Musik regt mich sehr auf
Von Michaela Preiner
Friederike Mayröckers Stück „Oper“ hatte am Semmering Uraufführung (Foto: Barbara Amplatz)
18.
August 2017
Theater
Im historischen Kurhaus am Semmering wurde das Stück „Oper“ der „poetissima austriaca“ – Friederike Mayröcker – uraufgeführt.
Otto Brusatti, gefürchteter und vergötterter Interviewer von Ö1, Autor und Regisseur, war in seinem Element. Nicht nur, dass er ein Publikumsgespräch mit Friederike Mayröcker im Kurhaus am Semmering moderierte. Er wurde von der „poetissima austriaca“, wie er die Doyenne der österreichischen Literatur bezeichnete, vor einem Jahr gebeten, ein Stück von ihr während des Kultur.Sommer.Semmering in Szene zu setzen. Und das tat er mit Bravour.Frederike Mayröckers Stück „Oper“ hatte am Semmering Uraufführung (Foto: Barbara Amplatz)
Mayröcker und Skrjabin
„Es war die größte Ehre, die mir in meinem Leben zuteil wurde“, erklärte Brusatti den interessierten Zuhörerinnen und Zuhörern vor der Premiere. Mayröcker, sowohl beim Publikumsgespräch als auch während der Vorstellung selbst anwesend, beantwortete die Frage, ob sie denn während des Schreibens Musik höre, recht unkonventionell. „Ja, ich höre seit einem Jahr immer nur eine Schallplatte von Skrjabin, die jetzt schon ganz kaputt ist“, und weiter: „Sonst aber nichts, denn Musik regt mich sehr auf.“ Dass ihr Stück ausgerechnet „Oper“ übertitelt wurde, lässt also keineswegs auf ihre musikalischen Vorlieben rückschließen.
Brusatti verwendete nicht nur die von Mayröcker zur Verfügung gestellten Texte, sondern auch eine Einspielung, in der sie die von ihr ausgewählte Lyrik selbst vorlas. Gleichmäßig, mit einem feinen, ihr zutiefst eigenen Leserhythmus, unterlegt, trägt ihre zarte Stimme den Text; von Bild zu Bild, von Gefühl zu Gefühl, von Beschreibung zu Beschreibung, nur mit kurzen, unspektakulären Atempausen zwischen den einzelnen Sätzen.
Dass man spezielle Herangehensweisen benötigt, wenn man an eine Dramatisierung von Mayröcker-Texten denkt, liegt auf der Hand. Denn schließlich ist ihre Lyrik ein einziger Strom von unablässig fließenden Bildern, die sich permanent ablösen, ohne sich direkt aufeinander beziehen zu müssen. „Oper“ – eine poetische Bühnenkomposition – so der Untertitel des Werkes, zeigt „Entwicklungen, Aspekte, Ängste, Assoziationen auf, die in Musik umgesetzt wurden“, O-Ton Brusatti. Und tatsächlich konnte das Publikum selbst entdecken, dass das Werk „mit Oper eigentlich nichts und alles zu tun hat“, wie der Kulturkreative die Inszenierung und das Stück selbst weiter charakterisierte.
„Es war die größte Ehre, die mir in meinem Leben zuteil wurde“
Otto Brusatti
Mischwerk – schlicht genial
Wie in einer richtigen Oper üblich, war das Nicht-Geschehen in verschiedene Szenen getaktet. Mit der Gruppe „Mischwerk“ aus Graz stand dem Regisseur ein geniales Quartett zur Seite. Die musikalische Bandbreite, mit der die Musizierenden um Helmut Stippich aufwarten, scheint keine Grenzen zu kennen. Jodler, Balkan- und Kletzmerklänge haben sie ebenso in ihrem Repertoire wie Neuinterpretationen von Schubert, Verdi, Mozart, Cage, Skrajbin, oder die Intonation eines Renaissance-Kyrie von Johannes Ockeghem – gesungen, versteht sich. Sogar die Wiener Schule ist ihnen nicht fremd. Brachten Johannes (Akkordeon) und Maria Stippich (Bass, Kontragitarre), Nikolai Tunkowitsch (Geige) und Reinhard Uhl (Klarinette) doch gleich zu Beginn der Aufführung dem Publikum eine Eigenkomposition von Johannes Stippich zu Gehör, die ganz dieser musikalischen Tradition verpflichtet erscheint. Höchst emotional, angesiedelt zwischen einfachen Jodlermelodien bis hin zu einer ausgespielten, symphonischen Breite, gestalteten sie eine gänzlich eigene Deutung einer der letzten Klaviersonaten Schuberts, Deutsch-Verzeichnis 960. Während das Ensemble in der Mitte des hellen, eleganten Saales langsam im Kreis ging, spielte und sang, verströmte diese Musik eine ätherische Schönheit. Wie bestellt, inszenierte die Semmeringer Landschaft, mit ihren letzten, sonnenbeschienenen Bergabschnitten, ein eigenes Naturschauspiel vor den großen Fenstern des Saales.
Zudem schuf Helmut Stippich einen Klangteppich zu langen Textpassagen, der sich diesen wie eine zweite Stimme oder eine Art Generalbass anschmiegte. Leichte Percussion- und elektronische Klänge begleiteten anfänglich Mayröckers Lesung, die dadurch den Ausdruck eines beständigen, sich jedoch permanent leicht verändernden Mantras annahm. Vereinzelt blitzten dabei Worte wie Rohdiamanten auf, um sogleich wieder in der Klangwolke zu verschwinden.
Mischwerk (Foto: Barbara Amplatz)
Maria Moncheva & Bernhard Majcen (Foto: Barbara Amplatz)
Maria Moncheva (Foto: Barbara Amplatz)
Tigerente (Foto: European Cultural News)
(Foto: European Cultural News)
Maria Moncheva & Bernhard Majcen (Foto: Barbara Amplatz)
Ein Schauspieler und eine Tänzerin
Erst mit dem Auftritt von Bernhard Majcen wurde der Text der Autorin wieder zur Gänze verständlich. Oft abwechselnd mit ihrer Bandeinspielung, trug der charismatische, kahl geschorene Schauspieler die kurzen Textpassagen mit einer Art zu sprechen und zu agieren vor, die mit einer höchst präsenten, männlichen Energie aufgeladen war. Dabei agierte er – von Brusatti sehr intelligent in Szene gesetzt – zwischen absurdem Gebaren und höchstem Feingefühl für Mayröckers Sprache. Die Tigerente, die dabei zärtliche Liebkosungen erfuhr, war ihm ein ebenso wichtiger Partner wie ein grau-braun-gestreifter Nasenbär.
Mit Maria Moncheva war eine junge Tänzerin verpflichtet worden, der es gelang, die Poesie von Mayröckers Bildern in grazile Bewegungen, angesiedelt zwischen zeitgenössischem Tanz und Gymnastik, umzusetzen. Spektakulär waren ihre Auftritte in einem Aerial Ring, einem von der Decke hängenden Reifen, in dem sie buchstäblich den Boden unter ihren Füßen verlor. Wie im Zirkus schwebte Moncheva dabei über den Köpfen des Publikums, ständig begleitet von den Mischwerk-Klängen und den Stimmen von Mayröcker und Majcen.
Maria Moncheva (Foto: Barbara Amplatz)
Foto: European Cultural News
Fotos: Barabara Amplatz
Auf geht´s in den nächsten Raum!
Der Wechsel des Geschehens vom ersten Raum in den großen Speisesaal, samt Publikum, und vor allem auch die Einspielung von Mayröckers Stimme, die man dort aus einem entfernt angebrachten Lautsprecher vernahm, verliehen dem alten Kurhaus ein körperlich spürbares Volumen. Für einige, zeitentrückte Momente verströmte es eine ihm wie selbstverständlich innewohnende, künstlerisch-kreative Lebendigkeit, die nur darauf gewartet hatte, sich einmal zu Wort zu melden und bemerkt zu werden.
Viele Textstellen in „Oper“ beziehen sich auf das Älterwerden, aber auch den körperlichen Verfall. Auf die Angst vor dem Sterben und die ungeschönte Wiedergabe von Altersgebrechen. Immer wieder taucht Mayröcker aber auch in ihre Träume ein, erinnert sich an Liebesbekundungen, oder gewährt einen Einblick in ihr alltägliches Lebensumfeld -ihre Wohnung. Verwelkte Blumen – auf der Bühne in Vasen präsent – gehören dort genauso dazu wie ein roter Polster, der schamhaft nach dem Wasserlassen von ihr einfach umgedreht wird. Sie spürt eigenen Wortschöpfungen wie jener der „Versuchungsanstalt“ nach und beschimpft ihren Kaffee als Schlampe. Eine Frau mit gelber Haut und gelben Augen, der sie im Spital begegnet, bedroht sie ungewollt. Ganz nebenbei erwähnt sie nicht nur Kunstgrößen wie Delaunay, Gris, Picasso, Spoerri, sondern auch den Kurator Hans Ulrich Obrist und setzt mehrfach Anker zu Derrida.
Der an assoziativen Bildern überbordende Abend erhält seine Entsprechung auch durch witzige, musikalische Potpourris, die zum Schmunzeln anregen und das musikalische Gedächtnis des Publikums kitzelt. Wie zum Beispiel eine Klangcollage, zusammengebastelt aus Robert Stolz` Salomé, die sich mit einer kurz aufklingenden Salomé-Arie von Richard-Strauss vermählt. Sehr zum Gaudium der Hörerschaft. Im „Il Barbiere von Monostatos“ wiederum schütteln sich Verdi und Mozart fröhlich lachend die Hand und beim Schluss-Stück, dem „Tschinderassa Requiem“, in welchem Mozart und Verdi auf Kletzmer treffen, hat man den Eindruck, als würde die Welt mit Holdrio ihrem Untergang entgegenrasen. Gewaltig, bedrohlich und gespickt mit viel Humor zugleich evozierten die Musizierenden dabei Emotionen, angesiedelt zwischen Angst, Schrecken, Trauer und Aberwitz.
Der Tod und die Küche
Nach der vorletzten Szene, in welcher Majcen das Publikum zum musikalischen Requiem-Furor mit einer Axt bedroht – eine kräftige Todesmetapher, der man nicht entweichen kann – boten er und Moncheva den Zuseherinnen und Zusehern gekochte Nudeln und eine frisch gerührte Creme an. Welcome back im prosaischen Küchenalltag, mag der Tod sich hin scheren, woher er gekommen ist, das Leben geht weiter!
Foto: Barabara Amplatz
Foto: European Cultural News
Mayröcker präsent und entrückt
Ganz abgesehen von vielen poetischen Momenten der Inszenierung, zeichnete sich einer am Premierenabend ganz besonders aus. Es war jener Augenblick, in dem die 23-jährige Tänzerin Friederike Mayröcker für eine kleine Weile direkt gegenüberstand und diese respekt- und liebevoll zugleich anblickte. Die alte Dame hatte die Hände unter ihrem Kinn verschränkt. Das höchst vergeistigte, aber in keiner Weise greise Gesicht mit den schmalen, geschminkten Lippen und die beinahe, aber nicht ganz geschlossenen Augen zeigten, wie tief die Schriftstellerin in das Geschehen eingetaucht war. Zugleich bildete das Paar eine einzigartige, synchron stattfindende Visualisierung eines ganzen Lebens von der Jugend bis ins Alter.
Ein berührender, ein dichter Abend, eine höchst gelungene Hommage nicht nur an eine der wichtigsten, österreichischen Schriftstellerinnen des 20. und 21. Jahrhunderts. Otto Brusattis Inszenierung ist zugleich auch eine Huldigung an die Kunst, die Musik, die Literatur und nicht zuletzt an das Theater selbst. Einem der letzten Zufluchtsorte, in dem noch ungehemmt gelebt, geliebt, gestorben und geträumt werden darf.
Es ist zu hoffen, dass diese Inszenierung auch den Sprung nach Wien schafft – um einem viel größeren Publikum die Möglichkeit zu geben, in das Mayröcker-Brusatti-Mischwerk-Universum einzutauchen.
Weitere Informationen auf der Homepage des Kultur.Sommer.Semmering.