"My Blueberry Nights" [HK, CH, F 2007]

Erstellt am 15. Oktober 2011 von Timo K.

Nächte, Neon, Nostalgie. Sehnsucht, Sucht, Sinnsuche, Selbsterfahrungsreise. Fetzen, Erinnerungen, Erinnerungsfetzen, die vergessen werden müssen, aber nicht können, Lichtprojektionen. Wong Kar-wai-Vokabeln. Und: Verstreichen und zerfließen und verpixeln und einfrieren von flüchtigen Begegnungen und stockenden Bewegungen einer zufälligen Liebe, deren letztes vertrautes Überbleibsel ein Kuchen ist, genauer gesagt ein Blaubeerkuchen. Mag "My Blueberry Nights" aus einer rein emotional stimulierenden Ebene heraus nicht an die kanonlastigen Liebesbriefe Wong Kar-wais anknüpfen – Norah Jones verblasst gegenüber dem starken Ensemble in den Nebenrollen zudem ganz offensichtlich und einige arg müde Absehbarkeiten konventioneller Episodendramen rührt der Poesie zusammenhakende Film leider an –, so versteht er sich nichtsdestotrotz als melancholisch leiser, farbenprächtig abstrakter wie sinnlich intimer Sehnsuchtsschmerz über den auf Umwegen zu überlistenden Kummer in der Liebe, dem es gelingt, Nähe und Persönlichkeit, statt Distanz und Künstlichkeit zu entwickeln. Manchmal wirkt der egozentrische Stilwille Kar-wais zwar allzu verkrampft, jede hippe Montage den emotionalen Bewusstseinszuständen seiner Figuren anzupassen (etwa, in dem er vorsichtiges Herantasten beiderseits und zunächst anfängliches Misstrauen durch eine vor den Fensterscheiben ungeduldig ausharrende Kamera symbolisiert). Doch manchmal haben diese Bilder auch etwas merkwürdig Sensibles, fernab jener kitschigen Liebestheatralik dutzender Kullertränenheulsusen. Dort zum Beispiel, wo zweimal geküsst wird, auf die Lippen und der letzte Rest Blaubeerkuchen von den Lippen. Wunderschön. Der gewissermaßen vollends den edlen Darstellern gehört: Jude Law ist der backerfahrene Kneipenbesitzer, David Strathairn der verlierende Jetonsammler, Rachel Weisz die nonchalante Ex, Natalie Portman die verbiesterte Femme Fatale. Alle eint das gemeinsam verzweifelte Festhalten eines vergänglichen Zustandes, der auf Dauer mürbe macht. Ein Film wie… Blaubeerkuchen, tatsächlich. Luftig, zartschmelzend, cremig unaufdringlich, mit sirupsüßem Kern. Nicht mehr, nicht weniger. Oder Fast Food – zweitweise Genuss, aber es hätte nahrhafter sein können, zeitweise Hungertilgung, aber es hätte schwer verdaulicher sein können.
6/10