Ich gebe zu, diese Frage und die darauf anschließende Diskussion habe ich aus einer meiner letzten Systemaufstellungen mitgenommen. Spannende Frage – gibt es gute und weniger gute Empfindungen und Emotionen? Die Diskussion entstand aus zwei eher stillen Systemaufstellungen heraus, bei denen keine Tränen kamen und kein Drama im Raum stand, sondern es ging still und ruhig zu. Das fand eine Stellvertreterin dann komisch und war erst zufrieden, als es bei einer nächsten Aufstellung dann etwas emotionaler wurde. Für mich selbst sind alle Empfindungen und Emotionen richtig und gut – leise oder laut.
Und manchmal sind es gerade diese feinen, stillen Empfindungen, die uns entscheidende Schritte weiter bringen.
Wir spüren uns permanent, wenn wir in unserem Körper sind
Ja, wir spüren uns permanent, wenn wir das zulassen und einigermaßen gut in unserem Körper beheimatet sind. Dann nehmen wir auch diese leisen und feinen Dinge wahr, die uns bewegen, die uns berühren und haben die Chance, entsprechend zu reagieren. Das passiert – vorausgesetzt Ihr Zugang zu Ihrem Körper ist scharf gestellt – eigentlich 24 Stunden am Tag. Das ist auch ein Teil meiner Arbeit im Somatic Coaching – mit meinen Kunden zusammen einen besseren, feineren Zugang zu ihrem Körper zu finden.
Was die Stellvertreterin gemeint hatte, da kam ich dann nach ein bisschen nach der Diskussion weiter – sie selbst ist eher kognitiv unterwegs, also ein Hirn-Igel und spürt ihren Körper weniger, dafür eben aktiver im Kopf. Und wir können entweder denken oder fühlen. Um selbst etwas zu spüren, muss es schon eine stärkere emotionale Erschütterung sein. Und das war die Auflösung: Sie brauchte stärkere emotionale Erschütterung, um selbst wieder ins Gefühl zu kommen, die Hirnschranke zu überwinden und zu fühlen. Deshalb konnte sie mit den ersten beiden, etwas stilleren Systemaufstellungen, weniger anfangen.
Meine Prognose: Je mehr wir es uns erlauben, etwas weniger im Kopf und etwas mehr im Körper zu sein, desto feiner wird unser Sensorium für unsere Empfindungen. Und desto weniger starke Anstösse von außen brauchen wir, um zu fühlen, was in uns ist. Im Endergebnis spürt ein solches Körpersystem dann zum Beispiel seine Trauer sehr viel früher und schneller und nicht erst dann, wenn ein Emotions-Tsunami über einen hinwegrollt, einen fast von den Beinen reißt und dann massiv auf die Tränendrüse drückt.
Unter dieser Prämisse sind mir dann die leisen Empfindungen und Emotionen lieber – weil ich nicht so sehr in diese Anstrengung gehen muss, sondern vielleicht auch schon früher – im Sinne eines Gefühlsmanagements – in meinen Empfindungshaushalt eingreifen kann. Vielleicht auch mit Hilfe meines Handwerkszeugs aus dem Ersten-Hilfe-Koffer. Was meinen Sie?