Mut zum unentrauschten Rauschen

Von Julia_f @julia_f

Hi, ich könnte einen Beitrag darüber schreiben, warum ich für meine Arbeit unbedingt die neue Canon EOS 1DX brauche. Warum ich ohne gar nicht arbeiten kann. Wie abgefahren es wäre mit solch einem ISO-Monster zu fotografieren. Warum man, gerade wenn man Hochzeiten fotografiert, die Möglichkeit, die Bilder in der Kamera direkt auf die zweite Speicherkarte mitzusichern und somit direkt ein Echtzeit-Backup von den Bildern zu haben, braucht. Denn gerade bei einer Hochzeit ist jeder Moment einmalig und nicht wiederholbar. Ich möchte nie in eine Situaltion kommen, meinem Brautpaar erzählen zu müssen, dass eine Speicherkarte im Arsch ist und die Bilder verloren sind. Was wäre eure Reaktion als zahlender Kunde? Ja ich könnte einen Beitrag über das neue Flagschiff von Canon schreiben. Ich könnte auch schreiben, dass man eigentlich nur mit einer Leica vernünftig fotografieren kann und alles andere Kinderkakke ist.

MACHE ICH ABER NICHT. Um all das wird es hier nicht gehen.

Mich nervt es, dass alle nur ein Thema haben. High-Iso, Mega-Turbo-Serienbildgeschwindigkeit … höher, schneller und weiter. Ja die Kamera, die 100,5 Bilder pro Sekunde schafft ist selbstverständlich eine Bessere als die, die es gerade auf 99 bringt. Die digitalisierte Gesellschaft ist verdorben durch die glattgebügelten Hochganzgesichter der Werbeikonen. Alles was unperfekt ist – ist auch nix. Bilder werden nur gemacht um diese nachher in Photoshop falten- und porenfrei zu retuschieren.

Ich schreibe hier gerade als Julia und nicht als julia f. Fotografie, d.h. ich spreche nicht von Auftragsarbeiten. Ich beobachte es bei so vielen, für die die Fotografie kein Job sondern nur ein Hobby oder eine Leidenschaft ist. Warum lässt man sich von Anderen oder von der Foto-Industrie vorschreiben, dass die eine Kamera die so und so viele Tausende von Euros kostet, die einzig wahre ist. Denn was ist der einzig wahre Grund, der uns dazu geführt hat Fotos zu machen? Sind wir eines Tages mit dem linken Fuss aufgestanden und haben uns gedacht – „ab heute mache ich schöne Fotos“? Nein, zumindest bei mir war es nicht so. Was bewegt uns immer wieder dazu, zur Kamera zu greifen? Wir sehen irgendetwas, es bewegt uns und wir möchten es festhalten. Doch eigentlich versuchen wir immer (meistens passiert es unbewusst) dieses Gefühl, festzuhalten, das wir in diesem Moment hatten. Irgendetwas macht da „Klick“, ob im Kopf oder im Herz (naja auch nur eine Umschreibung für Dinge, die im Gehirn vorgehen) und es schreit in uns danach, fotografiert zu werden.
Der Grund für alles, was wir – ob der Pro-Foto-Nerd oder der Freizeit-Partypic-Knipser – tun, ist eigentlich nur einer: das Schaffen von Erinnerungsstützen. Wir wollen uns bildlich an Dinge erinnern können. Anderen Dinge erzählen und diese auch belegen. Zurück zum Thema: was haben Erinnerungen mit dem Rauschverhalten der Kamera zu tun? Richtig – NIX!

Ich habe hier mal ein kleines Beispiel. Aufgenommen mit angeblich DER Pro-Kamera, die automatisch gute Fotos macht. Ja, ich meine die, die stolz den solmser roten Punkt vor sich trägt. WTF? Nein, alles Quatsch. Und es ist auch total Wurscht.
Die Bilder?
Für den Außenstehenden: Alles andere als vorteilhaft, das Licht macht unschöne Augenringe, man sieht total „mitgenommen“ aus, total verrauscht – alles in einem – NAJA…!
Für mich: die einzige Erinnerung an diesen Abend. Wenn ich die Bilder sehe, weiß ich genau, wann das war, was an diesem Tag war usw. Und mir ist es total egal, dass die ISO-Leistung der Kamera so schwach ist. Ich bin froh, diese Bilder trotzdem gemacht und nicht in den Papierkorb geschoben zu haben.

Gebt Erinnerungen eine Chance, schmeißt sie nicht direkt in die Tonne, nur weil Sie unscharf oder verrauscht sind.