eine Reisebericht von Marco Butzkus im Auftrag des Kreuzfahrttesters:
Warum werden eigentlich Jahr für Jahr mehr als 30.000 Deutsche in ihrem Urlaub freiwillig zu norwegischen Postboten? Zugegeben, Norwegen ist bei Auswanderern beliebt und vielleicht ist die Frage an sich auch ein wenig provokativ gestellt. Dennoch – letztlich sind die Hurtigruten, die bei Deutschen Kreuzfahrern hoch im Kurs stehen, eine Postschifflinie, die seit über hundert Jahren in täglicher Taktung die norwegische Küste auf- und abfährt. Die Norweger selber preisen ihren Seepostdienst indes als die schönste Schiffsreise der Welt an. Ist das ein Versprechen, das wirklich gehalten werden kann, oder nur ein gut gewählter Werbeslogan, den sich findige Strategen erdacht haben, um einen an sich linienmäßigen Postdienst etwas lukrativer zu machen? Um sich dieser Frage zu stellen, habe ich mich auf die Reise gemacht. Auf ins wilde Norwegen. Finden wir heraus, was dran ist, am Mythos Hurtigruten.
Meine Seereise beginnt in Kirkenes, dem letzten Hafen der Hurtigruten, bevor es wieder südwärts geht. Weiter an den Rand von Norwegen geht es nicht. Der gut 3.500 Bewohner fassende Ort liegt irgendwo im Nirgendwo zwischen Finnland, Russland und der wilden Barentssee. Die Anreise an sich ist schon eine kleine Herausforderung. Bedingt durch die frühe Abfahrtszeit des Schiffes dort und in Erwägung mangelnder Direktflüge dorthin, bringt sie in der Regel eine Stopover-Übernachtung in Oslo mit sich. Verdientermaßen gehe ich kurz darauf ein. Also der Reihe nach.
Oslo ist schön. Norwegens Hauptstadt hat ganz sicher ihre Reize. Im „Vorbeiflug“ hat man nur leider nicht wirklich etwas davon. Der Flughafen „Gardermoen“ liegt gut 50 Kilometer außerhalb der Stadt (Fahrzeit 20 Zug-Minuten). Zudem gehört Norwegen nicht zur EU. Man muss also bei Zwischenlandungen dort, wenn man aus dem Ausland kommt, das gesamte Gepäck einmal komplett neu abfertigen lassen muss. Das ist nicht nur zeitaufwendig, sondern auch stressig. Besonders dann, wenn man mit mehr als einem Gepäckstück reist und bereits am frühen Morgen ans andere Ende Norwegens (denn da wollen wir ja eigentlich hin) weiterfliegt. Die Flugzeit nach Kirkenes liegt bei gut zwei Stunden und für den anschließenden Bustransfer zum Schiff rechnet man nochmal 45 Minuten. Da das Schiff in Kirkenes pünktlich um 12.30 Uhr ablegt, müssen wir spätestens um 7 Uhr am Flughafen in Oslo sein. Wenn man eine Zwischenübernachtung wählt und im Hotel angekommen ist (es gibt ein recht Gutes direkt am Flughafen) hat man wahrscheinlich keine wirkliche Lust mehr auf Sightseeing in Oslo. Es empfiehlt sich, man bleibt, wo man ist und genehmigt sich an der Hotelbar lieber noch einen kleinen Absacker. Dabei hat man dann auch gleich die Gelegenheit sich auf die üppigen norwegischen Preise für alkoholische Getränke zu gewöhnen (Glas Bier ca. 8 Euro). Wenn man gerne mehr von Oslo sehen möchte, sollte ein sehr früher Flug gewählt werden. Alternativ kann der Aufenthalt auch von vorneherein einfach mit einplant werden und man verlängert die Reise einfach um ein oder zwei Tage. Verdient hat Oslo diese Wertschätzung auf jeden Fall ganz sicher.
Gleich zu Beginn meiner Reise zeigt sich die stimmungsvolle Vielfalt, die mich auf diesem Trip erwartet. Oslo-Kirkenes – Größer könnten die Gegensätze nicht sein. Wenn man aus dem hektischen Getümmel des größten Flughafens des Landes kommend, in Kirkenes aus dem Flieger steigt, entdeckt man umgehend den Zauber der Einöde. Die nordöstliche Finnmark ist ein Stück schroffes und karges Felsland, wie es ursprünglicher wohl nicht sein kann. Ein von Trollhänden mit niedrigen Birken, roten, grünen und braunen Moosen bestreutes Ende der Welt. Wunderschön. Die Luft ist klar, salzig, neblig. Sie riecht und schmeckt nach dem urtümlichen, wilden Norwegen, mit dem die Hurtigruten werben. Der Flughafen von Kirkenes ist klein. Ein Flugfeld, eine Abfertigungshalle, Parkplätze und Bushaltestelle – fertig. Auf dem Bustransfer zum Schiffsanleger fühlt man sich ständig dazu verleitet, mit der Handykamera Momentaufnahmen der skurrilen Landschaft zu machen. Ein Drang, dem ich nur selten nachgebe. Ich möchte so viel von der besonderen Atmosphäre in mir aufnehmen, wie nur möglich. Nach dem wir einen Fjord überquert und einige größere See passiert haben, fahren wir auf einer weit geschwungenen Einfahrt nach Kirkenes ein. Der Blick fällt über den Bokfjord und auf das langsam hügelig ansteigende Land dahinter. Am östlichen Ende des Hafens liegt die “Finnmarken” am Fähranleger und wartet, in ihrem typisch weiß-rot-schwarzen Hurtigruten-Kleid, darauf mit uns aufs Meer hinaus tanzen zu dürfen. Beim Boarding umarmt mich die Vorfreude so sehr, dass es mir fast den Atem raubt. Der Schiffstyphon ertönt. Es geht los.
Fakten zum Schiff
MS Finnmarken ist eines von insgesamt 11 Schiffen, die im regelmäßigen Liniendienst von Bergen bis Kirkenes und wieder hinunter nach Bergen fahren (jeden Tag ein Schiff ab Bergen). Eine komplette Reise umfasst im Schnitt 2.700 Seemeilen (mehr als 5.000 Kilometer) und 34 Häfen innerhalb von 12 Tagen. Die Finnmarken ist Baujahr 2002 und gehört damit zur neusten Generation der Hurtigruten. Die Hurtigruten-Schiffe unterscheiden sich durchaus in Größe, Ausstattung und Einrichtung voneinander. MS Finnmarken ist im Art-Deco-Stil eingerichtet und bietet eine prächtige Panorama-Lounge auf Deck 8. Von hier aus hat man auch bei schlechtem Wetter einen fantastischen Ausblick in die atemberaubende Landschaft der norwegischen Küste.
Die Ausstattung des Schiffes ist gut und ähnelt durchaus Kreuzfahrtschiffen vergleichbarer Größe. An Bord gibt es zwei Restaurants, zwei Bars, ein Café, eine Cafeteria, die 14 Stunden geöffnet ist. Ein Spielzimmer für Kinder, eine Bibliothek, ein Bordshop, ein Salon und Konferenzräume gehören ebenso zur Ausstattung. Darüber hinaus verfügt das MS Finnmarken über einen großzügigen Fitnessraum, eine Sauna (getrennt nach Männlein und Weiblein) sowie einen Außenpool samt zwei separierter Whirlpools auf dem Pool deck (als einziges Schiff der Flotte). Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist das Deck 5, das nur auf diesem Schiff der Flotte komplett von der Bugspitze bis zur Heckflagge begehbar ist. Bei allen anderen Hurtigruten-Schiffen ist das Vorderschiff auf dem Hauptdeck ein gesperrter Arbeitsbereich.
Das Schiff bietet maximal Platz für 1.000 Menschen und verfügt über 628 Betten. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht noch, dass alle Hurtigruten-Schiffe (mit Ausnahme der historischen Lofoten”) über ein eigenes hydraulisches Gangway-System verfügen, das in eine seitliche Bordklappe integriert ist, dass sich immer auf der Backbordseite des Schiffes befindet. Kabinen auf der Steuerbordseite sind zu empfehlen, da die Schiffe auch nachts be- und entladen werden. Die Zugänge zum Schiff sind dieses System auch bei extremen Tide-Ständen recht bequem und immer auf moderater Höhe.
Direkt nach dem “Boarding”, was nichts weiter als ein simples Einchecken an der Rezeption der Finnmarken ist, geht es auf die Kabine. Das Gepäck wird auf Wunsch direkt vor dem Betreten des Schiffes abgenommen und befindet sich bereits vor der Kabine, wenn man dort eintrifft. Das Türsystem funktioniert über Bordkarten, die wahlweise auch als praktisches Bezahlsystem an Bord verwendet werden können. Ein passendes Schlüsselband gibt es für 30 NOK (knapp 3 Euro) gleich am Bordshop mit dazu. Eine lohnende Investition, da man dadurch an Bord komplett auf die Brieftasche verzichten kann.
Die Kabinen der Finnmark sind – freundlich ausgedrückt – von überschaubarer Größe (5-13 m²) – meine Mittelklasse-Doppelkabine hat ungefähr 2 Meter Breite und gut 4 Meter Länge. Darin befindet sich auch eine Nasszelle, die mit Dusche, Toilette und Waschbecken völlig ausreichend ausgestattet ist. Es gibt auch einen kleinen Schreibtisch, der durch einen großen Spiegel, auch gut als Schminktisch genutzt werden kann. Es gibt ausreichend Stauraum und Platz in Schränken. Ein Kühlschrank und ein TV-Gerät (kein Flachbild) gehören zur Grundausstattung. Wenn man sich in der Kabine aufhält, sollte man Programm 8 (Borddurchsagen) und Programm 11 (Webcam an Bug des Schiffes) im Auge behalten. Die Betten sind relativ klein, die Matratzen weder zu fest noch zu weich. Zu erwähnen ist, dass die „Kojen“ quer zur Fahrtrichtung des Schiffes liegen. Meine anfängliche Befürchtung, was das „in den Schlaf wiegen“ durch die „Schiffsschaukel“ anging, wurden jedoch in keiner Weise erfüllt. MS Finnmarken verfügt über ausgezeichnete Stabilisatoren. Seegang bis Windstärke 6 nimmt das Schiff aufrecht stehend wie ein Wikinger, der sich am Bugspriet seines Schiffes die eisige Gischt aus dem Bart brüllt.
Der Service an Bord der Finnmarken ist 4-sprachig (alle Borddurchsagen werden also 4-fach wiederholt) und überaus freundlich. In der Regel wird Englisch automatisch zur Bordsprache, da es hier einfach die meisten Schnittmengen gibt. Man kommt allerdings auch ganz prima mit Deutsch zurecht. Bei kleineren Problemen helfen in der Regel sprachlich versierte Mitreisende gerne aus. Sicherheitseinweisungen, Informationen zu den Reiseetappen wurden auf meiner Reise durch den aus der Schweiz stammenden Reiseleiter Heinz Ehrbacher fließend, unterhaltsam und mit reichlich Humor weitergegeben. Bei “Uncle” Heinz fühlt man sich mit allen Fragen sofort gut aufgehoben. Auch an der Schiffsrezeption findet man mit seinen (Extra) Wünschen immer ein offenes und überaus freundliches Ohr, das der deutschen Sprache mächtig ist.
So weit so gut – es gibt allerdings auch einiges, was man unbedingt wissen muss, wenn man mit den Hurtigruten-Schiffen fährt. Es handelt sich dabei um keine wirkliche Kreuzfahrtreise im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine sehr schöne Etappen-Seereise mit einem Post- und Fährschiff. Das bedeutet zum einen, dass die üblichen Kreuzfahrtstandards hier keinen Maßstab bilden dürfen. Zum anderen bedeutet es aber vor allem, dass die Schiffe immer pünktlich den Hafen verlassen, um in ihrem Fahrplan zu bleiben. Völlig unabhängig davon, ob dann auch alle Kabinenpassagiere wieder auf dem Schiff sind oder nicht. Um es deutlich auszusprechen: Es wird nicht gewartet! Wer nicht rechtzeitig an Bord ist, muss sehen, wie er zum nächsten Hafen kommt. Das ist umständlich, aber vor allem aber sehr teuer. Ein Taxi kann dann tatsächlich tausend Euro kosten. Man (und Frau) ist also gut beraten, den Fahrplan und die Abfahrtszeiten durchaus ernst zu nehmen. Vor jedem Halt wird über Lautsprecher die genaue Aufenthaltsdauer im Hafen bekannt gegeben. Zusätzlich steht die Abfahrtszeit auf einer Tafel direkt am Ausgang die man nicht übersehen kann, wenn man von Bord geht. Es lohnt sich übrigens auch tatsächlich nicht, das Schiff in jedem Häfen zu verlassen. Einige davon bestehen nur aus einem Schiffsanleger und zwei Dutzend Häusern. Zudem nimmt man gerade in den kleinen nördlichen Häfen den wichtigsten Industriezweig deutlich über die Nase wahr, Fischfang und die Fischverarbeitung.
Und noch etwas sollte man wissen: Die Hurtigruten sind ein norwegisches Unternehmen und werden hauptsächlich von Norwegern genutzt – der Speiseplan an Bord ist also auch “typisch” norwegisch – was bedeutet, dass große Teile des Buffets aus Fisch und anderen Meeresdelikatessen bestehen. Morgens- und Mittagsbuffet an Bord von MS Finnmarken ist in Auswahl und Menge reichhaltig. Dabei gibt es durchaus auch mal norwegische Spezialitäten wie gebratene Dorschzungen oder Hammel mit Kohl zu entdecken. Das abendliche 3-Gänge-Dinner hingegen ist er überschaubar. Alkohol hat norwegisches Preisniveau – ein Glas Bier kostet bequem 7 Euro, eine Flasche Wein zwischen 40 und 50 Euro. Doch nun genug der Fakten und Grundlagen, schließlich wollen wir sehen, ob die Norweger tatsächlich die schönste Seereise der Welt im Angebot haben – auf ins Abenteuer.
Wenn man sich auf der südgehenden Route befindet, beginnt direkt hinter Vardo – dem westlichsten Hafen Norwegens und dem ersten Stop nach Kirkenes – die offene Barentssee. Ein Meer, wie es urtümlicher und gewaltiger nicht sein kann. Irgendwie fühlt sich sofort alles viel wilder und bärbeißiger an, wenn man seine Nase durch die Luke an Deck steckt und unter sich das Randmeer des arktischen Ozeans weiß. Mittags – beim sonnigen Auslaufen in Kirkenes – wirkte das Nordmeer noch so zahm und friedlich. Nun pflügen wir mit gut 15 Knoten um die Varanger-Halbinsel herum. Weiß, mit Gischt gekrönte Wellen recken sich MS Finnmarken entgegen, dessen scharfer Rumpf diese auftoppenden Halunken zerteilt wie pochierten Lachs. Diese Region der Welt wirkt unwirtlich. Und dennoch – der Blick in Richtung Küste öffnet das Herz und schenkt der Seele völlige Zufriedenheit und tiefe Demut. Der raue Norden Norwegens ist von einzigartiger und atemberaubender Schönheit. Nirgendwo anders kann man sie so ungefiltert aufnehmen, wie an Bord eines der Postschiffe. Zum Dinner nimmt man regionale Köstlichkeiten zu sich und genießt dabei den Panoramablick auf die brandende Küste. Das frisch gezapfte norwegische Bier (Mack) entspricht mir 4-6 ° Celsius in etwas der Wassertemperatur, außenbords 5 Decks tiefer und schmeckt köstlich. Wilder Norden – fantastisch und wunderschön!
In den nächsten Tagen folgt der 2 Teil!
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