My Private Woodstock


Bei uns in der Gegend gibt es jede Menge hochwertigen Kies, den man zum Straßenbau oder so benutzen kann. Deshalb wurden früher, als man Kies noch mit Gold aufwog, ständig irgendwo Löcher in die Landschaft gebaggert, um diesen Bodenschatz zu fördern. Mit der Zeit füllten sich die Löcher, aus denen nichts mehr zu holen war, mit Grundwasser und verwandelten sich in Seen. Die Vegetation kehrte zurück und die künstlich entstandenen Gewässer wurden zu beliebten und mehr oder weniger gut erschlossenen Badegelegenheiten.
An einem dieser Seen, damals vielleicht dem schönsten von allen, weil er wildromantisch in einem Wald versteckt lag und in seiner Mitte über eine baumbewachsene, kreisrunde Insel verfügte und gleichzeitig aber auch Verruchtesten (worauf ich gleich eingehe) fand während der Siebziger und zu Beginn der Achtziger Jahre alljährlich auf der Uferwiese ein dreitägiges Open Air Konzert statt. Warum ich „verrucht“ schreibe? Ganz einfach: Dieser See war damals noch ein wilder Badesee und hatte weder Duschen noch einen Kiosk. Es gab keinen Parkplatz wie in den meisten anderen Anlagen und die Badegäste mussten einen längeren Fußmarsch durch den Wald auf sich nehmen. Der See wurde von den „anständigen“ Leuten (zum Beispiel unseren Eltern) tunlichst gemieden, denn dort tummelten sich ihrer Meinung nach Gammler und andere zwielichtige Elemente, die nackt badeten, Haschisch rauchten und wild campten, was ja auch nicht ganz unrichtig war. Das machte diesen Pfuhl der Sünde und Verworfenheit für uns Jugendliche der Endsiebziger natürlich umso spannender und interessanter und aus diesem Grund fand auch, wenn es das Wetter zuließ, jede Klassenfete an eben diesem Baggersee statt.
Damals wurden unsere Jeans gerade enger und zerrissener, die Haare kürzer und bunter, die Musik wurde roher, kam auf Musikkassetten und Schallplatten aus England rübergeschwappt und hieß jetzt Punkrock. Kurzum, unsere Rebellion änderte ihre Gestalt. Doch der Kick, dass man in seinem Schlafsack, den man sich auf so einer Fete üblicherweise zwecks einvernehmlichen Rumfummelns mit einem Mädchen aus der Klasse teilte, nachts garantiert nicht ruhig schlafen konnte, war eine Übernachtung am Baggersee wert. Der Grund dafür war, dass die Bullen zuverlässig jede Stunde zur Ausweiskontrolle vorbeikamen und das machte das Übernachten an diesem speziellen Ort zu einem einzigartigen, wenn auch ermüdenden Erlebnis, dass man nicht verpasst haben durfte, es sei denn, man wollte vor den anderen aus der Klasse als Streber oder Weichei dastehen.
Die ersten paar Male turnten wir noch aufgeregt im Lichtkegel der Taschenlampen aus seiner Penntüte, suchten panisch den Ausweis und standen vor den Beamten stramm. Doch im Laufe der Nacht wurden wir immer entspannter und hielten schließlich nur noch die kleinen grauen Personalausweise oder großen grünen Reisepässe in die Luft und ließen uns kurz von den Grünen ins Gesicht leuchten, ehe sie, ebenso unausgeschlafen wie wir, wieder vom Tatort abzogen. Gegen sechs Uhr morgens hörten die Kontrollen schließlich auf und wenn man schon halbwegs wach und bei Sinnen war, konnte man aus den verschwollenen Augenwinkeln die Frühaufsteher beobachten, die steif und verkatert mit grauen Gesichtern und verstrubbelten Haaren um das erloschene Lagerfeuer tigerten – immer auf der Suche nach einer lauwarm gewordenen Cola, die schon längst ihre ganze Kohlensäure in die Atmosphäre entlassen hatte oder einer angebrochenen Kartoffelchipstüte, deren Inhalt vom morgendlichen Tau matschig geworden war.
Zu dieser Zeit, ich schätze mal um 1981, gingen wir öfter in eine ziemlich abgefahrene Dorfkneipe, deren Besitzer bei der Allgemeinheit nur unter dem Namen Skelettjäck bekannt war. Seinen makaberen Namen verdankte er nicht allein seiner Statur, denn er war lang, klapperdürr und sah aus, als bestünde er nur aus Haut und Knochen, sondern auch seinem Auto, einem gewaltigen schwarzen Ford Granada Kombi, der in seinen besseren Jahren als Leichenwagen diente und den Jäck irgendwann günstig erstanden hatte. Dieser Jäck sprach mich und meinen besten Kumpel Uwe eines Abends an, als wir rauchend und Bier trinkend in seiner Kneipe saßen, denn er suchte ein paar Helfer für seinen Brathähnchenstand beim Open Air Konzert am Baggersee. Er winkte uns mit freiem Eintritt, Brathähnchen soviel wir essen könnten und ein paar Mark Entlohnung sollte es, bei entsprechendem Umsatz auch noch obendrauf geben. Essen, Kohle, einen Stempel auf dem Handrücken? Was wollten wir mehr. Das war unser Glückstag, also zögerten wir keine Sekunde und sagten dem Skelettjäck kurzentschlossen zu.
Einige Wochen vergingen und schließlich war das Open Air Wochenende dann da. Uwe und ich radelten, bepackt mit Schlafsack und Isomatte raus zum Baggersee. Als wir auf das Gelände kamen, sahen wir schon von Weitem Jäcks Leichenwagen sowie seinen Besitzer und dessen aktuelle Freundin, die lässig plaudernd an der meterlangen Kühlerhaube lehnten. Um den Aufbau des Stands samt Grills und der Theke (einem Konstrukt aus zusammengestellten Biertischen) etwas aufzulockern, ließ der Jäck erst einmal einen fetten Joint kreisen. An die eigentlichen Aufbauarbeiten vermag ich mich aus pharmazeutischen Gründen nicht mehr genau zu erinnern, aber irgendwann stand das ganze Zeug, das der Jäck in seinem Leichenwagen hierher gekarrt hatte, an seinem Platz. Der Grill war einen knatternden, vollgetankten Dieselgenerator angeschlossen, einige Kästen Bier standen zur zügigen Löschung des schlimmsten Durstes bereit und die ersten 30 Hähnchen drehten sich am Spieß, während sich der Platz vor der Bühne nach und nach mit Konzertbesuchern füllte und gleichmäßig der wummernde Sound der Basstrommel dumpf über den Platz peitschte, als die erste Band des Abends ihren Soundcheck startete.
Wir machten mit unserem Hähnchengrill einen gewaltigen Umsatz und kamen kaum hinterher, gebratene Gockel zu halbieren, samt einem Brötchen auf Pappschalen zu klatschen, abzukassieren und neue Hähnchen auf die Spieße zu stecken. Das Wetter war herrlich, es waren eine Menge Besucher da, auf der Bühne gaben sich die Bands alle Mühe und unsere Kasse wurde immer voller.
Doch dann, ich schätze, es war gegen zehn Uhr abends, lief die ganze Sache ziemlich übel aus dem Ruder. Alles begann damit, dass der Grill den Geist aufgab. Plötzlich drehten sich die Spieße nicht mehr und die Glühschlangen wurden dunkel.
„Scheiße“, knurrte der Skelettjäck mit einem glasigen Blick auf den Grill, nahm einen tiefen Schluck Bier aus der nächsten Flasche, die herumstand und machte sich sodann an dem Gerät zu schaffen. Er war zu diesem Zeitpunkt nicht nur total stoned, sondern hatte auch schon jede Menge Alkohol intus und damit gewaltig Schlagseite. Hektisch fummelte und drehte er an Reglern des Grills, doch das Ding samt 30 aufgespießten und halbgaren Gockeln, die nun langsam abkühlten, machte keinen Mucks mehr. Jäck torkelte eiernd zu seinem Granada, dessen Heckklappe offen stand und wuchtete fluchend einen rostigen Werkzeugkasten aus der Karre. Dann machte er sich, lustlos maulend am Grill zu schaffen, während sich eine Traube Schaulustiger vor der Theke versammelte und das Spektakel ausgelassen und fachkundig kommentierte. Mit einer Taschenlampe zwischen den Zähnen schraubte er die blecherne Seitenverkleidung des Geräts ab, die krachend herunterfiel und begann, mit dem Schraubenzieher an der Elektrik herum zu stochern. Blöderweise hatte Jäck jedoch vergessen, den Generator, der munter hinter dem Grill vor sich hinknatterte, vorher abzuschalten. Das Ergebnis war, dass er so dermaßen eine geschossen bekam, dass er mitsamt dem Schraubenzieher, den er fest umklammert hielt, zwei Meter nach hinten flog und dort wie ein Stein zu Boden ging. Dabei knallte er mit dem Hinterkopf ins Gras, spuckte unmittelbar nach dem Aufschlag seine Zahnprothese, die er im Oberkiefer trug, hustend aus dem Mund und blieb schließlich regungslos liegen.
Skelettjäcks Freundin, die seine Aktion mit zweifelnden Blicken beobachtet hatte, schlug nun laut kreischend die Hände vors Gesicht, stürzte sich danach schreiend zu ihrem Liebsten und schüttelte ihn. Dieser öffnete die Augen, und begann benommen und leicht desorientiert, sich wieder aufzurappeln. Er tastete nach seiner Prothese, die neben ihm auf der Erde lag und schob sie sich zurück in den Mund. Dann erkannte er seine Freundin und begann, sie hysterisch anzuschreien:
„Du blöde Schnalle. Der Scheißhähnchenstand war doch deine verfickte Drecksidee. Warum hör' ich nur auf so eine bescheuerte Kuh wie dich. Verpiss' Dich bloß.“
„Aber Schatz...“, setzte Jäcks Freundin an und bekam, ehe sie auch nur noch ein Wort weiterreden konnte, von ihm gewaltig eine eingeschenkt, so dass sie sich mit offenem Mund und einen Blick der zwischen Überraschung und Entsetzen schwankte, taumelnd einmal um die eigene Achse drehte und dann stürzte.
„Ich könnt mich alle mal kreuzweise am Arsch lecken. Ich hab die Schnauze gestrichen voll von dem ganzen Scheißdreck hier“, plärrte der Skelettjäck und kramte in den Taschen seiner Jeans nach dem Autoschlüssel. Aber der war verschwunden. Jetzt drehte Jäck so richtig durch und stieß einen wütenden Schrei aus, als er merkte, dass er den Schlüssel verloren hatte. Er versetzte der Fahrertür des Granadas einige heftigen Tritte, drehte sich dann um und verschwand wankend in der Dunkelheit. Während ich fassungslos Jäck nachsah, als er sich mit unsicheren Schritten samt seiner kapitalen Scheißlaune vom Acker machte, hockte Uwe bereits neben Jäcks Freundin, die heulend und mit verschmierter Schminke um die Augen im zertrampelten Gras hockte und schniefend und rotzend sagte, dass sie auf der Stelle nach Hause wolle. Uwe half ihr auf und ging mit ihr zu seinem Fahrrad, dass hinter dem kaputten Grill an einem Gebüsch lehnte. Ehe ich etwas sagen konnte, hatte er seinen Schlafsack abgeschnallt und weggeschmissen, Jäcks Freundin auf den Gepäckträger gesetzt und zog nun mit ihr ebenfalls ab.
Da stand ich jetzt alleine mit einem kaputten Grill, Jäcks Leichenwagen, zu dem der Zündschlüssel verschwunden war und ein paar hundert Mark in der Kasse. Ok, was jetzt? Als erstes sagte ich den Leuten, dass die Show vorbei und der Laden für heute dicht wäre. Ich bekam dafür von ihnen spärlichen Applaus aber noch mehr Pfiffe, bevor sie kapierten, dass es nichts mehr zu sehen gab und endlich abhauten. Dann schnappte ich mir die Kasse, schüttete ihren Inhalt in meine Umhängetasche zu meinen Zigaretten und einem zusammengeknüllten Ersatz T-Shirt, bevor er geklaut wurde, zog den Stecker vom Grill und schaltete schließlich den Generator ab. Dann machte ich mir ein Bier auf. Was sollte ich tun? Ebenfalls abhauen wollte ich nicht, aber ich hatte auch keine Lust, den ganzen Abend sinnlos am Stand rumzuhängen. Ob der Jäck so schnell zurückkommen würde, stand in den Sternen. Ich glaubte, eher nicht. Also räumte ich die Sauerei um den Hähnchenstand oberflächlich auf, schob die Bierkisten, in der Hoffnung, dass sie niemand entdecken würde, ins Gebüsch und machte mich dann auf den Weg nach vorne zur Bühne, um noch ein wenig Spaß zu haben.
Gegen Mitternacht spielte die letzte Band des Abends ihre finale Zugabe, die Konzertbesucher gingen für heute nach Hause und diejenigen, die blieben, suchten sich ein Fleckchen, wo sie einigermaßen ungestört schlafen oder andere Dinge tun konnten. Wie dem auch sei: Der Platz leerte sich langsam. Ich schlurfte gemächlich zurück zum Brathähnchenstand. Natürlich war niemand zurückgekommen. Der Jäck nicht und seine Freundin samt Uwe sowieso nicht. Blödes Pack, war ja klar. Dann schnallte ich den Schlafsack und die Isomatte vom Gepäckträger meines Fahrrads und wollte mir gerade einen Platz zum Pennen suchen, als mir jemand auf die Schulter tippte. Es war Claudia, ein ziemlich heißer Feger aus der Parallelklasse.
(Ich muss an dieser Stelle gestehen, dass meine Schulkameradin natürlich nicht wirklich Claudia hieß. Aber da ich ihren richtigen Namen nach so langer Zeit vergessen habe, nenne ich sie an dieser Stelle einfach mal Claudia - auch weil der Name irgendwie in die Zeit passt und es damals jede Menge Claudias gab.)
Sie machte auf den ersten Blick einen ziemlich bekifften Eindruck, was in diesen Jahren mit einiger Sicherheit auf unseren recht sorglosen Umgang mit soften Betäubungsmitteln zurückzuführen war und mich deshalb nicht weiter verwunderte. Claudia kam, nachdem wir uns mit Küsschen links und Küsschen rechts begrüßt hatten, auch gleich zur Sache:
„Ich hab ein Bett.“
„Ok, ich auch. Aber nicht hier.“
„Meins ist hier, ohne Scheiß jetzt.“
„Öhm...!“
„Du kannst bei mir im Bett schlafen, wenn du willst“, sagte sie und sah mich fröhlich zwinkernd an.
Das Bett wollte ich sehen. Ich bat Claudia zu warten und wuchtete einen Kasten Bier, der noch halbvoll war, quasi als Gastgeschenk aus dem Gebüsch. Dann griff sie meinen Schlafsack, nahm mich bei der Hand und zog mich über die Wiese hinunter zum Ufer. Ich traute meinen Augen nicht. Da stand, mit zwei Beinen im Wasser, tatsächlich ein großes, altmodisches Eisenbett mit Matratzen, auf denen ein paar Figuren herumlümmelten und sich Hoffnungen auf einen vernünftigen Schlafplatz machten.
„Verzieht euch von meinem Bett, aber ein bisschen plötzlich“, herrschte sie die Typen resolut an. Die lachten aber nur hämisch und fläzten sich noch breiter hin. Ich fischte ein paar Flaschen Bier aus meiner Kiste und gab sie ihnen unter der Bedingung, dass sie sich sofort aus dem Staub machten. Das klappte besser und schließlich hatten wir das Bett für uns.
„Wie hast du das Ding hierher geschafft?“, fragte ich Claudia und sie antwortete lachend, während sie im Schneidersitz auf dem Bett saß und eine Zigarette drehte:
„So eine Schnapsidee von ein paar Freunden. Die sind aber weg. Wir haben das Bett ganz für uns. Besser als auf dem Boden rumliegen, oder? Hast du mal Feuer?“
Wir lagen schon eine ganze Weile in meinen halboffenen Schlafsack aneinander gekuschelt auf dem Bett, rauchten Zigaretten, tranken unser Bier, ignorierten die anzüglichen Sprüche von Neugierigen, die vorbeikamen, blickten zum Himmel und unterhielten uns, als es plötzlich in der Ferne zu blitzen und donnern begann. Ein Gewitter zog auf und schon bald fielen die ersten schweren Regentropfen. Im nächsten Moment prasselte ein gewaltiger Platzregen auf die Erde. Alle Leute, die rund um uns herum zu pennen versuchten, sprangen panisch auf und eilten schutzsuchend vom Seeufer weg. Auch wir schnappten unsere Sachen und rannten, inzwischen ziemlich durchnässt und lauthals lachend zum verwaisten Hähnchenstand. Ohne lange zu überlegen, schob ich Claudia zu Skelettjäcks Leichenwagen, dessen Heckklappe immer noch offenstand. Ich schmiss meinen Schlafsack, der auf der Innenseite noch einigermaßen trocken war, auf die Ladefläche und schob den ganzen Ramsch, der sonst noch hinten im Auto lag, eilig beiseite. Dann kletterten wir in den schwarzen Granada und ich zog von innen die Heckklappe zu. In dem beengten Fond des Leichenwagens schlüpften wir schnell aus unsere nassen Klamotten und krochen dann in den Schlafsack, während die Scheiben des Autos auf der Stelle von innen beschlugen.
Wir lagen schon einige Minuten schweigend und bibbernd nebeneinander, als Claudia schnuppernd fragte:
„Sag mal, was riecht hier drin eigentlich so komisch?“
Ich antwortete: „Wir sind hier nicht alleine.“ Ich fädelte einen Arm aus dem Schlafsack und klopfte gegen eine der vier weißen Plastikboxen, die sich an einer Seite der Ladefläche aufreihten.
„Willst du mich verarschen oder was?“
„Nein, ganz bestimmt nicht.“
„Also, was ist in den Kisten?“, fragte Claudia.
„Naja“, antwortete ich. „Vier Kisten. Macht 200 fertig gewürzte, rohe und ungekühlte Brathähnchen.“
„Scheiße“, sagte Claudia und wir fingen an zu lachen.

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