Vor 50 Jahren ist Albert Schweitzer gestorben. Sebastian Moll sorgt mit einer neuen Biografie für Aufregung. Ein Blick hinein...
Denkmal des Urwald-Doktors: Albert Schweitzer war schon zu Lebzeiten eine Legende.Albert Schweitzer ist schon zu Lebzeiten eine Legende. Als junger Mann war er nach Afrika gegangen, um in Jesu' Nachfolge ein Tropenhospital aus Holz- und Wellblechhütten aufzubauen. Vierzig Jahre später wird der Urwald-Doktor dafür mit dem Friedensnobelpreis geehrt. Man feiert ihn als „13. Jünger Jesu“ und „Mister Wellblech“ wie einen Popstar. „Genie der Menschlichkeit“ und „Universalgenie Westeuropas“ nennen sie ihn. Auch seine Biografen zeichnen fast immer ein wohlwollendes Bild. Der Mainzer Theologe Sebastian Moll zeigt Schweitzer dagegen als "Meister der Selbstinszenierung". Das ist nicht der einzige Aufreger, den dieses Buch provoziert hat...
Eigentlich wollte Moll mit seiner Arbeit über Schweitzer die letzte formale Voraussetzung dafür schaffen, Professor werden zu können. Das hat nicht geklappt. Die Gutachter haben die Habilitationsschrift abgelehnt. So was kommt nicht alle Tage vor. Aber dass Molls Schweitzer-Buch den Ansprüchen der theologischen Fakultät nicht genügt und offenbar keine gute Forschungsarbeit ist, muss ja noch nicht heißen, dass es auch eine schlechte Biografie ist. Auf diesem Feld aber ist die Konkurrenz groß und außerdem hat Schweitzer selbst sehr viel über sein Leben berichtet. Das nimmt Moll zum Anlass, den "historischen Schweitzer" und den "Meister der Selbstinszenierung" zu vergleichen. Obwohl solche kritischen Einordnungen eigentlich implizit die Aufgabe jeder guten Biografie sein sollten, ist die Idee in Bezug auf Schweitzer vielversprechend, gerade weil so viele Biografen mehr oder minder ungeprüft seinen Aussagen folgen.
Die Umsetzung verblasst dagegen, auch wenn Moll ausgesprochen schwungvoll schreibt und auf auf abschreckende Fachsprache überwiegend verzichtet. Sollten die die wissenschaftlichen Gutachten daran (und am überaschend knappe Umfang der Arbeit) gestört haben, für eine Biografie auf dem Buchmarkt sind das keine schlechten Kriterien. Leider verzichtet Moll aber nicht nur auf unnötige Seiten und sperrigen Schreibstil. Er bezieht auch ganz elementare Zeugnisse über den „historischen Schweitzer“ nicht in seine Arbeit ein, was sich auf die Aussagekraft seines Vergleich auswirkt. Weder der Reisebericht des Schriftstellers Rolf Italiaander, noch die ausführliche Lambarene-Reportage des amerikanischen Journalisten Norman Cousins werden berücksicht und auch die knappe, aber analytisch klare Charakterstudie von Claus Jacobi nimmt Moll nicht zur Kenntnis. Alle drei hatten Schweitzer in Afrika besucht und ihn im alltäglichen Wahnsinn des Tropenhositals beobachtet. Dabei haben sie nuir nur Schmeichelhaftes zu berichten vorgefunden. Inhaltlich hält das Buch von Sebastian Moll auch aus biografischer Siocht also leider nur in der flotten Sprache, was der reißerische Titel verspricht. Was Moll über den Selbstdarsteller Schweitzer zu Tage fördert - denn es ist ja kein Geheimnis, dass Schweitzer kräftig an seiner eigenen Legende gestrickt hat - geht im Großen und Ganzen nicht über das hinaus, was Nils Ole Oermann am Schluss seiner vor einigen Jahren erschienen Biografie zusammenträgt. Insgesamt bleibt Moll weit hinter diesem Meilenstein der Schweitzer-Biografik zurück. Ein weiteres muss bedacht werden: Schweitzer hat sich zwar geschickt in Szene gesetzt, aber er hat es auch getan, um Aufmerksamkeit für sein Afrika-Projekt zu schaffen - und das war die Voraussetzung für die vielen Spenden und Zuwendungen, die das Tropenhospital finanziert haben. Insofern muss letztlich unklar bleiben, ob Schweitzers Selbstgefälligkeit auch eine strategische Dimension im Dienst seiner gelebten Nächstenliebe gehabt hat.
Es entsteht der Eindruck, dass Sebastian Moll von Schweitzer wesentlich mehr beeindruckt ist, als die These seines Buches erwarten lässt. Es sieht so aus, als habe er mit Schweitzers Mitteln hat punkten wollen. Auch der dreifach promovierte Friedensnobelpreisträger hat eine sehr kurz gefasste philosophische Doktorarbeit abgegeben, in der er (natürlich viel kompromissloser) auf Sekundärliteratur verzichtet hat. Auch Schweitzer hat immer wieder gegen den wissenschaftlichen Mainstream angeschrieben und ist damit angeeckt. Aber Schweitzer hat die Provokation selten um ihrer selbst willen gesucht. Und in diesem Punkt kann man sich bei Moll nicht sicher sein. Denn als langjähriger Universitätsangehöriger hätte er wissen müssen, was geht und was nicht.
Sebastian Moll 2014: Albert Schweitzer. Meister der Selbstinszenierung.
Berlin University Press, 250 Seiten, € 29,99, EAN: 978-3-86280-072-8