” – irgendwie, einfach stecken geblieben. Der HESSISCHE RUNDFUNK meldet: “Blockupy-Demo endet im Polizei-Kessel” – so geht ein schöner Tag zu Ende. Sittsam titelt der FOCUS: “Mit Gewalt gegen die Sparpolitik” und berichtet dann: “Polizei unterbricht Blockupy-Proteste in Frankfurt” -wir bitten diese kleine Unterbrechung zu entschuldigen. BILD wußte schon vorab vom “Schlachtplan der Blockupy-Chaoten”. Die FAZ versucht sich in einer sprachlich schlechten Satire und wendet sich mit folgender Empfehlung an die Demonstrierenden: “Vor allem aber sollten Sie überdenken, ob die Europäische Zentralbank als Endpunkt Ihrer zentralen Demonstration richtig gewählt ist. Schon klar, dass sie ein ‘Symbol des Kapitalismus’ sein soll und wegen ‘zentral’ größer und böser klingt als andere Banken, aber sie ist nun mal eine Notenbank und hat in den letzten Jahren gerade kein Land aus der EU gestoßen, sondern alle – außer Deutschland – gerettet.” Und die DEUTSCHE WELLE sondert ohne irres Kichern folgenden Satz ab: “Die Polizisten setzten Pfeffer-Spray ein und forderten die Demonstranten auf, Vermummung und mitgeführte ‘Passivbewaffnung’ wie Schilde (Transparente) und Seile abzulegen.”

Glaubt man den deutschen Medien, dann ist türkische Polizei-Gewalt um vieles gewalttätiger als die deutsche. Es sind die selben Medien, die seit Jahr und Tag leugnen, dass die von einer Parlamentsmehrheit durchgepeitschten Banken-Rettungen brutale Gewalt bedeuten. Gewalt gegen Jugendliche, deren Arbeitslosigkeit die Zerstörung von Lebensperspektiven bedeutet. Gewalt gegen Rentner, die sich im Ergebnis Merkel’scher Sparpolitik ihr Essen aus griechischen oder portugiesischen Mülltonnen klauben müssen. Gewalt gegen Kinder, die in unterfinanzierten Gesundheits-Systemen unzureichend behandelt werden. Und diese Gewalt-Orgie muss natürlich mit Polizei-Gewalt geschützt werden. Diesem System wird man auf Dauer nicht friedlich begegnen können.


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