Mutter: Ironiefreie Zone

Mutter: Ironiefreie ZoneMutter
Milla, München, 14.11.2014
„Menschliche Widersprüche sind das Faszinierendste, was es gibt. Sie auszusprechen erscheint mir ganz normal.“ (Max Müller, SPEX)
Das mag jetzt vielleicht etwas seltsam klingen, aber die Texte und Wortmeldungen von Max Müller möchte man eigentlich immer in einem kleinen, verschließbaren Behältnis mit sich herumtragen – gut und sicher aufbewahrt, damit sie nicht verloren gehen können, jederzeit verfügbar für den Ernstfall, der eigentlich ein permanenter ist (jetzt wird wer einwenden, dieses Behältnis sei der Einfachheit halber doch das eigene Hirn, das man im besten Fall ohnehin dabeihabe. Dummerweise ist die persönliche Festplatte durch das stetig anschwellende Grundrauschen unserer Alltagsumgebung so mitgenommen, dass der interne Datenaustausch nicht mehr ohne weiteres und in jedem Moment möglich ist). Er wird das nicht so gern hören, aber Müller gehört zum Klügsten und Wahrhaftigsten, was der deutsche Pop seit Jahren zu bieten hat.
Gerade haben er und seine Band Mutter wieder ein neues Album veröffentlicht – passenderweise heißt das „Text und Musik“ – und mit diesem kam die Berliner Formation, neuerdings verstärkt durch die Keyboarderin Juliane Miess, jetzt die Münchner Milla. Und weil das hier keine Plattenbesprechung, sondern eine Konzertkritik sein soll, muss man der Versuchung widerstehen, die neuen und abermals wunderbaren Stücke einfach nur zu zitieren (auch wenn es mehr kaum bräuchte…) Es soll also erwähnt werden, dass Mutter live noch immer sehr laut und sehr unmittelbar sind, ihre Musik ist auf fast altmodische Weise organisch – es pfiept und kracht und scheppert, wie es sich für analogen Sound gehört. Das Schlagzeugspiel von Florian Koerner von Gustorf ist noch immer ein gestenreiches Ereignis und Müller schlackst und windet sich wie sein eigener „Regenwurm“ am Mikrophonständer entlang.
„Wohin nur mit denen, die ungefragt kamen, die keiner mag und niemand will… Wer hat schon Lust so zu leben, wie die leben, die wir hassen, wer hat schon Lust so zu denken, wie die denken, die uns uns hassen?“/„Was spricht schon dagegen zu lassen was ist, was spricht schon dagegen, zu ändern was es war?“ – nur zwei Ausschnitte aus Liedern des Abends, Texte mit Musik. Das eine, eigentlich für die Sinti und Roma am Kottbusser Tor gedacht, ist nun auch in München am richtigen Ort angekommen, das andere ein Sinnbild für Wankelmut und eigene Schwäche. Dabei ist Müller beileibe kein politischer Mensch, er ist ein nüchterner Betrachter und fühlt sich selbst oft genug unentschlossen und machtlos. Was seine Worte aber so außergewöhnlich macht, ist die unbedingte Abwesenheit jeglicher Ironie genau dann, wenn diese als Wohlfühlaroma oder Kantenschutz missbraucht wird. Es war und es ist wieder an der Zeit. Ein guter Abend.

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