Mythos Lektor/in - Traumberuf oder Knochenjob?

Von Petit

Dieser Prozess des Lektorierens bleibt den Lesern meist verborgen, darum habe ich die Fans auf der Facebook-Page und dem Blog dazu aufgerufen ihre Fragen an unsere Lektorin zu stellen, die dafür sorgt, dass aus Rohdiamanten-Manuskripten des Art Skript Phantastik Verlages kleine literarische Schmuckstücke werden. Es kamen einige spannende Ansätze zusammen und ich hoffe dieses Interview gefällt Euch und bringt ein bisschen Licht in das Mysterium „Lektorat“. Sabine Dreyer (Lektorat Tat-Worte) steht Euch nun Rede und Antwort.

Sabine, Du bist seit über 10 Jahren Lektorin, arbeitest auch als Ghostwriter, Werbetexterin und bietest Schreibcoaching an. Seit dem Jahr 2000 gibt es dutzende von Büchern aus Publikumsverlagen, On-Demad Projekten und Privatausgaben bei denen Du deine Finger mit im Spiel hattest. Von Büchern über Webauftritte bis hin zu Texten für Hochzeitszeitungen oder Reden für Kaufhauseröffnungen leistest Du einen Rundum-Support für das geschriebene und gesprochene Wort.

ASP Verlag: Was hat Dich dazu bewogen, Dich als Lektorin selbstständig zu machen, welche Voraussetzungen/Ausbildung sollte man für diesen Beruf mitbringen, und ist es ein Beruf mit Zukunft?

Antwort SD: Bewogen hat mich natürlich die Liebe zum Buch und zu Geschichten allgemein, auch wenn es bis zur Selbstständigkeit als Lektorin ein langer Weg war. Ich komme ursprünglich aus Betriebswirtschaft und bin dort im Marketingbereich hängen geblieben, weil sich herausstellte, dass ich ein „Händchen“ für Werbetexte und Slogans besitze. Irgendwann kam ich mit einem Verlag in Kontakt, und eins gesellte sich zum anderen. Weiterbildung, Herausforderungen, Weiterentwicklung ... Das war der berühmte „Fuß in der Tür“.

Letztendlich war die Entscheidung, mich als freiberufliche Lektorin selbstständig zu machen, auch eine Entscheidung mehrerer zusammentreffender und teils glücklicher Umstände aus dem beruflichen und privaten Umfeld.

Die meisten Lektoren großer Verlage blicken auf ein Studium in Bereichen wie Literaturwissenschaft, Germanistik/Anglistik usw. zurück bzw. wird es dort auch verlangt, allerdings haben Verlagslektoren auch meist ein anderes und umfangreicheres Aufgabenfeld. Sie sind häufig an den Planungen des Verlagsprogramms beteiligt, an der Suche nach geeigneten Manuskripten (Prüfen der Einsendungen), an den späteren Marketingaktivitäten u.a. Freiberufler wie ich hingegen konzentrieren sich überwiegend auf die Manuskripte selbst. Aber „Lektor“ ist keine geschützte Berufsbezeichnung, in dieser Folge ist natürlich auch aus anderen Berufsgruppen der Quereinstieg möglich, wenn man offen für ständiges Lernen und Weiterbildung ist und bleibt.

Mitbringen sollte man unbedingt eine große Leidenschaft für Bücher/Geschichten (fürs Lesen) im Allgemeinen und ein gutes Sprachgefühl im Besonderen, zu dem sich sehr gute Kenntnisse der Muttersprache – oder der Sprache, mit der man arbeiten will – und eine gute Allgemeinbildung gesellen sollten. Die Liebe zu Büchern sollte man allerdings nicht gleichsetzen mit den Anforderungen, die der Beruf mit sich bringt. Nicht jeder Viel- oder Gerneleser hat auch Talent zum Lektorieren, so wie nicht jeder Lektor auch ein großartiger Autor ist.

Ob dieser Beruf eine Zukunft hat, weiß ich nicht. Der Buchmarkt verändert sich, Autoren werden unabhängiger von Verlagen und Lektoren. Er wird sicher nicht so schnell aussterben, aber ich glaube nicht, dass sich darin absehbar neue Möglichkeiten eröffnen oder es ein Beruf mit großer Zukunft ist, es sei denn, der Bereich des Selbstpublizierens nimmt ihn maßgeblich mit auf. Viele verzichten heute leider ganz auf ein Lektorat, weil es auch immer eine Kostenfrage ist, mit der sich entweder der Verlag oder der Autor beschäftigen müssen, der sich an den Freiberufler wendet. Solche Investitionen wollen überlegt werden. Gerade durch die Veränderung des Buchmarkts wird das einzelne Buch immer mehr zu einem immer kleineren Teil einer unübersichtlichen Masse, denn dieser Markt wird von immer mehr Autoren erobert, die ohne die heutigen Möglichkeiten vielleicht nie ein Buch veröffentlichen würden. All das will konsumiert werden, aber im Gegensatz zur schreibenden Zunft wächst die lesende nicht zwangsläufig auch so rasant, fürchte ich. Da überlegt sich jeder, wie viel er in was heute noch investiert.   

ASP Verlag: Wie gestaltet sich die Arbeit an einem Manuskript?
Antwort SD: Das ist unterschiedlich und kommt auf das Manuskript selbst und den Auftrag an. Im Normalfall verschaffe ich mir erst mal einen Gesamteindruck vom Inhalt durch ein Exposé (das darf auch gerne ausführlich sein) und vom mutmaßlichen Aufwand. Dann kläre ich mit Verlag oder Autor ab, was zu tun ist, d. h. wenn es schon definierte Probleme gibt wie bspw. Dialogschwächen oder Plausibilitätsprobleme … oder oder … wird das natürlich vorrangig berücksichtigt. Manche Auftraggeber formulieren explizit, dass ich z. B. die Finger vom Erzählstil lassen und mich nur auf den Storyverlauf, Grammatik, Rechtschreibung und Zeichensetzung konzentrieren soll, andere möchten insbesondere einen stilistischen Feinschliff. Gibt es diesbezüglich keine Vorgaben, halte ich mich an meine Erfahrungswerte und kommentiere im Verlauf, was mir inhaltlich auffällt, um es später mit dem Autor durchzusprechen. Vom Arbeitsablauf funktioniert es meist so, dass ich ein Skript lektoriere, dann geht es zurück zum Autor/Verlag, der meine Korrekturen sichtet, und dann kommt es wieder zurück zur Abschlusskorrektur. In dieser Zeit ist die Kommunikation zwischen meinem Partner und mir unterschiedlich lebhaft, je nach dem, welchen Gesprächs- und „Verhandlungsbedarf“ es gibt.

ASP Verlag: Wirft man einen Blick auf die online Plattformen, auf denen sich Autoren (und die, die es noch werden möchten) treffen, prallen oft zwei Meinungen aufeinander. Die eine sagen „Ich muss nicht perfekt schreiben können, nur die Idee zählt, den Rest macht das Lektorat.“ Die anderen halten dagegen: „Ein Lektorat soll nur Kleinigkeiten ausbessern, darum muss ein Manuskript schon annähernd perfekt sein.“ Wo liegt die Wahrheit?

Antwort SD: Eine Aussage der Art „Ich muss nicht perfekt schreiben können, nur die Idee zählt“ ist sehr gewagt. Natürlich erwartet niemand Perfektion, wo gibt es die schon? Und ein gutes Manuskript wird sicher auch nicht wegen einiger Flüchtigkeitsfehler vom Verlag abgelehnt. Aber ein Autor betreibt ein Handwerk – das Schreiben –, und selbstverständlich sollte er das auch einigermaßen beherrschen und beweisen, dass er seine Arbeit ernst nimmt, denn wenn er das selbst schon nicht tut, wie sollte ein anderer ihn ernst nehmen?
Mir wäre bspw. eine Kosmetikerin mit fettigen Haaren, fleckigen Klamotten und abgefressenen Fingernägeln auch suspekt, denn ein gepflegtes Äußeres gehört schließlich zu ihrem Job. Und dieses gepflegte Äußere präsentiert ein Autor, der mit Sorgfalt an seinem Text arbeitet.
Im Grunde kann man absolut nichts falsch machen, wenn man sowohl dem Inhalt wie auch dem Handwerk alle Aufmerksamkeit widmet, denn alles andere ist Schlamperei und trifft auch meist auf entsprechende Reaktionen.
ASP Verlag: Als selbstständige Lektorin arbeitest Du nicht nur für Verlage sondern nimmst auch Projekte von selbstständigen Autoren an, die ihr Buch zum Beispiel über ein Book-on-Demand-Portal verkaufen. Nimmst Du grundsätzlich alle Werke an, die man Dir zuschickt oder machst Du auch Abstriche, wenn ein Manuskript Dir gar nicht zusagt, bzw. wirklich nicht zu retten ist? Wie gehst du mit solchen Projekten um?

Antwort SD: Klar mache ich auch mal Abstriche. Es gibt gelegentlich Manuskripte, mit denen ich überhaupt nichts anfangen kann, aber meist liegt es nicht alleine am Manuskript. Es kommt auf das Gesamtpaket Autor-Werk an. Ich habe schon sehr „anstrengende“ Jobs gehabt, allerdings waren die fundamentiert mit einem sehr guten Verhältnis zum Autor, so dass es vielleicht keine leichtfüßige Freude war, aber immerhin eine Herausforderung, aus der ich auch selbst viel mitgenommen habe. Es ist nun einmal so, dass wir Freien uns die Jobs nicht immer aussuchen können, und deshalb spielt bei meiner Entscheidung, ob ich ein eher schwieriges Manuskript annehme, natürlich auch die aktuelle Auftragslage eine Rolle. Wenn ich gut beschäftigt bin, sage ich einem schwierigen Manuskript eher ab als in Zeiten, in denen es ruhiger ist. Ich spiele jedoch immer mit offenen Karten, nehme also prinzipiell keine kritischen Aufträge an, indem ich dem Autor Begeisterung vorheuchle. Denn das hilft weder ihm noch dem Manuskript und mir schon gar nicht.
ASP Verlag: Durch Bücher wie Harry Potter oder Twilight haben viele Jugendliche die Lust am Schreiben wiederentdeckt. Hast Du auch schon Aufträge von unter 18Jährigen (durch die Eltern der Schreiber) bekommen, und wenn Ja, wie sahen diese aus?

Antwort SD: Das kommt gelegentlich vor. In den letzten Jahren hatte ich zwei Manuskripte von Teenagern auf dem Tisch, die ich mit Autor/in und Eltern abgewickelt habe. Das eine war eine fantastische Geschichte mit Schwerpunkt Pferden. Die sollte ohne Umwege als on-Demand-Buch erscheinen, weil die Eltern das Buch nur im nächsten Umfeld verschenken wollten. Das zweite war eine Vampir-Lovestory a la Bella und Edward. Hier hingen schon mehr Hoffnungen dran – elterlicherseits –, dass aus dem talentierten Kind eine neue Stephenie Meyer werden könnte. Meist jedoch scheitern solche Aufträge am Geld. Ich bekomme zwar öfter Anfragen von schreibenden Teenagern, aber die wissen meist nicht, wie sie mich bezahlen sollen, denken sogar häufig, ich mache das zum Spaß, und oft wissen die Eltern nicht mal, dass ihre Kinder überhaupt schreiben.
ASP Verlag: Als Lektorin musst Du objektiv und immer auf der Jagd nach Fehlern sein. Wie schaffst Du das bei einem Werk, das Dir sehr gut gefällt, das Dich fesselt und Dich alles andere vergessen lässt?

Antwort SD: Ich lasse mich nicht besonders schnell von einem Buch derart fesseln, dass ich den Blick auf die Arbeit verliere. Glücklicherweise kann ich Beruf und privates Lesen ganz gut trennen. Ein Manuskript, das ich bearbeiten soll, lese ich mit ganz anderen Augen und Gedanken im Hinterkopf wie ein „fertiges“ Buch, das ich abends mit auf die Couch oder ins Bett nehme. Sehr viel öfter passiert es mir, dass ich die Lektorin in mir nicht vollständig ausschalten kann. Vielleicht bin ich diesbezüglich auch ein wenig abgestumpft, denn ich tue ja den ganzen Tag nichts anderes als lesen.

ASP Verlag: Spätestens seit dem Fall Karl-Theodor zu Guttenberg ist das Wort „Plagiat“ in aller Munde. Auch abseits von Doktorarbeiten ist das ein großes Thema. Wann wird ein Text zum Plagiat, wie kann man das erkennen und als Autor auch vermeiden und hast Du selbst schon einmal ein Plagiat erkannt?

Antwort SD: Über Plagiate ist viel geredet und geschimpft worden, so wie sich die Gemüter gerade erst am Urheberrecht verbissen haben. Die Frage, wann ein Text zum Plagiat wird, ist einfach zu beantworten: Wenn ein fremder Text übernommen wird, ohne dies korrekt zu kennzeichnen, oder wenn ein fremder Text umgearbeitet wurde, das Original aber dennoch heraus klingt. Eine Satzumstellung macht z. B. noch keinen neuen Urheber. Die Frage, wie man ein Plagiat erkennt, ist nicht ganz einfach zu beantworten, denn man müsste schließlich erst einmal auf die Idee kommen, dass sich bei einem vorliegenden Text um eines handeln könnte – oder man müsste zufällig das Original kennen, und dann muss man natürlich recherchieren. 

Vermeiden lässt sich das durch eine ganz einfache Maßnahme: Immer schön selbst schreiben, und wenn man wirklich mal auf einen fremden Text zurückgreifen muss, ihn korrekt der Quelle und/oder dem Autor zuweisen, zitieren bzw. Kontakt aufnehmen und die Erlaubnis zur Verwendung einholen. 

Ja, ich hatte auch schon mit Plagiaten zu tun. Einmal nach dem Hinweis eines Jurymitglieds bei meiner Anthologieausschreibung, weil ich das Original selbst nicht kannte. Ich hatte aber glücklicherweise ein Buch des ziemlich bekannten Autors zuhause, in dem ich Story dann fand, die für meinen Wettbewerb ein wenig ummodelliert worden war. Ein anderes Mal hat sich eine „Kollegin“ an den Texten auf meiner Webseite bedient und diese beinahe 1:1 übernommen. Das fand ich einerseits ganz schön dreist, andererseits aber auch amüsant, weil es auch eine Aussage über deren „Kreativität“ war, die sie verkaufen wollte.
ASP Verlag: Vor kurzem kam eine Reportage, die über die Veränderung der Sprache berichtet hat. Darin wurde vor allem gezeigt, dass viele Jugendliche durch den Gebrauch von Abkürzungen in SMS oder eMails immer mehr Schwierigkeiten damit haben, richtige Sätze zu scheiben. Wie denkst Du darüber, verkommt die deutsche Sprache oder ist das nur ein von den Medien hochgepushter Unfug und die Schreiber sind noch auf dem gleichen Level wie vor 10 Jahren?

Antwort SD: Ich glaube nicht, dass SMS, Chat oder Mail die wahren Ursachen des Sprachverfalls sind. Ich glaube ja auch nicht, dass Ballerspiele aus Jugendlichen Amokläufer machen. Wer die Regeln kennt und gelernt hat, kann sie auch brechen. Das wirkliche Problem eines Sprachverfalls sehe ich darin, dass diese Regeln heute zunehmend an Gewicht verlieren, und das beginnt schon in der Schule. Lautschriftliches Schreiben wird gelobt und belohnt, auch wenn nur die Hälfte aller Buchstaben eines Wortes korrekt „erraten“ wurden. Meine Tochter z. B. schreibt heute noch manchmal „viehle“,weil sie es in der Grundschule so verinnerlichen durfte, was ich wirklich verflucht habe. Das Schreiben selbst wird außerdem in vielen Fällen ersetzt durch das Verteilen von Kopien, mit denen die Kinder sich beschäftigen sollen. Wir haben noch tafelweise abschreiben müssen – oder aus Büchern – und hatten Hornhaut an den Fingern (ich hatte sie jedenfalls). Schlicht gesagt: Die praktische Übung, die z. B. meine Generation noch mit der schriftlichen Sprache hatte, eben weil wir sehr viel mehr – und vor allem richtig – schreiben mussten, wird immer weniger. Die Wörter, die ich damals im Diktat falsch geschrieben hatte, musste ich berichtigen, indem ich hundert Mal zum Beispiel das Wort „Katastrophe“ schreiben musste. Danach habe ich nie wieder vergessen, dass man es mit ph und nicht mit f schreibt. J

Dazu kommt sicher auch der große technische Markt mit seinen Medien. Wo vor Jahren noch nicht so viel Auswahl bestand und man vielleicht eher mal zu einem Buch gegriffen, sich draußen mit Freunden rumgetrieben oder Brieffreundschaften gepflegt hat, gibt es heute zig andere Möglichkeiten. In vielen Fällen ersetzt sogar der Fernseher leider die Gute-Nacht-Geschichte. Ich bin immer wieder zutiefst erschrocken, wenn ich mitbekomme, wie viele Kinder heute kaum noch die alten Märchen kennen.

Möglicherweise trägt auch unser „Multikulti“ zu diesen Beobachtungen bei. Wir haben heute wahrscheinlich viel mehr ausländische Jugendliche in den Statistiken als früher, die sich mehrsprachig in Deutschland bewegen, und ich nehme an, dass einem die Muttersprache immer am nächsten steht. Begleitend hat sich da eine Sprachkultur (nennt man das „Kanackisch“?) entwickelt, die Nationalitäten übergreifend praktiziert wird.

Und so denke ich, dass dieser beobachtete Sprachverfall eine Folge mehrerer Entwicklungen der vergangenen Jahre ist.

ASP Verlag: Vielen Dank, dass Du dir Zeit genommen und uns einen Einblick in Deine Arbeit gegeben hast.