Du kannst mehr erreichen als Du glaubst
Ich glaube nicht nur, dass man eine Angststörung überwinden kann, ich weiß, dass man die Angststörung überwinden kann und zwar aus eigener Erfahrung.Das hab ich dann auch in meinem Newsletter kundgetan. Daraufhin bekam ich eine Mail von Anke, die den Glauben (fast) daran verloren hat, dass man eine Angststörung vollständig überwinden kann. Ich habe mich in Absprache mit Anke dazu entschlossen, ihre Anfrage in einem öffentlichen Blogpost zu beantworten.
- Warum es möglich ist, eine Angststörung zu überwinden…
- Warum es wichtig ist, an eine Heilung zu glauben, um eine Angststörung überwinden zu können…
- Wie Du den Glauben daran zurückgewinnst oder stärkst…
Das besprechen wir in diesem Beitrag.
E-Mail von Anke
Der komplette Text der Mail von Anke lautet:
Mein erster Gedanke „genau ihr Spackos, dann tragt euch doch aus aus dem Verteiler ihr Ungläbigen“. Und dann fragte ich ich: „glaubst du denn dass es möglich ist die Angst zu überwinden? Und zwar gänzlich?“
Und ich muss sagen – nein, der Zweifel daran ist mächtig. Und nicht ohne Grund. Seit 28 Jahren leide ich nun unter Panik und Hypochondrie und man hat in all den Jahrzehnten immer nur gehört oder gelesen, dass eine Heilung nicht möglich ist.
Diesen Samen hat man gefressen und in all den Jahren ist ein stattlicher Baum daraus gewachsen. Und es hat sich auch immer wieder bestätigt aus eigener Erfahrung, dass es „nur“ Auf und Abs gibt, aber ganz ehrlich: eine längere gute Phase über Wochen oder Monate hab ich in der Zeit nur 1x erlebt und auch diese war nie frei von Sorgen und Zweifeln.
Ich kenne Angstis, die fest daran glauben, dass alles gut wird. Irgendwann. Irgendwie. Wenn sie nur fest genug daran glauben. Mir fehlt dieser gute Glaube jedoch. Dieses Urvertrauen. Und wo nimmst du es jetzt her wenn du es nicht hast??? Kann man das bei Amazon bestellen? Leider nicht.
Ist es nicht vielmehr eine Flamme die in jedem brennt? Bei dem einen brennt sie etwas heller und kräftiger, beim anderen funzelt sie so vor sich hin, stets kurz vorm erlöschen. Und will man jetzt jemandem vorwerfen dass der mit der kleinen Flamme was falsch macht, weil es bei ihm einfach nicht recht brennen will? Ich denke man könnte es, denn wenn man der Flamme kein gut brennbares Material gibt, was soll sie anderes tun als klein bleiben? Das Problem ist doch, dass man einfach nicht WEISS, wie man die Flamme richtig füttert bzw. nach einigen Versuchen vielleicht zu früh abbricht, da man halt auch umgehend ein Ergebnis erwartet.
Ich habe interessiert in deinem Blog gelesen, dass du dich nie davor gescheut hast der Angst immer und immer wieder zu begegnen. Nun hast du es geschafft. Wie oft bin ich ihr schon begegnet? Tausend Mal? Aber sie schafft immer wieder mich, nicht umgekehrt.
Jeden Tag gehe ich zur Arbeit mit der Angst im Gepäck, dass ich heute wohl umkippen werde, oder sterben und verbringe meinen Tag in kompletter Anspannung. Ich schaffe es nicht die Gedanken rumzudrehen und zu denken „Und wenn du nicht umkippst? Wenn alles gut geht?“
Es ist ein täglicher Kampf und der kostet Kraft und woher soll man immer und immer wieder diese Kraft her nehmen, um die Tage zu bestehen? Es zermürbt einen, also wo ist da noch der Funke für gute Gedanken? Ich kann nicht mehr so recht daran glauben, also müsste ich mich auch aus dem Newsletter austragen. Aber ich denke das geht eben vielen so, die Resignation hat sich breit gemacht, weil einfach zu wenig Beweise da sind, dass es möglich ist.
Du schreibst du hast viele aus der Angst gecoacht. Was heißt dass denn in Zahlen? Sorry das klingt jetzt echt nach Erbsenzählerei, aber man braucht ja ne Vorstellung. Viel ist ja relativ. Zumal sich auf dem Blog erst eine getraut hat darüber zu schreiben. Was ist denn mit den anderen? Also ich hab für mich gedacht „wenn ich es schaffen sollte, dann werde ich die anderen Angstkollegen nicht vergessen und sie an meiner Genesung teilhaben lassen“.
Grad fällt mir ein ich kenne jemanden der es geschafft hat… Aber die verrät mir auch nicht wie es leztendlich ging. Irgendwas von „zu sich selbst finden, den Schatz in dir, die wahre Liebe“. Joah. Das hilft mir nicht wirklich.
Ich googele wirklich jeden Scheiß, aber auf die Frage „wie liebt man sich selbst“ konnte ich noch keine befriedigende Antwort finden. Ok, nicht so kritisch mit sich sein, sich annehmen wie man ist usw. Aber wenn man in seiner Denk-Kotze mal wieder drin ist, dann läuft das Programm und ich schaffe es nicht während des Programms zu denken „ey, stop, da läuft ja ein Programm, nee nee aufhören“. Ich raff dass dann nicht und es läuft und läuft und läuft wie das trommelnde Duracell-Häschen.
Und dann, kontraproduktiv zum Thema Selbstliebe, komme ich immer wieder zu dem untrüglichen Schluss: „Du musst zu doof sein um diese Vorgänge zu raffen, sonst könntest du ja was ändern. Ergo bist du selbst Schuld an deinem Zustand.“ Und dann werde ich ganz traurig und dann ist da nur noch das schwarze Loch der Hoffnung, schlurbs aufgesaugt und verschwunden im Nichts.
Ich sag immer ich bräuchte so einen 1-€-Jobber der den ganzen Tag neben mir herläuft und fragt „Was denkst du gerade?“ und wenn ich ihm dann den Rotz meiner Gedanken erzähle müsste der mir immer so auf den Hinterkopf klappsen damit ich wieder auf Spur komme um überhaupt mal zu merken WAS ich da die GANZE Zeit für einen Mist denke!!!!
Und auf der anderen Seit läuft der zweite Jobber der mir dann bessere Dinge einflüstert (weil mir die guten Dinge nicht einfallen wollen). Du siehst auch dieses Problem würde ich lieber outsourcen anstatt mich selbst dran zu machen, aber wirklich nur, weil ich diesen Automatismen nicht entfliehen kann. Also GLAUBE, dass es nicht geht.
Und damit schließt sich wieder der Kreis der Ungläubigen.
Ich bin fest davon überzeugt, um heilen zu können muss man daran glauben dass es möglich ist. Und viele von uns können daran nicht glauben. Wenn sich nun alle austragen aus dem Newsletter wird es echt ruhig in deinem Blog. Grins… Man sagt ja immer „die Hoffnung stirbt zuletzt“. Es tut mir leid, aber ich glaube bei vielen ist die Krux dass die Hoffnung zuerst gestorben ist.
In diesem Sinne
viele Grüße
Anke
Zunächst einmal finde ich Anke’s Schreibstil sehr unterhaltsam. Sie schafft es, ihre Gedanken und Gefühle nachvollziehbar herüberzubringen. Ich finde, eine innere Zerrissenheit kommt deutlich zum Ausdruck, dieser Widerspruch in sich, dem so viele Menschen mit einer Angststörung ausgesetzt sind. „Ich möchte ja daran glauben, dass man eine Angststörung überwinden kann. Aber dass ich ihn nach so vielen Jahren nicht gefunden habe, kann ja nur bedeuten, dass es keinen Weg aus Angst und Panikattacken gibt oder ich zu blöd bin, um diesen Weg für mich zu finden.“
Anke hat vielleicht wenig Hoffnung, dass sie die Angststörung überwinden kann, doch sie hat das Ganze noch NICHT gänzlich aufgegeben. Ansonsten hätte sie nicht in meinem Blog gelesen, sie hätte nicht meinen Newsletter abonniert und erst recht hätte sie sich tatsächlich einfach ausgetragen statt mir zu antworten.
Muss man überhaupt GLAUBEN, dass man eine Angststörung überwinden kann?
Man liest und hört immer von verschiedener Seite, dass man eine Angststörung nicht loswerden kann. Man könne allenfalls lernen, damit zu leben. Wenn man jahrelang Angstzustände und Panikattacken hat, ist es total verständlich, dass man davon ausgeht. Aber man macht es sich damit auch einfach.
Für Betroffene ist das doch irgendwie bequem, denn es bedeutet, dass man nichts tun muss. Wozu denn auch? Und auch Therapeuten, die so etwas äußern, machen es sich leicht, denn sie können ja nie zur Verantwortung gezogen werden, wenn sie keine gute Arbeit leisten. Sie haben ja gleich gesagt, dass sie eigentlich nicht helfen können.
Angststörung? Unheilbar! Ein bisschen verbessern können wir die Situation vielleicht. Aber wirklich machen kann man nichts. Ist doch easy irgendwie. Für beide Seiten.
Die Wahrheit ist, dass man eine Angststörung überwinden kann. Generell. Doch das ist nicht ganz so „easy“.
Der Weg aus der Angststörung ist nicht leicht. Im Gegenteil: Er ist oft anstrengend und unbequem. Er verläuft selten geradlinig. Man muss Tiefpunkte überwinden und durchhalten, auch wenn sich (noch) keine Erfolge eingestellt haben. Und das ist manchmal echt schwer.
Es ist einfach leichter zu sagen: Ich kann daran nichts ändern, ich muss lernen, damit zu leben. Doch das ist eine gefährliche Haltung.
DENN: Wenn man davon ausgeht, dass einem nichts helfen kann, wird man Recht behalten. Man wird nicht bereit sein, um die notwendigen Schritte zu unternehmen.
Also möchte ich Dir, liebe Anke und allen anderen dort draußen zurufen: Man kann eine Angststörung überwinden und zwar vollständig.
Wenn Ihr noch daran zweifelt, ist das übrigens überhaupt kein Problem.
„glauben“ heißt nicht „wissen“
„Glaube und Zweifel bedingen einander wie Ein- und Ausatmen; sie gehören zusammen.“ hat schon Hermann Hesse gesagt. Ja, es ist der Kern des Glaubens, dass man eben nicht weiß. Dass Anke daran zweifelt, dass es für sie den Weg aus Angst und Panikattacken gibt, bedeutet nicht, dass sie nicht doch irgendwie daran glaubt.
Okay, Anke hat nach 28 Jahren nicht mehr besonders viel Hoffnung, dass sie die Angststörung überwinden kann. Und das kann vermutlich jeder nachvollziehen. Und doch ist noch ein Funken Hoffnung vorhanden. Sonst würde sie sich mit der Thematik nicht mehr befassen.
Und ich versuche bei allen Betroffenen diesen Funken, zu einem kleinen Feuer zu entfachen. Mit diesem kleinen Feuer kann man anfangen, an sich und seinem Leben zu arbeiten. Um aktiv zu werden, was zu ändern, sich zu verändern und durchzuhalten.
Ich persönlich weiß, dass man eine Angststörung überwinden kann. Aus eigener Erfahrung und weil ich viele Betroffene bei diesem Weg begleitet habe. Auch wenn ich niemandem die Garantie dafür geben kann, dass er seinen Weg aus der Angst findet – ich bin fest davon überzeugt, dass JEDER dazu in der Lage ist, eine Angststörung VOLLSTÄNDIG hinter sich zu lassen.
Der Glaube daran (auch wenn dieser mit Zweifel behaftet ist) ist eine Grundvoraussetzung, um diesen mitunter beschwerlichen Weg auf sich zu nehmen.
Wenn der Glaube fehlt…
Bei Anke bin ich guter Dinge, dass sie selbst nach so langer Zeit mit der Angststörung ihren Weg aus Angst und Panikattacken finden kann. Sie hat noch Hoffnung.
Bei manchen Menschen ist die Überzeugung, dass nichts ihnen helfen kann hingegen so ausgeprägt, dass man mit Wut reagiert, wenn man ihnen etwas anderes erzählt. Dieser Glaube ist häufig so fest verankert, dass nichts, was ich oder andere sagen, bei ihnen ankommt. Im Gegenteil: Jede Aussage wird so gedeutet, dass sie zu ihrer inneren Überzeugung passt. „Das ist doch wieder nur so eine Marketing-Masche. Mir kann ohnehin nichts helfen.“
Natürlich kann man festgefahrene Überzeugungen nicht von heute auf morgen über Bord werfen. Und doch versuche ich auch bei diesen Menschen ihre Überzeugungen ins Wanken zu bringen.
Und mit Affirmationen kann man weiter dazu beitragen, selbstzerstörerische Glaubensmuster zu durchbrechen. „Ich bin zu weit mehr in der Lage, als ich mir momentan zutraue. Ich werde meine Probleme überwinden und mich wird ein besseres Leben erwarten, als je zuvor.“ Wie wäre es stattdessen mit Gedanken wie diesen?
Und auch wenn sich das für den einen oder anderen anfangs noch falsch anhört, werden Glaubenssätze wie diese mit der Zeit dazu beitragen, mehr an sich und an eine Heilung zu glauben, den beschwerlichen Weg aus der Angststörung auf sich zu nehmen und durchzuhalten.
Das Urvertrauen, von dem Anke spricht, bekommt man mit zunehmend positiven Erfahrungen. Damit diese Erfahrungen möglich sind, muss man dem Leben einen kleinen Vertrauensvorschuss geben. Erst wenn wir an das Gute im Leben glauben (wir dürfen zweifeln), kann es sich von seiner guten Seiten zeigen. Und das gelingt ebenfalls mit positiven Affirmationen.
Ich habe übrigens mit einer Dame zusammengearbeitet, die ihre Angststörung nach über 50 Jahren überwunden hat. Das sollte Dir, liebe Anke, und allen anderen dort draußen Mut machen. Die Hoffnung ist berechtigt.