Muttis kleines Hamsterrad

Foto: sommerkind/photocase.deFoto: sommerkind/photocase.de

Ich starre auf die DuploHanutaKaugummiundFeuerzeug-Auslage an der Kasse und muss unweigerlich an die Szene mit Michael Douglas denken, wie er im Stau steht, nichts geht mehr, er ist eingepfercht im Auto, eingepfercht im Stau und auch sonst irgendwie eingepfercht. Schweißperlen haben sich auf seiner Oberlippe gebildet, Hintergrundrauschen aus Hupen, Radio, Funksprechanlagen und Sirenen. Wahrscheinlich ist es weit über 30 Grad. Und es stinkt offensichtlich nach Abgas und bepinkelter Unterführung.

 

Wie komm ich jetzt von Supermarkt auf Falling Down?

 

Kennt ihr den Moment, wo man sich einfach irgendwie die Kleider vom Leib reißen und brüllen könnte? Weil man grade innerlich durchknallt? 

 

Also, es fängt ja oft irgendwie so an, dass man morgens, schlimmstenfalls im prä-koffeinierten Zustand überlegt, was heute so alles anfällt und gemacht werden müsste, man klungelt sich im Koppe eine To-Do-Liste zusammen. Dann fällt einem auf, dass man immer To-Do-Listen macht, dann aber das Leben, der Schweinehund, was zu Essen oder die Frucht der eigenen Lenden dazwischenkommt. Also rödelt man sich sehr ungelangweilt durch den Tag mit nicht aufschiebbaren Dingen wie Kind heil, ernährt und sauber durch den Tag zu bringen, Jagen und Sammeln, Erwerbsgedöns, Wäsche, Wäsche und Wäsche, in Wartezimmern rumsitzen, essen und einkaufen und so. Dann hat man sein kleines, persönliches Alltagslabyrinth bezwungen und stellt fest, dass das einzige, was jetzt noch fluffich von der Hand geht, das Liegen, Netflix und das immer schneller aufeinanderfolgende Augenblinzeln ist. Man liegt da und fühlt sich kaputt aber unter Strom, WEIL ja die ganze Kür noch brach liegt. Also Bloggen zum Beispiel, die Hausaufgaben für den endlich begonnenen Italienischkurs, der netto sechs Stunden pro Woche kostet, die Ablage von Papierkram. Basteln. Nudeln machen. Ausdauernd mit der Rübe spielen. Sport. (Sport?!!? SPOCHT?!? Haahhahahahaahaha!!!). Und das macht so traurig. Weil wieder ein Tag rum ist, der einen nicht ausgefüllt hat im Sinne von Glück oder Erreichen einer persönlichen Messlatte. Morgen ist der 1.Dezember. Gestern war der erste Advent. Und soll ich euch was sagen: hier hängt noch nicht mal ein Stern und das Adventskranzmetallrund staubt noch dornröschenähnlich im Keller vor sich hin. Heul. Kreisch. Gut, schon wenigstens drüber geschrieben zu haben.

Also zuhause alles fertig, morgens alles rund ums neue Auto (über meinen neuen Freund Bob und mich ein andermal :)) organisiert, draußen ist es isselich, grau, nieselniesel (da krieg ich schlimme Haare von), kurz vor 4, ich muss los zur Kita. Ich weiß, dass ich den Schlüssel...aber wo...ah! Ich nehm mal den Einkaufskorb mit Leergut mit. In voller Montur, Daunenmantel, Mütze, fetter Schal, fällt mir ein, dass ich auch noch den Müll...will die Wohnungstür abschließen, der Schlüssel fällt runter, ich muss die Müllbeutelschlingen vom Handgelenk reissen, die bleiben aber erst mal hartnäckig am Handschuh hängen. Love it. Schicke Flüche ins Treppenhaus.

Sturm. Niesel. Lauter unglaubliche 50 Kilo - Frauen mit bildschönen puderrosa Wollmänteln laufen da draußen rum, die haben nie niesel-krisseligen Haare und sehen so leicht und schwebend aus. Die gehen bestimmt nie einkaufen, sonder essen nur Sushi auswärts. Schlurfe mit ollen braunen Boots, Rudimentärmakeup und irgendwie sehr un-berlinmittig Richtung Kita. Die Bierflaschen klappern rhythmisch im Korb.

 

Die Kita hat eine Umkleide, die gefühlt so groß ist wie ein Gästehandtuch, für 30 Kinder. Es sind 40 Grad und riecht nach Rotkohl und Babypups. Mein Kind kommt erst herzlich um die Ecke, entscheidet sich aber spontan, noch vierzehnmal exakt den roten Mattenteppich umranden zu müssen. Derweil packe ich mehr oder weniger motivierte Gemälde, Laternen oder äääh, Geschnittenes ein. Sage vierzehnmal was von Herkommen und Hose anziehen und so. Dem Kind fällt dann noch ein, nochmal pullern zu müssen. Ich hab Wartemusik im Kopf. Ich zieh mich aus (vierzig Grad), um dann das Kind anzuziehen. Ja, sie kann das mit viereinhalb schon. Dauert nur. Halbtage. Fummelfummel an, ich pack mich auch wieder ein. Inzwischen ist es so gut wie dunkel. Dunkeldiesig. Bei dunkeldiesig schaltet mein Körper auf Nahrungsaufnahme und Schlaf. Ist aber erst halb fünf.

 

Wir gehen also in den Supermarkt, den ich nicht leiden kann, weil er eng ist und stinkt. Liegt aber so schön auf dem Weg. Durch die Wuschwusch-Schiebetür bläst einem dieses Klimavieh nach nassem Hund riechende, warme Luft ins Antlitz. Das Kind quengelt gemäß Pawlowschen Reflex sofort nach einem Brötchen. Sofort. Weil es hat sooo Hunger. Sooo Hunger, Mama. MMMaaammaaaa!! Chefunterhändlermäßige Verhandlungen über Zucker, Fett und sonstwas. Kind schiebt sich Rosinenbrötchen ins Gesicht. 

Ich brauche einen Einkaufswagen. Ich hatte auch mal einen Euro da im Korb. Oder in der Jacke. Angele in allen Taschen rum, derweil steht das Kind zuverlässig anderen Leuten im Weg. Ein Rentner schiebt mir seinen Wagen in die Hacken. Das Portemonnaie ist ganz unten in der Tasche. Mach es auf. Fingere nach Münzen im Halbdunkel, die euroähnlich aussehen.Die Wollmütze juckt an der Stirn. Endlich hab ich das Vieh entkettet. Ihr wisst, was jetzt kommt, ne? Ich willaberimWaaaaagensitzen!!! Meinetwegen. Ich stell den Korb mit ollen Flaschen in den Wagen. Dann geht aber der Sitz nicht richtig auf. IchwillaaabaaaimWaaaaagensitzenmmmaaamamaa!!! Wir stehen gemeinsam im Weg. Menschen mit großen Tüten voller Leergut ziehen an mir vorbei zum Leergutautomaten, davon gibt es natürlich nur einen.

Ich popele den Korb anders hin, Sitz geht auf. Ich hebe 18 Kilo hoch. Die 18 Kilo versuchen, sich in den bis zu 15 Kilo zugelassenen Sitz zu winden. Der dicke Winterstiefel klemmt. Ich halte die 18 Kilo immer noch. Der erste Schwitzanfall unterm Daunenmantel.. Der Schal hängt mir am Kinn und reibt da hin und her. Erste kleine Aggressionsschübe. Das Kind ist platziert. Ich hab ein leichtes Taubheitsgefühl in den Schultern. Puderfarbene Wollmäntelmädchen bewegen sich leichtfüßig mit Proseccoflaschen Richtung Kasse, während ich beim Leergut anstehe. Lange. Sehr lange. Das Kind hängt derweil mit dem Kopf im Weihnachtskinderschokoladeständer. Dekolametta fällt. Ich schenke den Herren mit den großen Tüten mein Leergut.

 

Ich habe vergessen, was ich dringend brauchte. Schiebe das Kind durch die vollgestellten Reihen, remple hier und da mal an und kaufe ausschließlich unsinnige Impulsware. Neue Plastiklöffel. Okay, und der Kaffeejoghurt muss sein und Schokolade. Langsam komm ich in Fahrt. Das Obst und Gemüse ist so ömmelig wie eh und je, so dass mir klar wird, ich muss das gleiche auch noch mal im Biomarkt absolvieren. Laune sinkt, reiße mir den Schal vom Hals. Das Kind besteht darauf, nur noch an den Füßen geschoben werden zu können. Schubkarrenstyle. Hab jetzt ollen Straßenmatsch an der Jacke. Egal. Ich nehm noch saure Haribo mit zum gleich nach der Kasse reinschlingen. Denke daran, jetzt noch mal 20 Minuten zu verlieren und ich wollte doch noch. Noch aufräumen. Noch was kochen. Unbedingt endlich was bloggen. Zeit mit dem Kind verbringen. Ist ja schon dreiviertel fünf. Nie Zeit für was gemütliches, gemütlich basteln, zuhause rumprockeln. Laune null. Bin sauer auf die Welt, die nix dafür kann und mich. Stehe an der Kasse. Vor mir eine Klassenfahrt. 25 zu dünn angezogene Menschen aus Paderborn, losgelassen in Berlin. Alle 25 haben was in der Hand. Eine Cola. Eine Cola und Chips. Eine Cola. Eine Spritedose und Kaugummi. Ich bin achselfeucht. Warmer Mief steigt an mir hoch. Das Kind fragt mich achtmal die gleiche Frage. Warum heißt das Hanuta? Warum heißt das Hanuta? Warum heißt das Hanuta? Warum heißt das Hanuta? Mama? Ich atme. Atme gegen die Ungeduld und gegen das Gefühl, grade echt Blutdruck zu haben und gegen das Gefühl, so komplett unzulänglich, kleinfauldickdoofundhässlich zu sein. Mein Schal schleift über den Boden und verfängt sich schließlich mit den Fransen im Einkaufswagenrad. Das Kind klemmt sich die Finger zwischen Wagen und Kassenband. Meine Ohren klingeln. Storno Kasse drei.

 

Denke an Michael Douglas. 

Probiere zuhause den schönen Wollmantel an, den ich schon lange habe., gleich nachdem ich zwei Wäsche, einen Blogbeitrag, kochen, essen, spielen, schimpfen, Kind baden, aufräumen, Küche saubermachen, Kind ins Bett und Italienischhaussaufgaben bringen hinter mich gebracht habe.

 Er ist zu eng.

 


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