Große Naturkatastrophen kommen meist ohne Vorwarnung, erzeugen Betroffenheit und ein riesiges Medienecho. Doch es gibt auch Ausnahmen. Bedrohliche Situationen, die der Mensch absehen kann, die er möglicherweise verhindern könnte. Glaubt man dutzenden Medienberichten, kommt eine dieser schleichenden Katastrophen momentan ins Rollen. Noch nennt sie sich „Bienensterben,“ doch bald schon könnte der Umstand, dass immer mehr Bienenvölker auf der Welt verenden, dramatisch Folgen für das Ökosystem Natur und die Lebensgewohnheiten der Menschheit nach sich ziehen. Manch einer behauptet nun, er könne auch ohne Honig gut leben – ein Trugschluss. Denn wenn Bienen sterben, muss der Mensch auf weit mehr verzichten. Noch ist der prophezeite Ernstfall jedoch nicht eingetreten. “Zum Teil wird da ganz schön überzogen,” sagt Bienenforscher Dr. Werner von der Ohe über mediale Schlagzeilen und erklärt im Interview, wie es um die Bienen wirklich steht. Geführt von David Seitz
Studien die aktuell im Zusammenhang mit dem Bienensterben auftauchen klingen schon recht bedrohlich. Zahlen zwischen 10 und 30% Verlust in den letzten Jahren werden da genannt. Wie realistisch sind Szenarien, die davon ausgehen, dass es in Deutschland in ein paar Jahren oder Jahrzehnten gar keine Bienen mehr geben wird?
Solchen Szenarien kann ich nicht glauben. Es wird auch in Zukunft noch Bienenvölker in Deutschland geben. Nichtsdestotrotz hat es eine gewisse Dramatik, wenn regelmäßig Bienenvölker eingehen. Dabei geht es vor allem um die Winterverluste, die in den vergangenen Jahren gravierend waren. Das bedeutet, dass weniger Bienen aus dem Winter herausgeholt wurden, als der Imker hinein gebracht hat. Diese Bienenverluste über den Winter hat es aber immer schon gegeben. Selbst wenn wir in Literatur schauen, die 50-60 Jahre alt ist – schon da gab es solche Verluste. Doch die Frequenz großer Verlusten ist höher geworden, das heißt die Jahre mit stärkeren Verlusten folgen schneller aufeinander. Diese Situation hat schon eine gewisse Dramatik, der man gegensteuern muss. Was die Zahlen 10-30% angeht: Die Verluste können in guten Jahren ohne Weiteres unter 10 % liegen – 30% wird eher selten erreicht. In der Fläche betrachtet liegt man eher im Bereich um 25%. Unter der 10% Marke ist das noch nichts dramatisches, die Dramatik beginnt darüber.
Wenn es diese Verluste schon immer gab: Ist der Wirbel um das große Bienensterben vielleicht ein Stück weit Panikmache, weil es eine gute Schlagzeile abgibt?
Grundsätzlich ist es berechtigt darauf aufmerksam zu machen, dass es diese Verluste von Bienenvölkern gibt. Allerdings wird da zum Teil auch ganz schön überzogen. Vor allen Dingen gibt es für diese Winterverluste ganz klare Daten, die zeigen woran es liegt. Dabei fehlt mir in den Presseberichten oft, dass der Hauptgrund nicht so sehr in den Vordergrund gestellt wird: Nämlich die Varroamilbe, die für diese Verluste definitiv die Hauptverantwortung trägt.
Bevor wir uns mit den Gründen für die Verluste genauer beschäftigen: Warum ist die Biene für den Menschen überhaupt so wichtig, warum lohnt es sich für Sie zu kämpfen, so wie Sie es tun?
In Mitteleuropa und vielen anderen Teilen der Erde ist die Biene das wichtigste Bestäuber-Insekt. Viele Pflanzen, auch zahlreiche Kulturpflanzen, kommen ohne die Bestäubung der Honigbiene nicht aus. Andere Bestäuber, die diese Aufgabe übernehmen könnten, stehen nicht in ausreichender Zahl zur Verfügung. Gerade bei Kulturpflanzen haben wir die Möglichkeit, die Honigbiene ganz gezielt zur Bestäubung bestimmter Pflanzen einzusetzen. Wir sprechen inzwischen sogar von “Bestäubungsmanagement.” Neue Forschungsergebnisse zeigen auch, dass die Honigbiene nicht nur für höhere Erträge ein Garant ist, sondern generell eine Grundsicherung der Bestäubung gewährleistet und dass sich ihre Bestäubung positiv auf die Qualität der Produkte auswirkt, zum Beispiel auf die Größe von Rapsschoten, Äpfeln oder Erdbeeren. Hier ist die Honigbiene eindeutig besser als Hummelvölker oder Solitärbienen. Doch es geht auch um die Naturpflanzen, die die Honigbiene als Generalist ebenfalls bestäubt, sodass wir sagen können: Um die 80% der Bestäubungsleistung wird durch die Honigbiene erbracht. Andere Berechnung besagen, dass etwa ein Drittel der Nahrung, die auf unserem Esstisch landet, von der Bestäubung der Honigbiene abhängig ist.
Welche Einschnitte wären für den Menschen am schmerzhaftesten – im Falle eines dramatischen Bienensterbens?
Es sind vor allem die Lebensmittel, die einen Großteil der Vitamine aufbringen. Die Honigbiene sorgt zwar nicht für unser Brot, denn Getreide wird vom Wind bestäubt. Abhängig hingegen sind viele Beerensorten und Steinfrüchte, Erdbeeren, Äpfel, Kirschen usw. Besonders diese wichtigen Vitaminspender würden uns fehlen.
Wäre die Natur denn in der Lage, einer abnehmenden Zahl an Bienen entgegenzuwirken, würden andere Bestäuber dann stärker zum Zuge kommen und den Verlust ausgleichen?
Ein Wegfall der Honigbiene wäre ein Verlust, der nicht zu ersetzen wäre. Hummelvölker und Solitärbienen könnten niemals diese Leistung bringen, wie die Honigbienen, die in der Fläche verteilt sind. Allerdings bezweifle ich, dass die Bienenvölker komplett verschwinden werden, denn selbst wenn wir von Verlusten von durchschnittlich 25% deutschlandweit sprechen, wie im vergangenen Winter, heißt das gleichzeitig, dass 75% der Bienen überlebt haben. Aus diesen 75% lassen sich in einem Jahr ja wiederum neue Bienenvölker aufbauen, sodass sicher nicht zum Frühling, jedoch im Sommer dann schon wieder eine größere Zahl an Bienenvölkern zur Verfügung steht. Derzeit haben wir noch keine Abnahme von Bienenvölkern in der Summe, weil Imker aus dem Bestand, den sie noch haben, neue Völker aufbauen und weil wir eine ständige Zunahme von Imkern haben, sodass wir von der Gesamtzahl der Bienenvölker in den letzten Jahren kein Absinken hatten, wahrscheinlich sogar eine Erhöhung der Bienenvölkeranzahl.
In Agrarbetrieben und der Lebensmittelindustrie sind dementsprechend also keine Auswirkungen eines Bienensterbens zu spüren?
Nein. Bis zu diesem Zeitpunkt konnten die Imker die Bienen, die zu Bestäubungszwecken angefordert wurden auch liefern.
Wenn in den Medien die Gründe für die Verluste aufgearbeitet werden, dann sprechen Experten oft von Monokulturen und dem Einsatz von Pestiziden und Fungiziden. Ist der Mensch letztlich der Schuldige an der Situation?
In gewisser Weise ist der Mensch der Hauptfaktor. Der Hauptfaktor für die bereits erwähnte Varroamilbe ist der Mensch, denn die würde es hier vielleicht gar nicht geben, wenn der Mensch nicht dafür gesorgt hätte, dass sie aus Asien zu uns kommt. Und auch die Bekämpfung der Varroamilbe ist natürlich abhängig vom Menschen. Das Bienenvolk kommt gegen die Varroamilbe, einen Parasiten an den sie nicht angepasst ist, selbst nicht an. Es Bedarf der Unterstützung des Menschen bei der Bekämpfung dieser Milbe und wenn diese Bekämpfung nicht richtig durchgeführt wird, ist es eben ein Fehler des Menschen – in diesem Fall des Imkers. Auch bei den Pflanzenschutzmitteln haben wir in den vergangenen Jahren immer wieder Fälle gehabt, bei denen es zu sehr starken Verlusten von Bienen kam, das waren allerdings Verluste in den Sommermonaten, durch die Fehlanwendung von solchen Mitteln. Für die Bienen gefährliche, hochtoxische Insektizide wurden auf Flächen ausgebracht, die von Bienen beflogen wurden, wo sie Nektar und Pollen gesammelt haben. Diese Kontamination hat letztlich auch zum Tod von Bienen geführt.
Klingt so, als sei dieser direkte Tod durch Vergiftung aber eher der Einzelfall. Der Mensch schwächt die Bienen also in der Regel nur und die Varroamilbe erledigt quasi den Rest?
Die Varroamilbe schwächt ein Bienenvolk und bringt es schließlich zum Zusammenbruch. Bienenvölker die schwächer sind leiden natürlich schneller unter der Varroamilbe als diejenigen, die stark sind. Eine Schwächung eines Bienenvolkes kann zum Beispiel durch die Vergiftung mit einem Pflanzenschutzmittel erfolgen oder dass diesem Bienenvolk nicht genügend Nahrung zur Verfügung steht.
Zum Beispiel durch die angesprochenen Monokulturen?
Durch Agrarstandorte in denen hauptsächlich Pflanzen vorkommen, die für die Biene keine Attraktivität haben, da sie der Honigbiene keine Nahrung bieten.
Besteht Hoffnung, dass man die Varroamilbe in naher oder ferner Zukunft wieder los wird oder müssen sich Imker mit diesem Parasiten gezwungenermaßen arrangieren?
Wir werden diese Varroamilbe nicht mehr loswerden und der Imker muss gegen diese Varroamilbe etwas tun. Es gibt verschiedene Möglichkeiten, er muss jedoch sein ganzes Imkerleben und jedes Jahr daran denken, etwas gegen die Milbe zu unternehmen. Das ist ein entscheidender Punkt: Denn die jüngeren Imker lernen mittlerweile von Anfang an, dass zur Bienenhaltung auch die Bekämpfung der Varroamilbe gehört. Es macht mir Hoffnung, dass sich diese Jungimker auch ständig fortbilden und wir so möglicherweise in der Bekämpfung der Varroamilbe einen erfolgreichen Weg beschreiten können.
Markus Imhoof, Regisseur des Bienen-Films „More than honey“ sagt, Honigbienen seien über Jahrhunderte durch Inzucht zu Fleiß und Sanftmut gezüchtet worden. Bienen auf anderen Kontinenten haben sich an die Milbe gewöhnt und können auch mit dem Parasit überleben. Wurde die europäische Honigbiene also erst durch die Zucht schwach?
Man muss da ein paar generelle Dinge berücksichtigen. Bei der Varroamilbe haben wir verschiedene Arten. Die Art, die in Mitteleuropa vorkommt, die Varroa Destructor, ist die gefährlichste unter den Varroamilben. Auf anderen Teilen der Erde haben wir es mit weniger gefährlichen Varroamilben zu tun. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass wir es auf einem so eng besiedelten Raum, wie wir ihn in Europa haben, insbesondere in Deutschland, mit Bienenvölkern zu tun haben, die sanftmütig sind. Wir könnten hier keine Bienenhaltung in der Form betreiben, wie in einer stark zersiedelten Landschaft, wo wir es mit Bienen zu tun haben, die eine erhebliche Verteidigungsbereitschaft aufweisen. Wir kennen das zum Beispiel von der afrikanisierten Biene, die in Lateinamerika bewirtschaftet wird. Nichtsdestotrotz führt diese Zucht sicherlich dazu, dass wir hierzulande einen deutlich engeren Grat haben, als in afrikanischen oder südamerikanischen Ländern. Aber mit gewissenhafter Zucht geht man natürlich auch dagegen vor und ich glaube nicht, dass unsere Biene deutlich anfälliger wäre, sondern es ist eher der Aspekt, dass wir es mit unterschiedlichen Varroamilben zu tun haben. Und man darf nicht vergessen, dass es in anderen Teilen der Erde durch mehr Naturraum eine ganz andere Art der Nahrungsversorgung für die Bienen gibt, die sie in vielen Fällen deutlich robuster macht.
Wäre es möglich, dass sich durch natürliche oder künstliche Selektion bald auch in Mitteleuropa eine robustere Biene entwickelt?
Genau das wird ja in der Zucht betrieben: Man schaut, ob man unter den Bienen und der genetischen Vielfalt, die wir hier haben, etwas findet, was toleranter gegenüber der Varroamilbe ist, sodass die Biene besser mit ihr zurechtkommen. Diese Zuchtbestrebungen werden seit geraumer Zeit intensiv verfolgt. Am Ende könnte tatsächlich eine Biene stehen, die mit der Varroamilbe besser zurechtkommt als die jetzigen Bienen.
Das ist aber noch Zukunftsmusik. Kann man als Normalbürger vielleicht heute schon irgendetwas beitragen um den Bienen das Leben leichter zu machen?
Imker werden! Das wäre natürlich das erste, aber es kann ja nicht jeder Imker werden. Was können alle anderen tun? Überall dort wo er oder sie Einfluss darauf hat, dass sich eine möglichst große Blütenvielfalt entwickeln kann – dort aktiv werden. Das eigene Grundstück zum Beispiel so ausstatten, dass Honigbienen und andere Insekten dort Nahrung finden. Als Landwirt könnte man neben den eigentlichen Kulturpflanzen zusätzliche Blühstreifen oder Blühflächen anlegen – in Bereichen, die nicht so intensiv bewirtschaftet werden. Als Bürgermeister oder Mitarbeiter einer Kommune, beispielsweise in der Wasserwirtschaft oder im Straßenbau, kann man sich überlegen, wie man auf den Freiflächen irgendetwas anpflanzen könnte. Von Saatmischungen über Sträucher bis hin zu Bäumen, die den Honigbienen etwas bringen.
Klingt einleuchtend, wird aber (noch) von kaum jemandem auch umgesetzt. Vermutlich auch deshalb, weil der Tod von Bienen nicht unmittelbar wie eine Bedrohung für den Menschen wirkt. Wäre es wünschenswert, dass es den Bürgern noch viel bewusster wird, wie folgenreich das Sterben der Bienen auch für sie selbst sein könnte
Es wäre gut, wenn die Leistung, die die Honigbienen bringen und die sie so wichtig machen, also das Wissen um die Bestäubungstätigkeit der Honigbienen besser präsent wäre. Derjenige, der das verstanden hat wird auch verstehen, dass das verschwinden der Honigbiene eine echte Katastrophe wäre, würde die Dramatik erkennen: Nämlich dass die Honigproduktion nur der geringste Anteil ist und die Bestäubungsleistung viel wichtiger ist.
Ihr Bienen-Szenario für 2050?
Ich glaube schon, dass wir bis dahin Wege gefunden haben, auf biologische Art und Weise besser gegen Bienenkrankheiten ankämpfen zu können, dass wir noch immer eine vergleichbare Zahl von Imkern und Bienenvölkern haben, natürlich mit gewissen Schwankungen, die es immer gegeben hat und dass sich genauso noch Menschen engagieren, mit diesem Naturwesen umzugehen und sich für ein Umfeld einsetzen in dem sich diese Tiere gut ernähren können.
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Zur Person
Dr. Werner von der Ohe leitet das Institut für Bienenkunde in Celle, ein Kompetenzzentrum für alle Belange der Bienenhaltung. Er ist besorgt über die Situation der Bienen, ärgert sich jedoch über die Darstellung als “Katastrophe” durch die Medien, die oftmals aus der hohen Zahl der Winterverluste Schlagzeilen generieren.
Foto Biene: CC by dixieroadrash