Musik als Naturgewalt
Björk ist für ihre Exzentrik bekannt. Bühnenoutfits mit allerlei Farben im Gesicht und Gebilden auf dem Kopf. Kommt ein neues Björk-Album kann man sich nie sicher sein: Bleibt vielleicht als einziges Instrument die Stimme (Medúlla, 2004) oder benutzt sie Schiffshörner und Tribal Beats, um ihren sirenenartigen Gesang zu untermalen (Volta, 2007)? Vier Jahre nach dem letzten Studioalbum hat sich der bekannteste Islandexport nun nichts weniger vorgenommen als die Musikwelt zu revolutionieren. Biophilia heißt das Album, oder besser Multimediaprojekt, das zwischen Musik und Wissenschaft vermitteln will. Denn neben der handelsüblichen CD werden die zehn Songs auch jeweils mit einer App für iPhone oder iPad veröffentlicht, die als Spiele, Partituren, Animationsfilme oder wissenschaftliche Abhandlungen eine Interaktion mit dem Song ermöglichen. Und damit vielleicht auch einen Lerneffekt haben.
Mit Biophilia wird Björk zur Lehrerin. Sie will Workshops veranstalten und so ihre Idee vom Zusammenspiel von Musik, Natur und Technologie weitergeben. Die Tour zum Album soll drei Jahre dauern, aber nur durch acht Städte führen, denn aus ihren Auftritten werden Installationen und Gastspiele. In einer Dokumentation werden Hintergrund und Entstehung des Projektes geschildert. Auch Björks Internetseite ist neu aufgesetzt, um sich auf der zurechtzufinden, muss allerdings auch der Musikhörer eine wissenschaftliche Entdeckerader haben. Das alles gehört zu Multimedia.
Biophilia ist also ein Mammut-Projekt, bei dem das Wesentliche fast in den Hintergrund rückt – der auditive Teil. Aus der puren Musik entsteht ein Konzeptalbum über Natur und Technologie, das jeglicher traditioneller Strukturen entbehrt. Mit eigens erfundenen, analogen Instrumenten wie dem Gameleste oder Sharpsichord, die dennoch iPad-Anschluss haben, eröffnet sich eine Parallelwelt zwischen Akustik und Elektronik. «Leute aus der Welt des Rock’N'Roll hatten jahrelang das Gefühl, elektronische Musik habe keinen Soul. Jetzt kann elektronische Musik nicht nur Soul haben, sondern alle Formen dieser Erde einnehmen», sagt Björk im Interview mit dem amerikanischen Blog Stereogum.
Mit diesen Formen versucht sie alle möglichen Naturphänomene zu beschreiben. Björk vertont den Mond, einen Virus oder schwarze Materie. Die Liebe zur Natur ist immanent, schließlich ist Björk seit Jahren Umweltaktivistin. In ihrer ersten Single Crystalline, die noch am ehesten an gewohnte musikalische Strukturen erinnert, lässt sie mit spitzem Gesang Kristalle wachsen. Auch Cosmogony ist eingängig, vor dem ellenlangen wabernden Fade-Out. Zum Experiment kommen dann noch Orgelhall (Thunderbolt) oder melancholisch plänkelnde Synthesizer (Moon) hinzu. Trotz Minimalimus trifft einen das Album Biophilia wie eine Naturgewalt. Warum sonst sollte ihr selbst das US-Naturmagazin National Geographic einen Vertrag angeboten haben? Unter dem Video zu Crystalline, das bereits im Juli erschienen ist, schreibt ein Fan: «Björk ist nicht zufrieden damit, die größte Musikerin des 20. Jahrhunderts zu sein. Jetzt ist sie am 21. Jahrhundert dran.»
Interpret: Björk
Album: Biophilia
Plattenfirma: Polydor (Universal)
Erscheinungsdatum: 7. Oktober 2011
Feist: Metals
Leslie Feist hat sich übrigens auch irgendwie von der National Geographic für ihr neues Album inspirieren lassen. Die kanadische Sängerin habe einen Artikel über Böden gelesen und wie diese im modernen Ackerbau ruhen müssten, um wieder fruchtbar zu sein. Analogie, ich hör dir trapsen. Für ein neues Album braucht es erstmal Ruhe. Und so hat sie nach ihrem Erfolg mit The Reminder und dem iPod-Abzählreim 1, 2, 3, 4 im Jahr 2007 eine Pause eingelegt, um jetzt fulminant mit Metals wieder auf der Bildfläche zu erscheinen.
Das Albumcover zeigt einen Baum in F-Form und steht natürlich für Feist. Leider gibt es den gar nicht. Auch wenn sie die schöne Geschichte eines Nationalparks, in dem alle Bäume wie Buchstaben aussehen, bereits einem Journalisten glaubhaft machen konnte. Durchgehalten hat sie sie nicht. Denn Leslie Feist ist eine ehrliche Haut und solche Lügengeschichten nicht ihr Ding. Deshalb schreibt sie zu ihren Melodien der unaufgeregten Folk-Melancholie auch Texte, die ihr und den Zuhörern aus der Seele sprechen. So sind der Opener The Bad In Each Other oder How Come You Never Go There («My Heart Is Not The Light It Was And When I Walk Inside The Dark I’m Gone») feine Betrachtungen ihrer selbst. Die erste Single The Circle Married The Line bezaubert durch sparsam eingestreutes Glockenspiel und muss auch ohne die Beschallung einer TV-Werbung zum Hit werden. Ein schöneres Bild für einen Sonnenuntergang als der Kreis, der die Linie heiratet, wurde wohl noch nie erdacht.
Für die Aufnahmen war sie zweieinhalb Wochen in einer Scheune an der kalifornischen Küste und hatte ihre kanadischen Spießgesellen Chilly Gonzales und Mocky sowie Dean Stone und Brian LeBarton eingepackt. Bei der reduzierten Orchestrierung mit Piano, Gitarre und ab und an auch einem Synthesizer, und natürlich Feists engelsgleicher Stimme, konnte Björk-Produzent Valgeir Sigurdsson gar nichts mehr falsch machen beim Feinschliff des Albums.
Für die Aufnahmen wurden übrigens die meisten Instrumente extra von Kanada nach Kalifornien gebracht. Das Klavier musste über eine Pferdeweide geschoben werden, um in die Scheune gestellt zu werden. Auch eine schöne Geschichte, die man Journalisten erzählen könnte.
Das Album im Stream können Sie sich hier anhören.
Interpret: Feist
Album: Metals
Plattenfirma: Polydor (Universal)
Erscheinungsdatum: 30. September 2011
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Björk & Feist – Musik als Naturgewalt
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